Der britische Premier Rishi Sunak
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Großbritannien

Torys kommen nicht aus Krisenmodus

Die britische Tory-Regierung kommt nicht aus dem Krisenmodus. Am Sonntag entließ Regierungschef Rishi Sunak den Generalsekretär der Konservativen Partei, Nadhim Zahawi, und warf ihn auch aus dem Kabinett. Der frühere Finanzminister stand wegen eines Steuerstreits seit Tagen in der Kritik. Doch auch Sunak kann in seinen fast hundert Tagen Amtszeit kaum Positives für sich verbuchen.

Der 55-jährige Zahawi hatte der nationalen Steuerbehörde Medienberichten zufolge eine siebenstellige Summe gezahlt, um einen Disput über seine Steuerangelegenheiten beizulegen. Zahawi gab das auch zu, ohne jedoch eine konkrete Summe zu nennen. Dem Ex-Minister wird vorgeworfen, im Rahmen seiner Rolle als Aktionär der von ihm mitgegründeten Meinungsforschungsfirma YouGov eine Offshore-Firma in Gibraltar genutzt zu haben. Zahawi gehörte dem Kabinett zuletzt als Minister ohne Geschäftsbereich an.

In seinem Brief an Zahawi schrieb Sunak, er sei als Premier angetreten, um eine Regierung anzuführen, die auf jeder Ebene für Integrität, Professionalität und Verantwortlichkeit stehe. Eine von ihm angeordnete Untersuchung habe ergeben, dass bei Zahawi ein „ernsthafter Bruch der ministeriellen Regeln“ vorliege. Laut Untersuchung machte Zahawi irreführende Angaben über seinen Konflikt mit den Steuerbehörden. Er hatte vor Kurzem gesagt, er habe die Auseinandersetzung mit den Steuerbehörden beigelegt.

Nadhim Zahawi, Generalsekretär der Konservativen Partei
AP/Kin Cheung
Zahawi soll absichtlich falsche Angaben gemacht haben

„Rückkehr des Tory-Sumpfes“

Der Vorgang ist ein weiterer Rückschlag für die Konservative Partei, die vor der im kommenden Jahr anstehenden Parlamentswahl mit niedrigen Umfragewerten kämpft. „Die Rückkehr des Tory-Sumpfes“, titelte die Zeitschrift „Spectator“, die als Hausblatt der Konservativen gilt.

Labour-Oppositionschef Keir Starmer lästerte über seinen Gegenspieler Sunak: „Fragt er sich langsam, ob dieser Job einfach zu groß für ihn ist?“ Es ist nicht der erste Minister, der in den ersten hundert Tagen der Sunak-Regierung aus dem Kabinett schied: Ex-Staatsminister Gavin Williamson musste wegen Mobbingvorwürfen seinen Hut nehmen.

Dritter Premier binnen eines Jahres

Eigentlich hätte Sunak frischen Wind und Beständigkeit in die Regierung bringen sollen, doch die Torys scheinen sich von den Irrungen und Wirrungen der letzten Jahre nicht und nicht erholen zu können. „Integrität, Professionalität und Rechenschaftspflicht auf allen Ebenen“ kündigte Sunak zu seinem Amtsantritt am 25. Oktober an, als dritter Premier binnen eines Jahres. Der einflussreiche Bauminister Michael Gove versprach damals, die Regierung sei fest entschlossen, „so langweilig wie möglich zu sein“.

Der britische Premier Rishi Sunak
AP/UK Parliament/Jessica Taylor
Sunak sollte nach seinen chaotischen Vorgängern Ruhe in die eigenen Reihen bringen

Zunächst schaffte es Sunak, die Finanzmärkte wieder zu beruhigen, die durch die erratische Wirtschaftspolitik seiner direkten Vorgängerin Liz Truss ins Chaos gestürzt worden waren. Er versprach unter anderem, Schulden zu verringern und die Wartezeiten in der Gesundheitsversorgung zu senken. In die eigenen Reihen soll Sunak bisher zumindest teilweise Ruhe gebracht haben, doch in der Bevölkerung brodelt es schon seit Monaten.

Streiks und Unmut in Bevölkerung

Anfang des Jahres sorgten Meldungen, wonach 300 bis 500 Menschen pro Woche in Großbritannien sterben, weil sie bei Notfällen nicht rechtzeitig oder nicht angemessen versorgt werden, für Schlagzeilen. Der Vizepräsident des Royal College of Emergency Medicine, Ian Higginson, wies die Vermutung zurück, dass es sich um vorübergehende Schwierigkeiten handle: „Wenn man an Ort und Stelle ist, weiß man, dass es sich um ein langfristiges Problem handelt, nicht nur um ein kurzfristiges.“ Die British Medical Association, ein Verband der Pflegekräfte, schloss sich den alarmierenden Erklärungen an.

Die Regierung machte die Folgen der Coronavirus-Pandemie und die Grippewelle für die Situation verantwortlich und versicherte, mehr für Krankenhäuser tun zu wollen. In seinen Neujahrsgrüßen nannte Sunak das staatliche Gesundheitssystem NHS eine seiner Prioritäten

Der NHS leidet seit Jahren unter harten Sparmaßnahmen. Zuletzt gab es mehrere Streiks von Beschäftigten im Gesundheitswesen, unter anderem des Pflegepersonals und der Rettungsdienste. Sie fordern höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Trotz Rekordinflation lehnt die Regierung Lohnerhöhungen ab.

Experte sieht „schwachen Anführer“

Der Politologe Tim Bale von der renommierten Londoner Queen Mary University sagte gegenüber der dpa, Sunak habe parteiintern größere Widerstände nur verhindert, weil er den Forderungen parteiinterner Gegner nachgegeben habe. „Er hat sich zudem als schwacher Anführer gezeigt, weil er mehrere skandalumwitterte Kabinettsmitglieder nicht entlassen oder sogar erst eingestellt hat“, sagte Bale noch vor der Entlassung von Zahawi. Gegen Vizepremierminister Dominic Raab gibt es etwa Mobbingvorwürfe.

Sunak stelle sich als wirtschaftlich klug dar, so Bale weiter. Allerdings sei seine Politik nicht der Grund für die leicht gesunkene Inflation oder geringes Wirtschaftswachstum. Im Tarifstreit im öffentlichen Dienst gebe sich Sunak demonstrativ hart. Doch die Sympathie der Wähler sei aufseiten der streikenden Pflegekräfte, und Sunak wirke wegen seiner Härte vor allem „gemein“, sagte Bale.

Schweres Erbe von Johnson und Truss

Allerdings ist für Bale Sunak nicht alleine für den schlechten Zustand der Partei verantwortlich, die in Umfragen deutlich hinter der oppositionellen Labour-Partei liegt. Sunak habe „von seinen Vorgängern eine furchtbare wirtschaftliche und politische Position geerbt und keine andere Wahl, als sich als denjenigen darzustellen, der das Chaos aufräumt“. Es sei aber schwierig, den skandalumwitterten Boris Johnson und Truss als verantwortlich für das Chaos zu bezeichnen, da diese zahlreiche Gefolgsleute im Parlament hätten.

Für die Partei und Sunak selbst sehe es derzeit laut Umfragen jedenfalls „ziemlich düster aus“, so Bale. Am 1. Februar ist es hundert Tage her, dass Sunak von der Tory-Fraktion ohne Wahl zum neuen Parteichef gekürt und einen Tag später Premierminister wurde. Die nächste Parlamentswahl ist für 2024 geplant.