Österreichische Grenze
ORF.at/Lukas Krummholz
Neuer Anlauf

EU ringt um gemeinsame Asylpolitik

Die Europäische Union gerät angesichts der steigenden Migrationszahlen zunehmend unter Druck. Die EU-Innenminister und -ministerinnen treffen dazu am Donnerstag in Schweden zu informellen Beratungen zusammen. Im Zentrum stehen Rückführungen ausreisepflichtiger Asylwerber und dabei insbesondere die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern, wie der schwedische EU-Ratsvorsitz mitteilte. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sprach sich im Vorfeld einmal mehr für strengere Maßnahmen aus.

Die Rückführungsquote in der EU ist mit unter 30 Prozent seit Jahren niedrig. 2019 sind nach Angaben der EU-Kommission 29 Prozent jener Menschen ausgereist, die die EU-Staaten hätten verlassen müssen. 2021 lag die Quote nur noch bei 21 Prozent. Dabei hatte die Brüsseler Behörde laut dpa noch 2018 ein Ziel von rund 70 Prozent ausgerufen.

Die EU bemüht sich schon seit Langem um eine höhere Rückführungsquote. So präsentierte die EU-Kommission im April 2021 eine Strategie, die sich vor allem auf freiwillige Rückkehrer konzentrierte. Zudem will die EU mit ihrer Visapolitik Druck auf Länder ausüben, die nicht zur Rücknahme abgelehnter Schutzsuchender bereit sind.

Der Europäische Rechnungshof hatte im vergangenen Jahr festgestellt, dass die EU nicht „effizient genug“ mit Drittstaaten zusammenarbeitet. So bezeichneten die Prüfer die Schaffung von Anreizen für Drittländer zur Umsetzung ihrer Rückübernahmeverpflichtungen als unzureichend. Aus EU-Kreisen hieß es zuletzt hingegen, viele Drittstaaten würden ihren internationalen Verpflichtungen nicht nachkommen.

Rückführungen als „gemeinsame Verantwortung“

„Diejenigen, die nicht zum Aufenthalt in der Europäischen Union berechtigt sind, müssen in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden“, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson bereits am Dienstag in Brüssel. Zusammen mit der zuständigen EU-Beauftragten Mari Juritsch legte sie eine Strategie vor, die für mehr Rückführungen sorgen soll.

Auf ein neues Ziel wollten sich Johansson und Juritsch nicht festlegen. Das könne nur in Absprache mit den EU-Staaten geschehen. Um die Zahl der Rückführungen zu steigern, setzt die Behörde nun vor allem auf eine engere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten und EU-Behörden wie Frontex.

„Rückführungen sind eine gemeinsame Verantwortung“, sagte Juritsch. Vor allem in Drittstaaten, in denen es keine größeren politischen Hürden oder Probleme mit Grundrechten gebe, müssten mehr Menschen zurückgeschickt werden. Um die Glaubwürdigkeit des Asylsystems zu schützen und unerwünschte Grenzübertritte zu verhindern, brauche es außerdem mehr Tempo. Sie forderte, dass es in jedem EU-Land Berater geben sollte, die für mehr freiwillige Rückkehrer sorgten.

EU-Komissarin Ylva Johansson
Reuters/Heiko Becker
EU-Innenkommissarin Johansson sprach sich für mehr Rückführungen aus

EU-Kommissarin gegen Geld für Zäune

Johansson hat der Forderung von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nach einer Finanzierung des Ausbaus eines Grenzzauns an der bulgarisch-türkischen Grenze eine Absage erteilt. „Im EU-Budget ist dafür kein Geld vorhanden. Wenn wir also Geld für Mauern und Zäune ausgeben, bleibt kein Geld für andere Dinge übrig“, so Johansson am Donnerstag.

Innenminister Karner sagte am Donnerstag vor dem Treffen, das Thema werde „heftig diskutiert“, zuletzt sei aber „Bewegung in die Sache“ gekommen. Viele Länder an den Außengrenzen brauchten Hilfe, betonte der Innenminister im Hinblick auf seinen jüngsten Lokalaugenschein an der bulgarisch-türkischen Grenze. „Ich denke, dass viele Länder Interesse hätten, diesen Außengrenzschutz robuster zu machen“, sagte Karner. Dazu brauche es die Unterstützung der EU-Kommission „in unterschiedlicher Hinsicht“ etwa für technisches Gerät, aber auch „entsprechend, was die Zäune betrifft“.

Karner für „Asylbremse“

„Wir haben in Österreich die Asylbremse angezogen, jetzt brauchen wir auch Maßnahmen in Europa, um den Asylmissbrauch zu bekämpfen“, hatte Karner im Vorfeld des Treffens gesagt. Er forderte die EU-Kommission auf, dass sie ihre „Aufmerksamkeit auf den Schutz der Außengrenzen lenken, technische Verbesserungen finanzieren und rechtliche Anpassungen vornehmen“ solle.

Im Jahr 2022 wurden laut EU-Kommission in der EU fast 924.000 Asylanträge (Erst- und Folgeanträge) gestellt, ein Plus von 46,5 Prozent gegenüber 2021. Die meisten Asylantragsteller stammten demzufolge aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Im Jahr 2021 verzeichnete die EU insgesamt rund 630.000 Anträge.

„Zurückweisungsrichtlinie“ gefordert

Zudem forderte Karner im Vorfeld ein Pilotprojekt für Asylverfahren in einem EU-Land an der EU-Außengrenze, eine „Zurückweisungsrichtlinie“, mit der Einzelfallprüfungen nicht mehr erforderlich wären, Asylverfahren in sicheren Drittstaaten, die leichtere Aberkennung des Schutzstatus nach der Verfahrensrichtlinie auch bei nicht schweren Straftaten und mehr Unterstützung von EU-Staaten für Frontex an der EU-Außengrenze und in Drittstaaten.

Die von ihm vorgeschlagene „Zurückweisungsrichtlinie“ soll seiner Ansicht nach „dabei helfen, alle, die aus wirtschaftlichen Gründen illegal nach Europa kommen, bereits an der Außengrenze abzuweisen“. Bei einer Zurückweisungsrichtlinie wären Einzelfallprüfungen nicht mehr erforderlich. Mit einer solchen Richtlinie würden die Zurückweisungen ohne Asylantragsprüfung in Fällen ermöglicht, in denen ohnehin keine Aussicht auf Asyl bestehe, so die Argumentation der ÖVP-Regierungsspitze im Bund.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP)
APA/Roland Schlager
Karner erwartet von der EU weitere finanzielle Unterstützung für den Außengrenzschutz

Dänemark: Vorerst kein Asylzentrum in Ruanda

Dänemark hat unterdessen am Mittwoch angekündigt, sein umstrittenes Projekt, Asylbewerber nach Ruanda zu schicken, vorerst auszusetzen. Stattdessen wolle man sich für eine EU-weite Lösung einsetzen. Die bereits begonnenen Verhandlungen über die Einrichtung eines dänischen Aufnahmezentrums in Ruanda würden vorerst nicht fortgesetzt, sagte der neue Einwanderungsminister Kaare Dybvad in der Zeitung „Altinget“ vom Mittwoch.

Um die Zahl der durch Europa reisenden Migrantinnen und Migranten zu reduzieren, fordern zudem die Niederlande von Staaten wie Italien und Griechenland, Schutzsuchende an den EU-Außengrenzen besser zu registrieren. Die Dublin-Regeln, laut denen meist jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig ist, auf dessen Boden der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat, sollten zügig durchgesetzt werden, heißt es in einem Positionspapier, das der dpa vorliegt.

Auch Ukraine-Krieg Thema

In Stockholm wird Karner neben dem dänischen Migrationsminister und Migrationsminister Eric van der Burg aus den Niederlanden unter anderen mit EU-Innenkommissarin Johannson, der schwedischen Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard sowie der Schweizer Bundesrätin (Ministerin) Elisabeth Baume-Schneider zu multilateralen Gesprächen zusammentreffen.

Ebenfalls auf der Agenda der EU-Innenminister stehen der Kampf gegen organisierte Kriminalität sowie der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Über diese beiden Themen beraten auch die EU-Justizminister, darunter Ressortchefin Alma Zadic (Grüne), am Freitag.

Gemeinsame Asylpolitik seit Jahren Streitthema

Seit Jahren streiten die EU-Mitgliedsstaaten über eine gemeinsame Migrationspolitik. Versuche, Europas Asylsystem zu reformieren, scheiterten immer wieder. Das Versäumnis Brüssels, Artikel 25a besser anzuwenden – mit dem EU-Visavorteile für Länder ausgesetzt werden können, die nicht berechtigte Migranten nicht zurücknehmen – unterstreiche die Frustration von Ländern, die glauben, dass die Antwort auf illegale Migration nicht in neuen Ideen, sondern in einer besseren Umsetzung bestehender Ideen liegen könnte, so die „Financial Times“ („FT“).

EU Innenminister unterhalten sich
APA/AFP/John Thys
Bereits im November fand ein außerordentliches Treffen der EU-Innenminister statt

Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft rückt nun angesichts der steigenden Migrationszahlen und des Drucks einiger EU-Staaten wie Österreich das Thema wieder in den Mittelpunkt und strebt laut eigenen Angaben in den kommenden Monaten Fortschritte bei der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik an.

Der Schwerpunkt soll zunächst auf den Beziehungen mit Drittstaaten – also Herkunfts- und Transitländern – liegen. „Ich bin sehr optimistisch, dass wir eine vernünftige Basisarbeit leisten können“, sagte zuletzt der schwedische EU-Botschafter Lars Danielsson in Brüssel. Man sehe sich mit Österreich in Migrationsfragen auf einer Linie, so die schwedische Botschafterin Annika Markovic. Am 9. und 10. Februar findet dazu ein EU-Sondergipfel in Brüssel statt. Eine Einigung auf den Asyl- und Migrationspakt soll noch vor der Europawahl 2024 erzielt werden, also spätestens im Frühling unter belgischer EU-Ratspräsidentschaft.