Wagner-Söldner in Soledar
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Häftlinge in Wagner-Gruppe

Warnung vor Gewalt durch Heimkehrer

Zehntausende Häftlinge sind durch die Wagner-Gruppe, das russische Söldnerunternehmen, in die Kämpfe in der Ukraine eingebunden. Ihre Überlebenschancen gelten als gering. Überleben die Häftlinge allerdings ihre Zeit an der Front, werden sie freigelassen – ohne dass an die Konsequenzen gedacht wird. Die „New York Times“ warnt vor einer Gewaltwelle in Russland durch die nun militärisch ausgebildeten und an der Front brutalisierten und traumatisierten ehemaligen Strafgefangenen.

Die Wagner-Gruppe gehört dem Oligarchen Jewgeni Prigoschin, der wegen seiner guten Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin auch als „Putins Koch“ bekannt ist. Prigoschin rekrutierte in den russischen Gefängnissen Tausende Häftlinge für den Krieg gegen die Ukraine. Dabei versprach er den Gefangenen die Freilassung nach Ende ihres Vertrags, er drohte aber zugleich mit standrechtlichen Hinrichtungen und mit Massenexekutionen, sollten sie versuchen zu fliehen.

Nach US-Erkenntnissen kämpfen oder kämpften etwa 50.000 Wagner-Söldner in der Ukraine. Darunter seien 40.000 Häftlinge, die eben von Prigoschin aus russischen Gefängnissen rekrutiert worden seien. Das sei der größte militärische Einsatz von Häftlingen seit dem Zweiten Weltkrieg, schreibt die „New York Times“ weiter.

Yevgeny Prigozhin mit Vladimir Putin auf einer Archivaufnahme 2010
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Prigoschin und Putin auf einer Archivaufnahme 2010

Mehrfachmörder und Serienvergewaltiger angeheuert

Nach ukrainischen Angaben werden rekrutierte Häftlinge als Kanonenfutter eingesetzt. Laut diesen ukrainischen Angaben, die nicht überprüft werden können, sollen rund 30.000 Häftlingssöldner desertiert, getötet oder verwundet worden sein. Teils überleben die Häftlinge die Einsätze nach ihrer Ankunft nur Stunden oder Tage, so die „New York Times“ mit Verweis auf Menschenrechtsgruppen. „Uns wurde gesagt: ‚Mach weiter, bis du getötet wirst‘“, zitiert die Zeitung einen Häftling, dem die Flucht von der Front gelang.

Die meisten Strafgefangenen sollen wegen Delikten wie etwa Diebstahl und Raub inhaftiert gewesen sein, so die „New York Times“. Doch Unterlagen, die die Zeitung laut eigenen Angaben eingesehen haben soll, zeichnen noch ein anderes Bild. So sollen auch Mehrfachvergewaltiger und Mehrfachmörder unter den Söldnern gewesen sein. Überleben sie, gilt auch für sie die Abmachung der Freilassung.

Wagner-Söldner in Soledar
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Ein Wagner-Söldner Ende Jänner in Soledar

Freilassung legal?

„Es gibt keine Verbrechen und keine Strafen mehr“, so Olga Romanova, die Leiterin der NGO „Russland hinter Gittern“. „Alles ist jetzt erlaubt, und das bringt sehr weitreichende Folgen für jedes Land“, zeichnet Romanova ein düsteres Bild in der „New York Times“.

Anfang Jänner wurden nun die ersten rekrutierten Ex-Häftlinge in die Freiheit entlassen. Die russische Nachrichtenagentur zeigte Bilder von Prigoschin, wie er den früheren Strafgefangenen zum Abschied die Hände schüttelt. Auch wurden die überlebenden Häftlingssöldner mit Orden geehrt. Zum Abschluss der Zeremonie bekamen sie auch ihre Unterlagen, die ihnen die Freiheit garantieren sollen. Ob diese Papiere tatsächlich legal sind, ist indes unklar. Pardonierungen gehen in Russland einen langen Weg. Laut der russischen Verfassung kann nur der Präsident, in diesem Fall Putin, sie gewähren, so die „New York Times“.

Tickende Zeitbomben

„Trinkt nicht zu viel, nehmt keine Drogen und vergewaltigt keine Frauen“, gab Prigoschin bei der Zeremonie den ehemaligen Häftlingen noch mit auf den Weg. Sie hätten viel gelernt, in erster Linie, den Feind zu töten. „Ich will aber auf gar keinen Fall, dass ihr diese Errungenschaft auf verbotenem Gebiet einsetzt. Wenn ihr wieder Feinde töten wollt, kommt ihr zurück“, sagte Prigoschin.

Wagner-Söldner in Soledar
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Ein Wagner-Söldner Ende Jänner in Soledar

Dass diese Warnung wirkt, bezweifelt die „New York Times“. Die ehemaligen Häftlinge sprechen aus Angst vor Schikanen und Vergeltung über ihre grauenvollen Erlebnisse an der Front nicht, so die Zeitung weiter. Damit würde aber auch die Aufarbeitung der Erlebnisse verhindert. Die Ex-Häftlinge würden so zu tickenden Zeitbomben in Russland. Es handle sich um äußerst gefährliche Leute. Russland riskiere mit der Freilassung der brutalisierten und traumatisierten Häftlinge eine künftige Welle der Gewalt in der Gesellschaft. Das sei ein Beleg, welche Kosten des Krieges der russische Präsident bereit sei, in Kauf zu nehmen.

Nach eigenen Angaben stoppte Wagner die Rekrutierung von Häftlingen für den Kampf in der Ukraine. Dieses Vorgehen sei ganz eingestellt worden, teilte Wagner-Gründer Prigoschin in einer Antwort auf eine in sozialen Netzwerken veröffentlichte Anfrage eines russischen Medienunternehmens Anfang Februar mit. Laut Medienberichten wollten sich kaum mehr Häftlinge rekrutieren lassen.

„Psychisch gebrochene Menschen“

Die Wagner-Gruppe sei in der Lage gewesen, jedwede Aufsicht zu vermeiden, indem sie die am stärksten marginalisierte Gruppe an Russen ausnutzte, nämlich die 350.000 männlichen Insassen seiner harten Strafkolonien, so Menschenrechtsaktivisten und Rechtsanwälte zur „New York Times“. Prigoschin, selbst ein ehemaliger Häftling, versteht die Gefängniskultur, so die „New York Times“. Geschickt habe er Strafe mit der Aussicht auf ein neues Leben in Russland bei seiner Anwerbetour verquickt, so die Zeitung.

„Das sind psychisch gebrochene Menschen, die mit einem Gefühl von
Gerechtigkeit zurückkommen, dem Glauben, dass sie getötet haben, um das Mutterland zu verteidigen“, so Yana Gelmel, ein russischer Anwalt für Gefangenenrechte, der mit angeworbenen Häftlingen arbeitet. „Das sind sehr gefährliche Menschen“, so auch Gelmel in der „New York Times“.

Ausgeklügeltes System

Einblick in das Schicksal der Häftlinge an der Front geben auch die Nachrichten, die an andere Häftlinge, die in den Arbeitslagern blieben, gerichtet sind, sowie Interviews, die die Zeitung mit Menschenrechtsaktivisten, Anwälten, Verwandten rekrutierter Häftlinge, aber auch Deserteuren und Häftlingen führte.

Sie alle beschrieben laut der „New York Times“ ein ausgeklügeltes System von Anreizen und brutaler Bestrafung, das von Wagner aufgebaut wurde, um Russlands Soldatenreihen mit fragwürdigen Mitteln und möglicherweise illegalen Methoden wieder aufzufüllen, schreibt die Zeitung weiter. Das Anwerben von Söldnern ist allerdings illegal, lange Zeit wurde sogar dementiert, dass die Wagner-Gruppe tatsächlich existiert. Auf dem Papier wurden die Häftlinge nur in Gefängnisse oder Strafkolonien nahe der ukrainischen Grenze transferiert, so die „New York Times“ mit Verweis auf nachfragende Angehörige von Häftlingen.

Wagner entwickelt sich laut US-Angaben offenbar zu einem Rivalen des russischen Militärs und der Ministerien. „Wir sehen Anzeichen, auch bei den Geheimdiensten, dass die Spannungen zwischen Wagner und dem russischen Verteidigungsministerium zunehmen“, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung, John Kirby Ende Jänner.