Deutsche Soldaten reinigen einen Leopard-2A6-Kampfpanzer
Reuters/Morris Macmatzen
Berlin

Grünes Licht für Leopard-Lieferung

Nach langem Zögern liefert Deutschland Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine. Auch wird anderen Ländern gestattet, solche Panzer an Kiew abzugeben. Das erfuhr die dpa am Dienstag in Berlin aus Koalitionskreisen. Zuvor hatten „Spiegel“ und ntv darüber berichtet. Aus den USA kamen zuvor Berichte, dass US-Präsident Joe Biden nun doch die Lieferung von M1-Abrams-Panzern erwägt.

Die deutsche Regierung plant nach „Spiegel“-Angaben, mindestens eine Kompanie mit der Version Leopard 2A6 aus Beständen der Bundeswehr auszustatten. Die Ausstattung einer Kompanie bedeutet, 14 der Leopard-Panzer zu übergeben. Die Ukraine sprach wiederholt von rund 300 Kampfpanzern, die nötig seien, um Russland aus den besetzten Gebieten vertreiben zu können. Auch andere NATO-Staaten, allen voran Polen, werden Leopard-Panzer liefern, nachdem Berlin nun die nötige Zustimmung dazu geben will.

In den USA hatte zuvor das „Wall Street Journal“ berichtet, die US-Regierung könnte ihrerseits Vorbehalte gegen eine Lieferung von US-Panzern des Typs Abrams aufgeben. US-Präsident Joe Biden neige jetzt dazu, der Ukraine eine „bedeutende Zahl“ von Abrams-Panzern zu überlassen, hieß es. Die US-Regierung bestätigte die Berichte am Dienstag allerdings nicht.

ORF-Analyse: Kampfpanzer für die Ukraine

Nach wochenlangen Debatten, ob Deutschland Kampfpanzer in die Ukraine schicken will oder zumindest anderen Ländern die Genehmigung gibt, ihre Panzer aus deutscher Produktion zu liefern, gab es am Dienstagabend eine Entscheidung in Berlin, wie ORF-Korrespondent Andreas Pfeifer berichtet.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz, der seine Entscheidung – möglicherweise parallel mit den USA – am Mittwoch bekanntgeben dürfte, hatte immer betont, dass er bei der Bereitstellung qualitativ neuer Waffensysteme nur gemeinsam mit den USA handeln wolle. So war es auch bei der Bereitstellung von Mehrfachraketenwerfern oder Schützenpanzern.

Selenskyj: Geht nicht um fünfzehn Panzer

Während Deutschland den moderneren 2A6 verwendet, ist in anderen europäischen Staaten vor allem das ältere Modell 2A4 im Einsatz. Von 300 Panzern dürfte Kiew damit insgesamt aber weiterhin weit entfernt sein. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, wegen Korruptionsvorwürfen gegen seine Regierung derzeit im eigenen Land politisch unter Druck, machte klar, dass das aus seiner Sicht nicht reicht: „Es geht nicht um fünf oder zehn oder fünfzehn Panzer. Der Bedarf ist größer.“

Die Ukraine bemühe sich täglich, den Mangel an schweren Kampfpanzern auszugleichen. „Und ich danke jedem Einzelnen von Ihnen, der uns dabei unterstützt.“ Die Verbündeten der Ukraine verfügten über die erforderliche Anzahl von Panzern. „Wenn wir das nötige Gewicht an Entscheidungen haben, werden wir Ihnen gern für jede einzelne wichtige Entscheidung danken“, betonte Selenskyj. „Daran arbeiten wir noch.“

Laut „Spiegel“ sollen die deutschen Panzer zunächst aus Bundeswehrbeständen kommen. Mittel- und langfristig könnten weitere Kampfpanzer aus Industriebeständen hinzukommen, die aber zunächst hergerichtet werden müssten und erst in Monaten geliefert werden könnten. Zudem müssen ukrainische Panzereinheiten erst auf den Leopard trainiert werden.

Kiew bittet seit Monaten um Kampfpanzer

Die Ukraine bittet seit Monaten um Kampfpanzer westlicher Bauart für den Kampf gegen die russischen Angreifer. Die erste offizielle Anfrage erfolgte schon eine Woche nach Kriegsbeginn Anfang März vergangenen Jahres. Die Frontlinie in der Ostukraine hat sich seit Wochen kaum noch bewegt. Mit den Kampfpanzern hofft die Ukraine, wieder in die Offensive zu kommen und weiteres Gelände zurückzuerobern. Gleichzeitig wird für das Frühjahr eine Offensive Russlands befürchtet.

Warschau hatte zuvor am Dienstag mit einem offiziellen Exportantrag die deutsche Regierung um eine Genehmigung für die Lieferung der in Deutschland hergestellten Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine gebeten – und Berlin damit ganz konkret unter Zugzwang gesetzt.

Grafik zum Kampfpanzer Leopard 2 A4
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: dpa

Berliner Schlüsselrolle

Deutschland nimmt als Produktionsland in der Frage um die Leopard-Lieferung eine Schlüsselrolle ein. Werden Rüstungsgüter an andere Staaten verkauft, werden in die Verträge immer Endverbleibsklauseln eingebaut. Darin ist geregelt, dass bei einer Weitergabe an dritte Länder die Bundesregierung zustimmen muss. Ein Regierungssprecher hatte am Dienstag gesagt, den Antrag der polnischen Regierung „mit der gebotenen Dringlichkeit“ prüfen zu wollen.

Scholz stand in der Frage der Leopard-Lieferungen seit Wochen in der Kritik – vorgeworfen wird ihm ein zu zögerliches Vorgehen. Auch in der eigenen Koalition gab es Unmut. Die Regierung begründete ihr Vorgehen unter anderem mit dem Risiko einer Eskalation und der nötigen internationalen Abstimmung.

Hoher Druck von Polen

Polen macht in der Diskussion um die Kampfpanzerlieferungen schon seit Längerem Druck auf Deutschland. Regierungschef Mateusz Morawiecki hatte am Montag gesagt, notfalls werde man auch ohne die Genehmigung Berlins handeln, womit Polen einen diplomatischen Eklat riskiert hätte.

Polen will eine europäische Koalition zur Lieferung von Kampfpanzern bilden. Zunächst hatte nur Großbritannien die Lieferung von Challenger-2-Kampfpanzern zugesagt. Von den 14 europäischen Staaten, die Leopard-Panzer haben, hat neben Polen bisher nur Finnland öffentlich Bereitschaft signalisiert, einige Exemplare abzugeben.

Deutschland liefert seit Kriegsbeginn Waffen in die Ukraine. Seither wurden unter anderem schwere Artilleriegeschütze und Luftabwehrsysteme abgegeben. Zugesagt hat sie auch bereits Schützenpanzer vom Typ Marder, die deutlich weniger schlagkräftig sind als der Leopard 2.

Grüne und FDP begrüßen Entscheidung

Die Koalitionspartner des deutschen Kanzlers Scholz begrüßten die Entscheidung am Dienstag. „Die Entscheidung war zäh, sie dauerte viel zu lange, aber sie ist am Ende unausweichlich. Dass Deutschland die Lieferung seines Panzers Leopard 2 durch Partnerländer freigibt und auch selbst liefert, ist eine erlösende Nachricht für das geschundene und tapfere ukrainische Volk“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP).

Der grüne Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Natürlich wäre es besser gewesen, die Entscheidung schneller zu treffen, insbesondere für das Ansehen Deutschlands in Europa. Aber besser spät als gar nicht.“ Auch der Fraktionschef der oppositionellen Union, Friedrich Merz, begrüßte die Entscheidung, warf Scholz (SPD) aber zugleich Zögerlichkeit vor. „So bleibt das Bild eines Getriebenen, der zu lange gezögert hat.“ AfD und Linke kritisierten die Entscheidung ihrerseits scharf.

Wehrschütz (ORF) zu Korruption und Kampfpanzern

ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz berichtet aus Odessa im Süden der Ukraine. Er erläutert, wie wichtig diese Kampfpanzer wirklich für die Ukraine sind.

Kreml warnt

Auch Pistorius hatte eine rasche Entscheidung Deutschlands über die Lieferung der Leopard-Kampfpanzer in Aussicht gestellt. Er habe andere Partnerländer, die bereits über Kampfpanzer dieses Modells verfügten, „ausdrücklich ermuntert“, mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten daran zu beginnen, so Pistorius nach dem Gespräch mit Stoltenberg. Der Kreml hatte unterdessen vor einer weiteren Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen gewarnt, sollte die Bundesregierung Leopard-Kampfpanzer in die Ukraine liefern lassen.

Melnyk: „Nun bitte F-16 und Eurofighter“

Geradezu euphorisch äußerte sich dagegen der ukrainische Vizeaußenminister und ehemalige Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk. Auch wenn die deutsche Entscheidung mit Verspätung erfolge, sei sie „ohne jeden Zweifel ein wahrer Durchbruch sowie ein Gamechanger für die Ukraine auf dem Schlachtfeld“, sagte er der dpa. „Das wird in die Geschichte eingehen.“

Dass Scholz offenbar sogar dabei geholfen habe, die USA von der Lieferung ihrer Abrams-Panzer zu überzeugen, sei sogar „ein Panzer-Doppelwumms“, sagte Melnyk, der sogleich weitgehendere Forderungen nach modernen Kampfjets stellte. Auf Twitter schrieb er: „Und nun, liebe Verbündete, lasst uns eine starke Kampfjetkoalition für die Ukraine auf die Beine stellen, mit F-16 und F-35, Eurofightern und Tornados, Rafale und Gripen-Jets – und allem, was ihr der Ukraine liefern könnt.“