Am Freitag hatte ein bewaffneter Palästinenser vor einer Synagoge in Ostjerusalem sieben Menschen getötet, am Samstag folgte ein weiterer Anschlag, bei dem ein 13-jähriger Palästinenser zwei Israelis schwer verletzte. Einen Tag vor dem Anschlag vor der Synagoge waren bei einer Razzia der israelischen Armee im palästinensischen Flüchtlingslager Dschenin im Norden des besetzten Westjordanlands zehn Palästinenser getötet worden.
Am Montag töteten israelische Truppen im Westjordanland einen palästinensischen Autofahrer. Nach Angaben der israelischen Armee hatte das Auto zuvor einen Soldaten angefahren. Damit stieg die Zahl der in diesem Monat im Westjordanland und in Ostjerusalem getöteten Palästinenser auf 35.
Blinken sucht in Nahost nach Deeskalation
US-Außenminister Antony Blinken besucht Israel und die Palästinensergebiete inmitten einer neuen Welle der Gewalt. Das große Überthema der Reise: Deeskalation.
Aufruf zur Spannungsberuhigung
Durch die in den vergangenen Tagen eskalierte Gewalt erhielt Blinkens seit Langem geplante Reise verschärfte Dringlichkeit. Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen von Tel Aviv verurteilte Blinken all jene, die die Gewalt in Jerusalem und „alle anderen Terrorakte, die unschuldige Menschenleben kosten“, zelebrierten.
„Es liegt in der Verantwortung eines jeden, Maßnahmen zu ergreifen, um die Spannungen zu beruhigen, anstatt sie zu schüren“, sagte der US-Chefdiplomat. Das sei der einzige Weg, die wachsende Welle der Gewalt zu stoppen, „der schon zu viele Menschenleben zum Opfer gefallen sind – zu viele Israelis und zu viele Palästinenser.“

Bereits zuvor hatte Blinken bei einem Besuch in Ägypten „alle Parteien“ aufgefordert, „die Lage zu beruhigen und die Spannungen zu deeskalieren“. Ägypten ist ein wichtiger Vermittler im Nahostkonflikt. Blinken traf mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi und Außenminister Sameh Schukri zusammen, bevor er nach Israel weiterreiste. Am Montag traf er in Jerusalem noch den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, am Dienstag wird er Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah besuchen.
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Abbas’ Autonomiebehörde warnte am Wochenende vor einer weiteren Verschlechterung der Sicherheitslage. In einer Mitteilung hieß es, die palästinensische Führung mache die israelische Regierung „voll verantwortlich für die gefährliche Eskalation“ dieser Tage. Diese sei das Ergebnis fortgesetzter „Verbrechen“ am palästinensischen Volk. Die Autonomiebehörde versuchte so offenkundig, den Terroranschlag vom Freitagabend, den schlimmsten eines Palästinensers seit 15 Jahren in Israel, zu rechtfertigen.
Doch Netanjahu, der seit einem Monat eine von religiösen Fundamentalisten und rechten Extremisten geprägte Koalition anführt, reagierte auf diesen Anschlag mit harten Maßnahmen. So soll die Präsenz von Sicherheitskräften verstärkt werden, und es soll mehr präventive Festnahmen geben. Daneben werde man, wie Netanjahu am Sonntag verkündete, Angehörigen von Attentätern bzw. Attentätern, die Terrorismus unterstützen, Sozialversicherungsansprüche sowie Gesundheitsleistungen entziehen.

Mehr Waffen, größere Siedlungen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, „die Terrorismus unterstützt haben“, sollen ohne weitere Anhörung entlassen werden. Und im Kabinett wurde auch darüber diskutiert, „terrorunterstützenden“ Familien ihren israelischen Aufenthaltstitel zu entziehen. Der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, befürwortet gar die Todesstrafe für Palästinenser, die wegen der Tötung von Israelis verurteilt werden, sowie Straffreiheit für israelische Soldaten und Polizistinnen. Wie schon bisher üblich sollen Häuser von Attentätern versiegelt und abgerissen werden.
Die Pläne der Netanjahu-Regierung gehen aber noch weiter. So sollen die Richtlinien für das Tragen von Feuerwaffen gelockert werden, sodass „Tausende zusätzliche Bürger Waffen tragen können“, wie Ben-Gvir sagte. Zudem soll der Siedlungsbau in den besetzten Gebieten gestärkt werden. Damit wolle man „den Terroristen, die uns aus unserem Land entwurzeln wollen, klarmachen, dass wir hier bleiben“, sagte Netanjahu.
Bei Zweistaatenlösung auf Konfrontation mit USA
Damit begibt er sich jedoch auf Konfrontationskurs mit Israels wichtigstem Bündnispartner, den USA. Blinken hatte die Siedlungspolitik im besetzten Westjordanland erst im vergangenen Monat mit deutlichen Worten kritisiert. „Wir werden uns auch weiterhin unmissverständlich allen Handlungen entgegenstellen, die die Aussichten auf eine Zweistaatenlösung untergraben“, sagte er.
Am Montag nach seinem Treffen mit Netanjahu wiederholte er seine Einstellung, wenn auch verbindlicher formuliert: Ziel sei aus Sicht der USA weiterhin, dass Palästinenserinnen und Palästinenser sowie Israelis in Zukunft in gleichem Maße „Freiheit, Sicherheit, Gelegenheiten, Gerechtigkeit und Würde genießen können“. Die Zweistaatenlösung sei weiterhin der beste Weg dafür.
Riesige Militärübung mit Blick auf Iran
Einig zeigten sich Netanjahu und Blinken in Bezug auf den Iran: Man werde es Teheran nicht erlauben, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen. „Wir haben über Wege gesprochen, die Zusammenarbeit zu vertiefen, um uns den destabilisierenden Aktivitäten des Iran in der Region und darüber hinaus entgegenzustellen“, sagte Blinken. „So wie der Iran lange Terroristen unterstützt hat, die Israelis und andere angreifen, liefert das Regime nun Drohnen, die Russland dazu einsetzt, unschuldige ukrainische Zivilisten zu töten.“ Moskau liefere dem Iran im Gegenzug hochmoderne Waffen.
Erst vor wenigen Tagen hatten die USA mit Israel eine großangelegte Militärübung abgeschlossen. Nach Medienberichten handelte es sich um die größte Militärübung, die Israel und die USA je gemeinsam abgehalten haben.
Der ehemalige Chef des israelischen Militärgeheimdienstes, Amos Jadlin, sagte dazu am Montag: „Ich habe noch nie ein so riesiges Training Israels und der USA gesehen, mit den Flugzeugen und Plattformen, die eingesetzt würden, falls wir die militärische Option wählen.“ Er habe keinen Zweifel daran, dass die militärische Option in den Vordergrund gerückt sei. „Wenn man keine glaubhafte militärische Option hat, wird die Diplomatie nie Erfolg haben.“ Ein militärischer Schlag gegen die iranischen Atomanlagen sei jedoch der letzte Ausweg, wenn alle anderen Mittel gescheitert seien.