Polizisten am Eingang zum Großen Schwurgerichtssaal im Straflandesgericht Wien
APA/Georg Hochmuth
Wiener Terrorprozess

Vier Verurteilungen, zwei Freisprüche

Im Prozess gegen sechs mutmaßliche Unterstützer am Terroranschlag in Wien vom 2. November 2020, bei dem vier Passanten getötet wurden, ehe der Attentäter von der Polizei erschossen wurde, sind in der Nacht auf Donnerstag am Wiener Landesgericht zwei Angeklagte vom Vorwurf der Beteiligung am Mord im Rahmen einer terroristischen Vereinigung freigesprochen worden. Für die restlichen Angeklagten setzte es dagegen in den zentralen Punkten der Anklage Schuldsprüche.

Das Schwurgericht verhängte über die vier Angeklagten, die laut erstinstanzlicher Entscheidung den Attentäter unterstützt hatten, wegen terroristischer Straftaten in Verbindung mit Beteiligung am Mord zweimal die Höchststrafe, einmal 20 und einmal 19 Jahre Haft.

Zwei Angeklagte wurden zwar vom Vorwurf der Beteiligung am Mord freigesprochen. Sie fassten jedoch wegen Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und Verbreitung von IS-Propagandamaterial jeweils zwei Jahre Haft, davon acht Monate unbedingt, aus. Sämtliche Urteile sind nicht rechtskräftig.

Am Dienstag hatten Staatsanwältin und die Verteidigung ihre Schlussvorträge gehalten. „Ich glaube den sechs Angeklagten kein Wort“, sagte die Anklägerin. Alle Hauptfragen nach der Schuld seien zu bejahen. Die Staatsanwaltschaft sprach sich für die erwachsenen Angeklagten für einen Strafrahmen von zehn bis 20 Jahren oder lebenslang aus, für den Zweit- und den Sechstangeklagten als junge Erwachsene für zehn bis 20 Jahre.

„Auf derart hinterhältige Angriffe auf unsere Werte und die Demokratie steht zu Recht die Höchststrafe“, sagte sie und appellierte an die Geschworenen, mit den Urteilen „klar zum Ausdruck zu bringen“, dass für „derart hinterhältige terroristische Angriffe in einem friedlichen Land“ kein Platz sei.

Ein Kerzen- und Blumenmeer an einem der Tatorte des Wien-Anschlags im November 2020
APA/Helmut Fohringer
Bei dem Anschlag 2020 wurden vier Menschen getötet und 23 verletzt

„Chauffeur“ nur für IS-Mitgliedschaft verurteilt

Beim Erstangeklagten fehlte den Geschworenen der Beweis, dass dieser – wie von der Anklage inkriminiert – den Attentäter psychisch und bei der Planung und Vorbereitung des Anschlags unterstützt und am 21. Juli 2020 im Wissen um dessen mörderische Pläne in die Slowakei chauffiert hatte, wo dieser Munition für das beim Attentat verwendete AK-47-Sturmgewehr kaufen wollte.

David Jodlbauer, der Verteidiger des Erstangeklagten, hatte betont, sein Mandant sei „kein Extremist“. Dieser habe nicht gewusst, dass es einen Anschlag geben wird, und er habe den Attentäter auch nicht unterstützt. Die Beweislage sei „dünn“ gewesen. Die Reaktion des Rechtsstaats könne nicht sein, auf dieser Basis Schuldsprüche zu fällen, weil der unmittelbare Täter nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann.

Überlebender über das Urteil

Andreas Wiesinger wurde am 2. November 2020 beim Terroranschlag in Wien angeschossen. Er geht auf die Urteile ein und wie er die Terrornacht verarbeitet hat.

Der Erstangeklagte hatte ausgesagt, an jenem Tag nicht im slowakischen Waffengeschäft dabei gewesen zu sein, während der spätere Attentäter sich nach Munition erkundigte. Laut Staatsanwaltschaft wurden diese Aussagen aber durch die Mitarbeiter eben jenes Geschäfts widerlegt. Aber auch sein Verhalten im Anschluss an den Terroranschlag befand die Staatsanwältin für konspirativ. Unmittelbar nach der Tat habe er den Drittangeklagten vor einer etwaigen Razzia gewarnt und sein Handy auf Werkseinstellungen zurückgesetzt. Außerdem zeige die Auswertung seiner Datenträger „ein klares Bild seiner Gesinnung“.

Wegen Mitgliedschaft im IS und Verbreitung von Propagandamaterial erhielt er 24 Monate, davon acht Monate unbedingt.

Zweitangeklagter laut Geschworenen nicht behilflich

Beim Zweitangeklagten wurde entgegen der Anklage nicht angenommen, dass dieser dem Attentäter am Tag des Anschlags bei Tatvorbereitungen und bei der Auswahl des Anschlagsziels behilflich war und ihn im Entschluss zur Tatbegehung bestärkt hatte. Als IS-Propagandist fasste er ebenfalls 24 Monate aus, wovon acht Monate unbedingt ausgesprochen wurden.

„Die Beihilfe zu einem Attentat ist nicht haltbar“, hatte Verteidiger Manfred Arbacher-Stöger für den Zweitangeklagten gemeint. Es gebe „keinen einzigen Beweis“ für die Behauptung der Staatsanwaltschaft, dass der Zweit- und der Drittangeklagte kurz vor dem Anschlag in der Wohnung des Attentäters gewesen seien. Weiters habe die Staatsanwältin „uns bis heute nicht gesagt, wo der psychische Tatbeitrag gewesen ist“, der seinem Mandanten zur Bestärkung des Täters in dessen mörderischen Plänen vorgeworfen wurde.

Unterstützung und Fluchtvorbereitungen

Demgegenüber folgten die Geschworenen der Staatsanwältin im Kern der Anklage beim Dritt-, Viert-, Fünft- und Sechstangeklagten, wobei die Männer mit Ausnahme des Fünftangeklagten als der radikal-islamistischen Szene und der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zugerechnet wurden.

Der Drittangeklagte wurde schuldig erkannt, den Attentäter von Mai 2020 bis zum Tag des Anschlags im Wissen um dessen Absichten unterstützt, das Anschlagsziel mit ausgesucht und Fluchtvorbereitungen getroffen zu haben, indem er gefälschte Papiere besorgte. Er bekam dafür 20 Jahre Haft.

Verteidiger Rudolf Mayer, der den Drittangeklagten vertritt, räumte ein, dass dieser dem Attentäter gut bekannt und mit ihm befreundet gewesen sei: „Aber so weit ist die Freundschaft nicht gegangen, dass er ihm geholfen hat.“

DNA-Spuren auf Waffen

Beim Viertangeklagten wurde angenommen, dass dieser den Attentäter ab Juli 2020 bis zum Tag des Anschlags zur Tatausführung bestärkte sowie die Tatwaffen samt Munition und weitere Utensilien in der Wohnung des Attentäters vorbereitet hatte. Für ihn gab es eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Dieser habe in den Wochen vor dem Anschlag beim Attentäter gewohnt, DNA-Spuren fand man auf den Waffen, der Munition und – so die Staatsanwältin – „nahezu allen Gegenständen“, die der Attentäter beim Anschlag in einer Tasche mit sich führte. „Sekundärübertragung“ war immer wieder das Argument seiner Verteidigung.

Einschätzung zum Terrorprozess-Urteil

ORF-Reporter Christoph Bendas berichtet aus dem Straflandesgericht Wien über den Terrorprozess und geht auf die ausgesprochenen Urteile ein.

Beteiligung an Waffenbeschaffung

Beim Fünftangeklagten gelangten die Geschworenen mit 5:3 Stimmen zur Ansicht, dass dieser dem Attentäter im Juni 2020 die beim Anschlag verwendeten Schusswaffen – ein Sturmgewehr und eine Pistole – und die passende Munition vermittelt und übergeben hatte. Für die Laienrichter war damit – wenn auch nicht im Rahmen einer terroristischen Vereinigung – der Tatbestand der Beteiligung am Mord erfüllt. Er wurde ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilt.

Die Verteidigerin des Fünftangeklagten, Astrid Wagner, hatte gemeint, ihr Mandant sei der Einzige auf der Anklagebank, der „mit der Islamismusszene nichts zu tun“ habe. Mit seinen 32 Jahren sei er eine andere Generation als der Attentäter und die anderen Angeklagten, die er nicht kenne und die ihn auch nicht kennen. Vorgeworfen wird ihm, dem Attentäter die Waffe beschafft und dann am Tag vor dem Anschlag aufmunitioniert zu haben. Den illegalen Waffendeal gab er zu, allerdings habe er „nichts gewusst“.

Ähnlich sahen es die Geschworenen beim Sechstangeklagten, bei dem dem Wahrspruch zufolge davon ausgegangen wurde, dass er die Abwicklung des Waffen- und Munitionskaufs mitorganisierte und dem Attentäter den Kontakt zum Fünftangeklagten vermittelte, indem er ihm dessen Telefonnummer übergab. Beim Sechstangeklagten wurde jedoch angenommen, dass dieser an einer terroristischen Vereinigung beteiligt war. Er kassierte dafür 19 Jahre Haft – da er noch als junger Erwachsener zu betrachten war, war bei ihm eine lebenslange Freiheitsstrafe ausgeschlossen.