Windräder
ORF.at/Viviane Koth
EU versus USA

Wettstreit um Rolle als Klimavorreiter

Die Europäische Kommission hat am Mittwoch einen Plan vorgelegt, der sicherstellen soll, dass Europa als Produktionsstandort für Elektrofahrzeuge und andere umweltfreundliche Produkte mit den Vereinigten Staaten konkurrieren und seine Abhängigkeit von China verringern kann. Der Plan gilt als Reaktion auf die zunehmend umkämpfte globale Klimapolitik – bei der nicht nur die Reduktion von Emissionen, sondern auch wirtschaftliche und geopolitische Interessen immer mehr im Zentrum stehen.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Mittwoch eine Lockerung der EU-Beihilfevorschriften, eine Umwidmung bestehender EU-Fonds, eine schnellere Genehmigung grüner Projekte sowie Maßnahmen zur Förderung von Qualifikationen und zum Abschluss von Handelsabkommen an, um die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen zu sichern. Kurzfristig könnten die EU-Mitgliedsstaaten beispielsweise 225 Milliarden Euro aus dem 800 Milliarden Euro schweren Post-Covid-Konjunkturfonds nutzen.

Die Kommission schlägt zudem vor, die Regeln für staatliche Beihilfen für Investitionen in erneuerbare Energien und die Dekarbonisierung der Industrie vorübergehend bis Ende 2025 zu lockern – wobei sie einräumt, dass nicht alle EU-Länder in der Lage sein werden, Subventionen in demselben Umfang wie Frankreich oder Deutschland anzubieten.

Von der Leyen für „Souveränitätsfonds“

Eine größere Ungleichheit könnte die Folge sein, was von der Leyen unbedingt verhindern will. Kurzfristig sollen deswegen ungenutzte Kredite aus dem CoV-Hilfsfonds angezapft und anders eingesetzt werden. Das sei eine Brücke. Es müsse zunächst mit Mitteln gearbeitet werden, die bereits verfügbar seien. Längerfristig hält die Brüsseler Behörde einen „Souveränitätsfonds“ für nötig, was Deutschland bisher aber kategorisch ablehnt.

Die EU-Kommission hofft nun auf die Rückendeckung der 27 Mitgliedsstaaten. In den kommenden Monaten sollen dann konkrete Gesetzespakete vorgelegt werden. Die lockeren Staatshilfen sollen bis Ende 2025 begrenzt sein. Von der Leyen verwies in Brüssel auf ähnliche Vorhaben in Kanada, Japan, Indien und Großbritannien. „Wir begrüßen das. Das sind gute Nachrichten.“ Europa müsse aber jetzt einen ähnlichen Schritt gehen.

„Wir wollen diesen Moment nutzen, denn wir wissen, dass sich in den nächsten Jahren entscheiden wird, wie die Wirtschaft, die Netto-null-Wirtschaft, aussehen wird und wo sie angesiedelt sein wird. Und wir wollen ein wichtiger Teil dieser Netto-null-Industrie sein, die wir weltweit brauchen“, so von der Leyen auf der Pressekonferenz. „Wir sind wettbewerbsfähig (…), was wir sehen ist, dass wir ein globales Spielfeld haben.“

Antwort auf US-amerikanisches Klimapaket

Die Kommission arbeite daran, Verfahren zu beschleunigen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Übergang zu klimafreundlichen Technologien und der Digitalisierung, sagte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Dienstag. Dabei gehe es der EU aber nicht um einen Subventionswettlauf mit den USA.

Der Inflation Reduction Act (IRA) der USA sei ein starkes Bekenntnis zu grünen Technologien – eine Folge für die EU aber seien zusätzliche Herausforderungen. Gentiloni sagte weiter, in manchen Bereichen sei die EU zu abhängig von China.

Joe Biden präsentiert den Inflation Reduction Act
AP/E&E News/Politico/Francis Chun
US-Präsident Joe Biden nannte den IRA „den größten Schritt nach vorn in Sachen Klimaschutz aller Zeiten“

Der IRA – die abgespeckte und im August 2022 beschlossene Variante des Build-Back-Better-Pakets von US-Präsident Joe Biden – enthält allein für die Umrüstung der US-Wirtschaft auf grüne Energien und andere Klimaschutztechnologien Subventionen im Wert von 369 Milliarden Dollar (340 Mrd. Euro).

Brüssel ortet Diskriminierung

Bedingung für die gewaltigen Subventionen ist allerdings, dass die Firmen in den USA produzieren. Das schließt europäische Firmen zusätzlich vom attraktiven US-Markt aus – was in Brüssel als diskriminierend gesehen wird.

Nun wolle man auch in der EU „Investitionshilfen in Form von Steuergutschriften gewähren, wenn das für die Unternehmen angenehmer ist“, zitierte die „Financial Times“ („FT“) Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager. Ziel der geplanten Maßnahmen sei es, so die „FT“, auf die Warnungen zu reagieren, dass Unternehmen aus der EU in die USA abwandern könnten.

Denn die Vereinigten Staaten locken seit Monaten europäische Firmen, die im Bereich grüne Energie und Klimaschutz tätig sind, mit riesigen Subventionen in die USA. Auch die niedrigen Energiepreise in den USA gelten als verlockend, der IRA könnte somit eine „giftige“ Wirkung auf einige europäische Industrien haben, so die „FT“.

USA zweitgrößter Treibhausgasemittent der Welt

Seit der Verabschiedung des IRA durch den US-Kongress Ende 2022 hätten einige EU-Mitgliedsstaaten Alarm geschlagen und den Beginn eines neuen Handelskrieges getrommelt, schreibt das US-Magazin „Foreign Affairs“. Das sei deshalb überraschend, weil Europa bereits seit Langem den Wunsch hege, dass die USA ernsthafter gegen den Klimawandel vorgehen.

CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen und der Industrie pro Kopf, 2020

Denn die USA spielen als größte Volkswirtschaft und zweitgrößter Treibhausgasemittent der Welt eine entscheidende Rolle im Kampf gegen die Erderhitzung. Mit 14,04 Tonnen CO2-Emissionen pro Kopf liegt das Land in Nordamerika international im Spitzenfeld. Schätzungen zufolge könnten die US-Emissionen mit Hilfe des IRA bis 2030 um etwa 40 Prozent gegenüber dem Stand von 2005 gesenkt werden, womit Biden seinem Ziel, die US-Emissionen bis zum Ende des Jahrzehnts zu halbieren, sehr nahe komme, schreibt der „Guardian“.

Um die Klimaziele der EU, die Emissionen bis 2050 auf null zu reduzieren, einzuhalten, müssen in Europa laut offizieller Schätzung 447 Milliarden Euro pro Jahr mehr investiert werden. Vor allem im Transport- und Energiesektor seien die Herausforderungen enorm, so das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Zudem müsse die EU sicherstellen, dass die beschlossenen Maßnahmen von den Mitgliedsstaaten auch umgesetzt werden, forderte der Climate Action Tracker bereits 2021.

Erneuerbare als geopolitische Chance

Die EU wolle mit dem Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 nicht nur die Erderwärmung bekämpfen, sondern auch im globalen Wettkampf um neue grüne Märkte mit China und den USA ganz vorn mitlaufen, so die Einschätzung der „Neuen Zürcher Zeitung“ („NZZ“). Dass auch die USA den Klimaschutz nun ernsthaft angehen wollen und ihn als industrie- und geopolitische Chance betrachten, überrumpele Brüssel.

Einige Beobachter sehen sich zudem an die protektionistischen Bestrebungen des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump erinnert, der unter dem Motto „America First“ eine restriktive Handelspolitik verfolgte. Der aktuelle „grün gefärbte Protektionismus“ der Amerikaner bedrohe nun nicht nur das europäische Selbstverständnis, sondern auch die EU als Industriestandort, so auch die „NZZ“. So warnte etwa der französische Präsident Emmanuel Macron im Dezember vor dem Verlust von Arbeitsplätzen in Europa und sagte, der IRA würde „den Westen zersplittern“.

Globale Zusammenarbeit notwendig

Das Bild müsse aber nicht so düster sein, schreibt „Foreign Affairs“: Mehr nationale Maßnahmen für Klimaschutz und Anreizsysteme seien notwendig, würden aber Kooperation mit anderen Ländern nicht ausschließen. Geförderte Produkte, die in den USA hergestellt werden, müssten etwa nicht zwingend von US-amerikanischen Firmen angefertigt werden, und somit könnten auch europäische Firmen von den Vorteilen des IRA profitieren.

Die gesamte Welt zu dekarbonisieren sei zudem eine Herausforderung, die nur in gemeinsamer Anstrengung gelingen könne. Denn kohlenstofffreie Industrien hätten noch lange nicht die notwendige Reichweite und den Umfang, um die Nachfrage der Verbraucherinnen und Verbraucher tatsächlich zu befriedigen. Die beiden Kontinente würden gemeinsame Ziele teilen – insbesondere, die Abhängigkeit von China, dem weltweit größten Verursacher von Treibhausgasen, zu reduzieren, so die „NZZ“.

Ursula von der Leyen beim One Ocean Summit
APA/AFP/Ludovic Marin
Von der Leyen kritisiert, dass das neue Klimaschutzpaket der USA gegenüber der EU unfair sei

Klimaziele „zu wichtig, um überschattet zu werden“

Die klimapolitischen Herausforderungen seien zu wichtig, um von handels- und wettbewerbspolitischen Streitigkeiten überschattet zu werden, zitierte die „NZZ“ den Wirtschaftswissenschaftler Dani Rodrik. Die Ziele des Pariser Abkommens seien noch lange nicht erreicht, und Emissionen müssten stärker und schneller fallen.

Chinesische Subventionen für Solar- und Windkraft hätten zwar so manches westliche Unternehmen benachteiligt, seien aber „eines der besten Dinge, die eine Regierung je zur Bekämpfung des Klimawandels getan hat“ – weil die Unterstützung dazu beigetragen habe, die Kosten für Solarenergie um 90 Prozent zu senken und den Preis für Windenergie zu halbieren. Heute könnten diese Technologien mit den fossilen Brennstoffen konkurrieren.

Wie eine verstärkte Kooperation im Bereich Klimaschutz aussehen könnte, haben die USA und die EU bereits im vergangenen Sommer gezeigt: Die beiden Großmächte würden „gemeinsam 780 Millionen Menschen repräsentieren, die nicht nur demokratische Werte, sondern auch die stärkste wirtschaftliche Beziehung in der Welt teilen“, hieß es in einer Erklärung der „Erneuerung der transatlantischen Partnerschaft“. Beide hätten „die Chance und die Verantwortung, die Menschen hinsichtlich Arbeit und Sicherheit zu unterstützen, Klimawandel zu bekämpfen und Demokratie und humanitäre Werte zu vertreten“.