Kinder auf der Straße
Getty Images/Elena Medoks
Kinderschutzpaket

Lob für die Richtung, Kritik an Details

Das von der Regierung am Mittwoch präsentierte Kinderschutzpaket hat bei Expertinnen und Experten für gespaltene Reaktionen gesorgt. Einig ist man sich weitgehend dabei, dass vor allem die Präventions- und Opferhilfepläne in die richtige Richtung gehen, wenn auch nicht für alle weit genug. Skepsis gibt es an der finanziellen Ausgestaltung, von einigen Seiten gibt es Kritik an der Erhöhung des Strafmaßes für Herstellung, Verbreitung und Besitz von Missbrauchsdarstellungen.

Die strukturell bedingten Defizite im Kinderschutz stehen seit einigen Monaten im besonderen Fokus. Kinderschutzorganisationen – die Kinder- und Jugendanwaltschaften, die Kinderschutzzentren, ECPAT sowie das Netzwerk Kinderrechte – zeigten schon mehrfach „die großen Lücken der bestehenden Rahmenbedingungen und Gesetzeslage“ auf. Sie forderten am Mittwoch „eine deutliche Stärkung des Kinderschutzes und die Auseinandersetzung mit Kinderrechten in Österreich sowie ein entsprechendes bundesweites Rahmengesetz“, hieß es in einer Aussendung.

Alleine den Strafrahmen zu erhöhen, reiche nicht aus, um Kinder zu stärken und zu schützen. Nur durch ein Gesamtpaket ‚Kinderschutz neu‘ können die eigenständigen Rechte der Kinder in Österreich sowie die staatlichen Verpflichtungen, ebendiese zu gewährleisten, auch sichergestellt werden, forderten die Kinderschutzorganisationen. Die Österreichischen Kinderschutzzentren vermissten in einer Aussendung den Ausbau von auf Gewalt spezialisierten Kinderschutzorganisationen.

Maßnahmenpaket gegen Kindesmissbrauch

Im Zuge der durch den Fall Teichtmeister ausgelösten Debatte über Kindesmissbrauch und Missbrauchsdarstellungen hat die Regierung am Mittwoch ein Maßnahmenpaket zum Schutz von Kindern vorgestellt. Geplant sind unter anderem ein Gütesiegel für Einrichtungen, die ein Kinderschutzkonzept nach internationalen Standards befolgen, mehr finanzielle Mittel für Opferhilfe, eine Aufstockung der ermittelnden Kriminaldienststellen im Bereich Kindesmissbrauch und eine deutliche Verschärfung der Strafen.

„Erfüllt langjährige Forderungen“

„Das Paket ist wirklich sehr positiv und erfüllt langjährige Forderungen“, so Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation die möwe. Die Expertin begrüßte vor allem die Kinderschutzkampagne. „Wir freuen uns sehr über diese Bewusstseinsbildung, die zum Hinschauen animieren soll. Toll, dass sich die Regierung dazu durchgerungen hat, hier den Fokus zu setzen.“ Prävention sei eine der wirksamsten Maßnahmen, bekräftigte Wölfl. Positiv bewertete sie u. a. auch die Verständigungspflicht, die Qualitätssicherung für Kinderschutz sowie die Kinderschutzkonzepte an Schulen. „Das sind gute Schritte, die wir sehr begrüßen.“

Der Strafrahmen müsse dem Delikt angemessen sein und die Erhöhung „schadet nicht“. „Aber ich muss auch sagen, dass der derzeitige Rahmen derzeit kaum ausgeschöpft wird.“ Zudem würden auch Verfahren eingestellt, und es gebe eine riesige Dunkelziffer. Deshalb sei die geplante Aufklärungskampagne „so was von wichtig“. Wölfl wünscht sich eine weitere Stärkung der Kinderschutzzentren und -einrichtungen, die es für die Betreuung bei Verdachtsfällen und bei der Prozessbegleitung unbedingt brauche. Der niedergelassene Bereich könne gegebenenfalls für die Nachbehandlung genutzt werden. Was die vorgesehenen Mittel betrifft, könne man damit arbeiten. „Es ist einmal ein Anfang.“

Experte: Viele Täter minderjährig

Viel Positives erkennt auch Christoph Koss, Geschäftsführer des Vereins Neustart. Begrüßenswert sei, dass verstärkt in Ermittlungsarbeit und Aufklärung investiert werden soll. Ein Aspekt sei in der Debatte um Paragraf 207a (Darstellung von Kindesmissbrauch) besonders wichtig: Von den 2.147 Tatverdächtigen (im Jahr 2021) waren 1.073 selbst minderjährig. „Diese Kinder und Jugendlichen handeln aus ganz anderen Motiven als pädophile Sexualstraftäter. Diesen Teil des Problems wird das Strafrecht nicht lösen können“, sagte Koss. „Für Täter, die selbst noch Kinder oder Jugendliche sind, braucht es sozialpädagogische Angebote.“

Strafen hätten laut dem Experten über alle Altersgruppen hinweg dann eine nachhaltige rückfallpräventive Wirkung, wenn sie mit einem guten Therapieangebot einhergehen. „Auch das berücksichtigt der Ministerratsvortrag.“ Ebenfalls wichtig sei es, dass zusätzliche Präventionsangebote ausgebaut werden, an die sich Personen wenden können, die zwar noch nicht straffällig geworden sind, aber bemerken, dass sie sich zu Kindern hingezogen fühlen. „Wenn diese Menschen flächendeckend anonym und kostenlos Zugang zu Therapie bekommen, werden Kinder geschützt, indem diese Personen nie zu Tätern werden“, meinte Koss.

Zweifel an Wirkung höherer Strafen

Karin Gölly, stellvertretende Vorsitzende der Gewaltschutzzentren Österreichs, meinte, es sei alles begrüßenswert, was dem Kinderschutz dient. Sie persönlich finde es schade, dass es einen prominenten Fall benötigt habe, damit man aktiv wird. Reflexartig höhere Strafen zu fordern, sei problematisch. „Aber es ist ein Signal, ob es präventiv wirkt, ist die Frage.“ Der aktuelle Strafrahmen würde gar nicht ausgenützt.

„Es gibt keine Korrelation zwischen Strafhöhe und Abschreckung“, machte Kreissl unter Berufung auf zahlreiche Untersuchungen klar. Abschreckend für potenzielle Täter sei lediglich ein hohes Risiko, erwischt zu werden. Wichtig sei auch, dass die Strafe rasch auf die Tat folgt. Hier gebe es einen Wirkungszusammenhang.

Grafik zum Strafrahmen für Darstellung von Kindesmissbrauch
Grafik: APA/ORF; Quelle: Ministerrat

Die angekündigten höheren Strafen seien eine „einfache, billige Methode“ der Regierung zu zeigen, „wir tun etwas“, meinte der Kriminalsoziologe. Es bringe nichts, aber „man kann es gut verkaufen“. Lange Gefängnisstrafen seien, was die Rückfallquote betrifft, kontraproduktiv. Diversion, sozialpädagogische Aufarbeitung und entsprechende Behandlung im Strafvollzug wären erfolgreicher.

Sinnvoller in Sachen Prävention wäre es zu versuchen, zur Quelle vorzudringen und dort die Taten und die Verbreitung dieser Darstellungen zu unterbinden. Dazu benötige man Massenüberprüfungen im Netz, um den Tausch von Bildern zu stoppen. In den USA habe man etwa Profile von Kreditkartentransaktionen erstellt und sei den Tätern auf die Spur gekommen. In Europa sei den Behörden diesbezüglich aufgrund des Datenschutzes die Hände gebunden, meinte Kreissl, der nicht die Forderung erheben wollte, diesen aufzuweichen.

Verständigungspflicht „mit Augenmaß“

Was die mögliche Verständigungspflicht der Strafverfolgungsbehörden an Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie Vereine betrifft, wenn dort durch den Verdächtigen eine akute Gefahr für Kinder ausgehen könnte, meldeten sich Verfassungsrechtler im ORF-Mittagsjournal zu Wort: Bernd-Christian Funk meinte, man müsse mit Augenmaß vorgehen, da die Gefahr bestünde, dass bei Beschuldigungen, die keine Substanz haben, Schäden entstehen, die nicht mehr wiedergutgemacht werden können. „Auf der anderen Seite ist schon klar, dass alle Möglichkeiten der Prävention genützt werden sollen.“

Laut dem WU-Professor Harald Eberhard geht es um eine Abwägung zwischen Kinderrechten und jenen des Beschuldigten auf Privat- und Familienleben. Sollte das Vorhaben umgesetzt werden, müsse es eine Ausnahme von der Amtsverschwiegenheit geben. Zudem sollte die Verständigungspflicht schon für die Kriminalpolizei gelten, sofern ein begründeter Verdacht vorliegt. Ansonsten könne es in langen Verfahren zu Amtshaftungsansprüchen kommen, wenn nicht entsprechend gehandelt wurde.

Weitere Schritte gefordert

Die Bundesjugendvertretung (BJV) begrüßt den Willen der Regierung, den Gewaltschutz anzupassen. „Das vorgestellte Paket ist ein wichtiger Schritt, aber weitere müssen folgen, um Kinder und Jugendliche in allen Lebensbereichen möglichst umfassend vor Gewalt zu schützen. Es reicht nicht, immer nur zu reagieren, wenn bereits etwas passiert ist – wie jetzt im Fall Teichtmeister. Wir brauchen in Österreich einen Ausbau von Prävention und einen stärkeren Kinderschutz vor allen Gewaltformen“, forderte die BJV via Aussendung.

„Sexuelle Gewalt ist nur die Spitze des Eisbergs. Auch schon bei Herabwürdigung und Beschämung eines Kindes sowie körperlicher Gewalt muss es mehr Bewusstsein und Aufmerksamkeit geben“, erklärte BJV-Vorsitzender Sabir Ansari. Den Schwerpunkt auf die Täter zu legen und sich auf höhere Strafen zu verständigen, führe nicht automatisch zu besserem Kinderschutz, betonte Ansari. Beim Kinderschutz brauche es einen Fokus auf die Betroffenen. Es sei daher besonders wichtig, dass die Pläne der Regierung auch die psychosoziale Nachbetreuung für Betroffene beinhalten.

Die Regierung plant auch Kinderschutzkonzepte zu implementieren. Dieses Vorhaben lässt aus Sicht der BJV Lücken. „Kinder haben ein besonderes Schutzbedürfnis. Ihre Sicherheit und ihr Wohl müssen in jeder Lebensphase gewährleistet sein, egal ob im Kindergarten, in der Schule oder während der Freizeit. Wir fordern verpflichtende, qualitative Kinderschutzkonzepte in allen Sektoren“, forderte die Bundesjugendvertretung.

Wunsch nach rascher Umsetzung

Auch SOS-Kinderdorf begrüßte die Pläne zu Kinderschutzmaßnahmen der Regierung. Den Absichtserklärungen müssen nun auch zeitnah die Umsetzungsschritte folgen, so die Forderung. Geschäftsführer Christian Moser bedauerte in einer Aussendung, dass Sport- und Kulturvereine nicht zur Etablierung von Kinderschutzkonzepten verpflichtet werden. „Es ist bereits abzusehen, dass jene Organisationen, die den Kinderschutz ernst nehmen und leben, sich mit ihren Kinderschutzkonzepten zertifizieren lassen werden. Aber gerade die, bei denen eine Sensibilisierung und bessere Schutzstandards am wichtigsten wären, werden das nicht tun. Hier bleibt also eine enorme Schutzlücke zu befürchten“, meinte Moser.

Auch die Kinderfreunde begrüßten das Paket und forderten weitergehende Maßnahmen. Dass der Fokus auf dem Schutz vor sexueller Gewalt liegt, „ist für uns eine Verengung, die keinen Sinn macht. Gewalt hat viele Gesichter, daher muss auch die österreichweite Kinderschutzstrategie vielschichtig sein. Kinderschutz darf nicht ausschließlich auf den Schutz vor sexueller Gewalt reduziert werden – es ist ein ganzheitliches Thema“, betonte Daniela Gruber-Pruner, Bundesgeschäftsführerin der Kinderfreunde. Sie forderte verpflichtende Kinderschutzkonzepte für alle Strukturen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Auch UNICEF Österreich begrüßte ebenso wie die Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit (Kinderliga) das Maßnahmenpaket.

FPÖ sieht Mogelpackung, SPÖ und NEOS zufrieden

Die FPÖ sieht im Regierungsvorhaben eine „Mogelpackung und ein Ablenkungsmanöver“. Die Mindeststrafen sind anzuheben und jeder Missbrauch von Kindern als „schwerer Missbrauch“ einzustufen, forderte sie via Aussendung. Der SPÖ-Sprecher für Kinder und Kinderrechte, Christian Oxonitsch, begrüßte das Maßnahmenpaket. Er zeigte sich „zufrieden, dass die Bundesregierung in weiten Teilen den Forderungen der SPÖ“ entspricht. Strafen alleine hätten „noch keine Verbesserung des Kinderschutzes bedeutet“.

Ähnlich sieht das NEOS. Weil härtere Strafen alleine nicht reichen, „begrüßen wir die Ankündigung, dass es auch mehr Geld für Prävention, Aufklärung und Opferschutz geben soll. Mehr als eine Ankündigung ist das alles aber noch nicht. Wir werden genau darauf schauen, dass das auch umgesetzt wird“, meinte NEOS-Justizsprecher Johannes Margreiter.