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APA/Herbert P. Oczeret
Wahlmotiv in NÖ

Die Zahlen hinter dem Asylthema

Asyl, Zuwanderung und Integration waren zentrale Themen bei der Landtagswahl in Niederösterreich. Entsprechend galten Positionen dazu als wichtiges Wahlmotiv – das zeigt die SORA/ISA-Analyse für den ORF deutlich. Doch ist eines bemerkenswert: Zwar war es die ÖVP, die das Asylthema im Vorfeld stark befeuert hat, ein Blick auf die Wahlmotive zeigt aber, dass nur die FPÖ davon profitieren konnte – und den Absturz der ÖVP damit noch verstärkte. Neue Zahlen rücken dabei einige Annahmen zurecht.

Fakt ist, dass 2022 in Österreich deutlich mehr Asylanträge gestellt wurden als während der Migrationskrise 2015. Das geht aus der am Montag veröffentlichten Bilanz für das Vorjahr hervor. Exakt 108.781 Anträge wurden abgegeben (2015 waren es 88.340). Doch fehlte der politischen Debatte oftmals ein wesentlicher Umstand: Denn gut jeder Dritte entzog sich einem Verfahren – konkret sind es 41.000 Personen, die Österreich zum allergrößten Teil wieder verließen. Ihre Verfahren wurden damit eingestellt.

„Das sind genau so viele Einstellungen wie von den Jahren 2015 bis 2021 zusammen“, sagte Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination im Ö1-„Mittagsjournal“. Die Zahl der tatsächlich eingestellten Verfahren sei wohl noch höher, weil es eine Verzögerung von etwa zwei bis drei Monaten bis zur Einstellung von Verfahren gebe. Gahleitner-Gertz rechnet mit 60.000 Einstellungen – das wären, so die Schätzung zutrifft – dann weit mehr als jeder zweite Fall.

Weniger in Grundversorgung, als Anträge vermuten lassen

Bei der Registrierung sei die Polizei tatsächlich überlastet gewesen. Doch ist mit der hohen Anzahl an eingestellten Verfahren noch ein anderer Umstand erklärt: So sind die Zahlen in der Grundversorgung nicht so stark gestiegen, wie man angesichts der großen Menge an Asylanträgen hätte vermuten können. Nur wegen der fast 56.000 Ukraine-Vertriebenen, die ohne Asylgesuch in die Grundversorgung kamen, hat man auch dort mit fast 93.000 Personen einen hohen Wert.

Vergleicht man die Zahlen mit 2017, stand man damals bei fast 79.000 Personen in der Grundversorgung – und das ohne Kriegsvertriebene aus Europa. Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination verweist auch auf verringerte Kapazitäten unter Schwarz/Blau: „Man hat unter Innenminister Kickl (Herbert, FPÖ; Anm.) Grundversorgungsplätze zusammengespart, so ist der Eindruck in der Bevölkerung entstanden, dass es eine Notsituation gibt“, so Gahleitner-Gertz.

Vielfach keine Chance auf Anerkennung

Ungewöhnlich war im Vorjahr die Herkunft der Asylwerberinnen und Asylwerber. Zwar ist der Umstand, dass Menschen aus Afghanistan mit 24.241 Antragstellern an der Spitze stehen, nicht ungewöhnlich. Dahinter folgen aber schon Personen aus Indien mit 19.505 Anträgen. Hinter Syrien (19.150) kommt dann Tunesien auf Platz vier mit auch immerhin 12.667 Anträgen. Insbesondere die Antragsteller aus Indien und Tunesien, also immerhin 32.000, fielen auf.

Das ist insofern bemerkenswert, als Indien und Tunesien 2021 noch keine relevanten Herkunftsländer waren und sich in diesen Staaten die politische Situation seither auch nicht wesentlich geändert hat. So beantragten 2021 gerade einmal 949 Personen aus Indien bzw. 527 Tunesier Asyl in Österreich. Beide Gruppen haben kaum Chancen auf Anerkennung: Im Vorjahr erhielten zwei Tunesier und ein Inder Asyl in Österreich, in Grundversorgung sind etwa 400 Inderinnen und Inder.

Und auch im Falle der knapp 25.000 Antragsteller aus Afghanistan sei laut Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination ein Umstand beachtenswert: Ende 2022 habe man etwa 500 Afghaninnen und Afghanen weniger in der Grundversorgung gehabt als im Jahr davor. Viele Antragsteller seien weitergezogen – etwa deswegen, weil Verfahren in anderen Ländern, etwa in Deutschland, deutlich rascher gingen, so Gahleitner-Gertz.

Visafreiheit für Serbien ursächlich

Dass im Vorjahr so viele Antragsteller aus Indien und Tunesien in die EU kamen, hat mit der mittlerweile wieder aufgehobenen Visafreiheit für Serbien zu tun, über das es deutlich leichter wurde, in die EU zu gelangen. Laut Innenministerium gehen die Anträge aus diesen Ländern mittlerweile wieder in Richtung null.

Auffällig war im Vorjahr die Differenz zwischen den Geschlechtern. Mehr als 91 Prozent der Antragsteller waren männlich. Was das Alter der Asylwerber angeht, waren 68 Prozent aus der Gruppe der 18- bis 35-Jährigen. Gut 22.500 der Antragsteller waren minderjährig, etwa 13.100 davon unbegleitet.

Asyl in 13.371 Fällen gewährt

Sehr gute Chancen auf Anerkennung haben weiterhin Geflüchtete aus Syrien mit 68 Prozent und Menschen aus Somalia sowie dem Iran mit 60 Prozent. Entschieden wurde im Vorjahr gesamt in mehr als 142.000 Fällen. Asyl gewährt wurde 13.371-mal. Knapp 5.500 Verfahren endeten mit subsidiärem Schutz, gut 2.400-mal wurde ein humanitärer Aufenthaltstitel verliehen.

30.040 Asylanträge wurden abgelehnt, wobei dabei auch jene Geflüchtete mitgezählt sind, die stattdessen subsidiären Schutz erhielten. Hoch ist die Zahl der offenen Verfahren mit 54.200. Ende 2021 waren es in etwa halb so viele. Die Anerkennungsquote beträgt aktuell laut Ministerium nur noch 15,6 Prozent. Zudem werden die Verfahren rascher geführt: Sie dauerten im Vorjahr nur dreieinhalb Monate.

Mikl-Leitner zeigt auf Ära Kickl

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner jedenfalls lässt die These, die ÖVP habe der FPÖ mit dem Asylthema das Feld bereitet und die ÖVP auch deswegen abstürzen lassen, nicht gelten: „Es geht immer darum, wie viele hier bleiben. Wenn ich mir die Ära Kickl anschaue, haben wir in Niederösterreich dreimal so viele Asylwerber in der Grundversorgung gehabt wie jetzt unter Karner (Gerhard, Innenminister, ÖVP).“ Dennoch, so Mikl-Leitner, sei es der FPÖ gelungen, etwas in den Mittelpunkt zu stellen, was „zentrale bundes- oder europapolitische politische Themen“ seien.

Beraterin kritisiert ÖVP-Taktik

Die ÖVP-nahe Politikberaterin Heidi Glück übte indes Kritik an der ÖVP-Taktik: So sei es ein Fehler gewesen, das Thema Zuwanderung so hochzuspielen. „Die ÖVP hat die Kompetenz in diesem Thema einfach verloren an die FPÖ.“ Kampf gegen Zuwanderung habe unter dem ehemaligen Kanzler Sebastian Kurz noch als Parteilinie funktioniert, inzwischen hätten sich die Rechtspopulisten das Thema aber wieder zurückgeholt.