Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch, Frauenministerin Susanne Raab, Justizministerin Alma Zadic und Staatssekretärin Claudia Plakolm
APA/Roland Schlager
Härtere Strafen und Opferschutz

Maßnahmenpaket gegen Kindesmissbrauch

Im Zuge der durch den Fall Teichtmeister ausgelösten Debatte über Kindesmissbrauch und Missbrauchsdarstellungen hat die Regierung am Mittwoch ein Maßnahmenpaket zum Schutz von Kindern vorgestellt. Geplant ist unter anderem ein Gütesiegel für Einrichtungen, die ein Kinderschutzkonzept nach internationalen Standards befolgen, mehr finanzielle Mittel für Opferhilfe, eine Aufstockung der ermittelnden Kriminaldienststellen im Bereich Kindesmissbrauch und eine deutliche Verschärfung der Strafen.

Die Vorfälle in jüngster Zeit – Missbrauchsfälle in Schulen und Sommercamps und zuletzt die Anklage gegen Schauspieler Florian Teichtmeister wegen Besitzes einer enormen Menge an Missbrauchsbildern – hätten gezeigt, dass es Bewegung braucht, so Familienministerin Susanne Raab (ÖVP).

In den vergangenen Jahren habe sich die Zahl der bekanntgewordenen Fälle vervielfacht, was auch an den technischen Entwicklungen liege, so Raab. „Deshalb müssen wir die technischen und rechtlichen Möglichkeiten anpassen.“ Prävention, Aufklärung, härtere Strafen, verstärkter Opferschutz seien die Säulen des im Ministerrat vorgelegten Pakets. „Wir wollen Kinder besser schützen, Täter härter bestrafen und Opfern besser helfen.“

Paragraf mit neuem Namen und härteren Strafen

Nachdem sich in den vergangenen Tagen auch eine Debatte über den Begriff „Kinderpornografie“ entwickelt hat, der von nahezu allen Expertinnen und Experten als verharmlosend und falsch eingestuft wird, soll hier auch juristisch nachgeschärft und der entsprechende Paragraf im Strafgesetzbuch umbenannt werden. Der Begriff „Kinderpornografie“ suggeriere, dass Kinder freiwillig beteiligt wären, so Raab. „Es geht immer um die Darstellungen von sexuellem Missbrauch. Jeder, der sich diese Darstellungen anschaut, nimmt in Kauf, dass Kinder missbraucht werden.“

Grafik zum Strafrahmen für Darstellung von Kindesmissbrauch
Grafik: APA/ORF; Quelle: Ministerrat

Sowohl für die Herstellung und Verbreitung als auch für den Besitz von Missbrauchsdarstellungen werde der Strafrahmen deutlich angehoben, so Justizministerin Alma Zadic (Grüne). Die Regierung plant, die Strafe für den Besitz von Missbrauchsdarstellungen mündiger minderjähriger Personen von bisher bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf bis zu zwei Jahre zu erhöhen. Bei unmündigen minderjährigen Personen wird die Strafe von bisher bis zu zwei Jahren auf bis zu drei Jahre erhöht. Auch der Besitz einer „Vielzahl von Darstellungen“ soll zu höheren Strafen führen, wobei dieser Begriff aber erst definiert werden muss.

Wer eine Vielzahl von Missbrauchsdarstellungen einer minderjährigen Person herstellt oder einem anderen anbietet, soll künftig mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft werden. Bisher waren es bis zu zwei Jahre. Bei jenen Personen, die das zum Zweck der Verbreitung machen, wird die Mindeststrafdrohung von sechs Monaten auf ein Jahr erhöht. Erfolgt die Herstellung einer Vielzahl von Darstellungen einer minderjährigen Person explizit zum Zweck der Verbreitung, beträgt der Strafrahmen ein Jahr bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe.

Kinderschutzkonzepte für Bildungseinrichtungen

Im Bildungsministerium werde derzeit ein Gesetzesentwurf ausgearbeitet, der verpflichtende Kinderschutzkonzepte für Schulen vorsehe, so Raab. Für Vereine und Sporteinrichtungen werde es zudem ein Gütesiegel geben, wenn sie ein Kinderschutzkonzept nach internationalen Standards vorlegen könnten, ergänzte Zadic: „Dann wissen Eltern, dass ihre Kinder dort sicher sind.“

Maßnahmenpaket gegen Kindesmissbrauch

Im Zuge der durch den Fall Teichtmeister ausgelösten Debatte über Kindesmissbrauch und Missbrauchsdarstellungen hat die Regierung am Mittwoch ein Maßnahmenpaket zum Schutz von Kindern vorgestellt. Geplant sind unter anderem ein Gütesiegel für Einrichtungen, die ein Kinderschutzkonzept nach internationalen Standards befolgen, mehr finanzielle Mittel für Opferhilfe, eine Aufstockung der ermittelnden Kriminaldienststellen im Bereich Kindesmissbrauch und eine deutliche Verschärfung der Strafen.

Die dritte Säule des Maßnahmenpaktes neben härteren Strafen und Präventionskonzepten seien verbesserte und mehr Hilfsangebote für Opfer von sexuellem Missbrauch und Gewalt, so Raab. Die bestehenden Einrichtungen würden exzellente Arbeit leisten, dennoch sei es wichtig, mehr Ressourcen zu schaffen, um Betroffene psychologisch und juristisch besser begleiten zu können.

Raab kündigte an, dass die in allen Bezirken aufgestellten Familienberatungsstellen künftig mit drei Millionen Euro gefördert würden. Die Mittel seien speziell für zusätzliche Angebote für missbrauchsbetroffene Kinder und Jugendliche gedacht.

Kriminaldienstreform soll Ermittlungsseite stärken

Im Rahmen der schon länger geplanten und nun bevorstehenden Kriminaldienstreform werde ein eigener Ermittlungssonderbereich für das Delikt „Onlinekindesmissbrauch“ eingerichtet, der derzeit im Ermittlungsbereich Sexualdelikte ist. Das ist allerdings laut Bundeskriminalamt nicht aufgrund der aktuellen Debatte geplant, sondern bereits seit Längerem in Vorbereitung, „weil schon länger erkannt wurde, dass dieses Phänomen besonders betrachtet werden muss und entsprechende Anpassungen eingeplant wurden“.

Hilfe für Betroffene

Unter meldestelle@interpol.at nimmt eine eigene Meldestelle des Bundeskriminalamts Hinweise auf Missbrauchsdarstellungen entgegen.

Ebenfalls geplant ist der Einsatz spezieller Software, die Meldungen von Missbrauchsdarstellungen automatisch sortieren, kategorisieren und zusammenfassen soll. „Die Anschaffung dieser Software ist ebenfalls Teil der Kriminaldienstreform und wurde schon lange vor der aktuellen Diskussion in die Wege geleitet“, hieß es aus dem Bundeskriminalamt.

„Für effizienten Kinderschutz braucht es handfeste Mittel“, so Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP). Nachschärfen will man beim Tätigkeitsverbot, wo eine „zynische Lücke“ geschlossen werde, so Plakolm. Geplant sei zudem eine ressortübergreifende Kinderschutzkampagne, die das Wissen und Bewusstsein von Kindern stärken und ihnen zeigen soll, wo sie Hilfe bekommen. „Wir müssen als Gesellschaft hinschauen – null Toleranz für Kinderschänder.“

Für Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) sind die nun präsentierten Maßnahmen ein „wirksames Gesamtpaket“, das an drei Punkten ansetze und das bereits seit Monaten erarbeitet worden sei. „Ich glaube, dass wir mit der Aufstellung einen Meilenstein gesetzt haben“, so Rauch im Pressefoyer.

Details noch in Ausarbeitung

Kosten sollen die Maßnahmen ingesamt einmalig 2,12 Mio. Euro, im Weiteren sind jährlich neun Millionen Euro dafür geplant. Offen ist noch der Zeitraum, in dem die Vorhaben umgesetzt werden sollen. Laut Ministerin Zadic soll ein konkreter Gesetzestext noch im ersten Halbjahr 2023 ans Parlament übermittelt werden.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) äußerte sich in einer Aussendung am Vormittag zu den Gesetzesvorhaben. Die Darstellung sexuellen Missbrauchs an Kindern zähle zu den „abscheulichsten Delikten“, es sei daher gut, dass nun höhere Strafen kämen. „Es ist gut, dass sie jetzt kommen. Falsche Toleranz ist hier völlig fehl am Platz, jeder, der solche Delikte begeht, muss wissen, dass wir hier als Gesellschaft konsequent und hart handeln.“

Einheitliches Kinderschutzgesetz gefordert

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften, die Kinderschutzzentren, ECPAT sowie das Netzwerk Kinderrechte forderten am Mittwoch in einer gemeinsamen Aussendung „eine deutliche Stärkung des Kinderschutzes und die Auseinandersetzung mit Kinderrechten in Österreich und ein entsprechendes bundesweites Rahmengesetz“.

Alleine den Strafrahmen zu erhöhen reiche nicht aus, um Kinder zu stärken und zu schützen. „Nur durch ein Gesamtpaket ‚Kinderschutz neu‘“ könnten die eigenständigen Rechte der Kinder in Österreich sowie die staatlichen Verpflichtungen zu deren Gewährleistung sichergestellt werden, forderten die Kinderschutzorganisationen.

„Es steht außer Zweifel, dass der heute beschlossene Ministerratsvortrag eine erfreuliche Ansage Richtung Ausbau des Kinderschutzes in Österreich ist“, so Christian Moser, Geschäftsführer von SOS-Kinderdorf. Besonders wichtig seien die Kinderschutzkonzepte.

Doch genau hier sieht Moser die Schwächen des Pakets: „Wir brauchen diese Kinderschutzkonzepte, aber um sie wirksam werden zu lassen, braucht dieser Bereich der Präventionsarbeit deutlich mehr Mittel, als derzeit in Aussicht gestellt sind“, sagte Moser. Ebenso bedauerlich sei, dass Sport- und Kulturvereine nicht zur Etablierung von Kinderschutzkonzepten verpflichtet werden sollen.

Prävention „eine der wirksamsten Maßnahmen“

Möwe-Geschäftsführerin Hedwig Wölfl begrüßte ebenfalls vor allem die Kinderschutzkampagne. „Wir freuen uns sehr über diese Bewusstseinsbildung, die zum Hinschauen animieren soll.“ Prävention sei eine der wirksamsten Maßnahmen, bekräftigte Wölfl. Positiv bewertete sie auch die Verständigungspflicht, die Qualitätssicherung für Kinderschutz sowie die Kinderschutzkonzepte an Schulen.

„Das sind gute Schritte, die wir sehr begrüßen.“ Der höhere Strafrahmen schade nicht, Wölfl wies aber darauf hin, dass auch der derzeitige Rahmen kaum ausgeschöpft werde. Zudem würden auch Verfahren eingestellt, und es gebe eine riesige Dunkelziffer. Deshalb sei die geplante Aufklärungskampagne „so was von wichtig“. Was die vorgesehenen Mittel betrifft, könne man damit arbeiten. „Es ist einmal ein Anfang.“

Die Bundesjugendvertretung (BJV) forderte von der Regierung weitere Maßnahmen, um Kinder und Jugendliche in allen Lebensbereichen möglichst umfassend vor Gewalt zu schützen. „Wir brauchen in Österreich einen Ausbau von Prävention und einen stärkeren Kinderschutz vor allen Gewaltformen,“ hieß es in der Aussendung.

„Sexuelle Gewalt ist nur die Spitze des Eisbergs. Auch schon bei Herabwürdigung und Beschämung eines Kindes sowie körperlicher Gewalt muss es mehr Bewusstsein und Aufmerksamkeit geben.“ Den Schwerpunkt auf die Täter zu legen und sich auf höhere Strafen zu verständigen führe nicht automatisch zu besserem Kinderschutz. Beim Kinderschutz brauche es einen Fokus auf die Betroffenen. Es sei daher besonders wichtig, dass die Pläne der Regierung auch die psychosoziale Nachbetreuung für Betroffene beinhalten.

Höhere Strafen für Kriminalsoziologen „Populismus“

Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl, Leiter des Vienna Centre for Societal Security (VICESSE), sprach höheren Strafen jede präventive Wirkung ab und sprach von Populismus. „Es gibt keine Korrelation zwischen Strafhöhe und Abschreckung“, machte Kreissl unter Berufung auf zahlreiche Untersuchungen klar. Abschreckend für potenzielle Täter sei lediglich ein hohes Risiko, erwischt zu werden. Wichtig sei auch, dass die Strafe rasch auf die Tat folgt. Hier gebe es einen Wirkungszusammenhang.

Die angekündigten höheren Strafen seien eine „einfache, billige Methode“ der Regierung zu zeigen, „wir tun etwas“, meinte der Kriminalsoziologe. Es bringe nichts, aber „man kann es gut verkaufen“. Lange Gefängnisstrafen seien, was die Rückfallquote betrifft, kontraproduktiv. Diversion, sozialpädagogische Aufarbeitung und entsprechende Behandlung im Strafvollzug wären erfolgreicher. Sinnvoller in Sachen Prävention wäre es zu versuchen, zur Quelle vorzudringen und dort die Taten und die Verbreitung dieser Darstellungen zu unterbinden.