Ukrainischer Soldat in Bachmut
Reuters/Yan Dobronosov
Bachmut

Erbitterter Kampf mit neuen Vorzeichen

Russland wechselt im bereits seit Monaten andauernden Kampf um die ostukrainische Stadt Bachmut, die für die Versorgungslinie wichtig ist, die Taktik, so die Einschätzung des US-amerikanischen Institute of the Study of War (ISW). Die Söldnertruppe der Wagner-Gruppe könnte ganz durch konventionelle Armeeangehörige ersetzt werden, so das ISW. Der ukrainische Widerstand hält laut Kiew unvermindert an. Laut russischen Quellen soll sich allerdings nun der Belagerungsring um die Stadt schließen.

„Bachmut ist jetzt operativ umzingelt, unsere Streitkräfte schließen den Ring um die Stadt“, sagte Jan Gagin, Berater des von Russland eingesetzten Regierungschefs Denis Puschilin. Derzeit werde um die Kontrolle der Autobahn gekämpft, die die Stadt mit der nahe gelegenen Ortschaft Tschasiw Jar verbindet. Russland hatte erklärt, mehrere Orte rund um Bachmut unter seine Kontrolle gebracht zu haben. Dort führen seine Truppen und Söldner der Wagner-Gruppe seit Monaten einen Zermürbungskampf.

Russland setzt im Kampf um Bachmut im ostukrainischen Gebiet Donezk nach Einschätzung des ISW nun allerdings verstärkt auf konventionelle Streitkräfte. Die Offensive um die Kleinstadt, die bisher von der russischen Privatarmee Wagner geführt worden war, habe damit ihren Höhepunkt noch nicht erreicht, schrieb die in Washington ansässige Denkfabrik in ihrem jüngsten Bericht Dienstagabend (Ortszeit).

Ukrainische Soldaten in Bachmut
Reuters/Yan Dobronosov
Ukrainische Soldaten am 27. Jänner in Bachmut

Wagner-Söldner sollen kampfmüde sein

Eine frühere Einschätzung der Denkfabrik von Ende Dezember, wonach der Höhepunkt bei den Kämpfen in Bachmut bereits erreicht sei, habe sich als unzutreffend erwiesen, hieß es weiter. Diese habe sich nur auf den Einsatz der Privatarmee Wagner bezogen. Seither habe die russische Seite aber genügend konventionelle Kräfte eingesetzt, um die Kämpfe aufrechtzuerhalten.

Eine Neuaufstellung in Bachmut könnte nach Einschätzung des Instituts bedeuten, dass konventionelle russische Streitkräfte kampfmüde Wagner-Söldner völlig ersetzen, auch in der Annahme, russische konventionelle Kräfte könnten die Stadt letztlich einnehmen.

Russland will Ort in Umgebung eingenommen haben

Wichtig für eine Belagerung oder Einkesselung der Stadt Bachmut sind auch die sie umgebenden Ortschaften. Am Dienstag vermeldete das russische Verteidigungsministerium in Moskau die Einnahme der Ortschaft Blahodatne nördlich von Bachmut durch „Freiwillige“ – die Bezeichnung Russlands für die Söldner der Wagner-Gruppe. Bestätigt wurde die Einnahme von ukrainischer Seite nicht.

Bereits zuvor hatte der Chef der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, den Kampferfolg in Blahodatne für seine paramilitärischen Einheiten beansprucht. Noch am Wochenende hieß es in Kiew, die Angriffe seien abgewehrt worden. Unabhängig lassen sich die Angaben nicht überprüfen.

Ukrainische Soldaten in der Nähe von Bachmut feuern auf russische Stellungen
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Ukrainische Soldaten in der Nähe von Bachmut feuern auf diesem Bild vom 24. Jänner auf russische Stellungen

Blutige Kämpfe mit heftigen Verlusten

Russland hat die Ukraine vor mehr als elf Monaten angegriffen. Bachmut steht seit Monaten im Mittelpunkt der Gefechte. Die russische Armee versucht, Bachmut von Norden und Süden zu umgehen, um die ukrainische Armee zum Rückzug aus der Kleinstadt zu zwingen. Beide Seiten müssen bei den blutigen Kämpfen dem Vernehmen nach heftige Verluste hinnehmen.

Die Hauptversorgungsroute nach Nordwesten ist aber weiter unter ukrainischer Kontrolle. Die Ukraine fordert vom Westen dringend schwere Waffen, um den Vormarsch der russischen Truppen zu stoppen und besetzte Ortschaften zu befreien.

Blick von einem Hügel auf die Stadt Bachmut
Reuters/Yan Dobronosov
Blick von einem Hügel auf die Stadt Bachmut am 26. Jänner

Die Denkfabrik bezieht sich in ihren Aussagen unter anderem auf ukrainische Militärangaben. Das Institut gibt keine Prognose dazu, ob Bachmut in Kürze an die russischen Streitkräfte fallen werde. Es sei unwahrscheinlich, dass russische Kräfte die Stadt überraschend einkesseln würden. Denkbar sei aber, dass die ukrainische Seite sich zurückziehen könnte, um hohe Verluste zu vermeiden.

Ukraine erwartet schwerste Gefechte seit Kriegsbeginn

Die ukrainische Führung erwartet unterdessen eine neue russische Offensive und in deren Folge bis zum Frühling die schwersten Gefechte seit Kriegsbeginn. „Wir haben einen langen, schweren Weg hinter uns, doch ich verstehe, dass die wichtigsten Kämpfe noch bevorstehen und in diesem Jahr, in den nächsten zwei bis drei Monaten stattfinden werden“, sagte der Sekretär des nationalen Sicherheitsrates in der Ukraine, Olexij Danilow, in einem am Mittwoch ausgestrahlten Interview.

Das seien die entscheidenden Monate des Krieges, prognostizierte er im britischen Fernsehsender Sky News. Danilow schloss den Beginn einer russischen Offensive in den nächsten zwei bis drei Wochen nicht aus. „Russland bereitet sich auf die maximale Eskalation vor“, sagte der 60-Jährige. Neue Einheiten würden konzentriert und trainiert. Danilow schätzt die Zahl der in der Ukraine kämpfenden Soldaten auf etwa 320.000. Etwa die Hälfte davon könnte an der neuen Offensive teilnehmen, warnte er.

Keine Kampfpause auch in Cherson

Anhaltende russischen Angriffe auf die südukrainische Stadt Cherson dürften unterdessen nach Einschätzung britischer Geheimdienste auf die Schwächung der ukrainischen Moral abzielen. Außerdem sollten damit wohl ukrainische Gegenangriffe über den Fluss Dnipro abgehalten werden, hieß es am Mittwoch im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. Letztlich sei jedoch unklar, weshalb Moskau ausgerechnet in Cherson seine strapazierten Munitionsvorräte verbrauche. Cherson sei außerhalb der Donbas-Region die am häufigsten beschossene ukrainische Großstadt.

Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Ende Februar vergangenen Jahres unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.