Vermummte Polizisten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew
APA/AFP/Sergei Chuzavkov
Korruptionsrazzien

Auch Ex-Förderer Selenskyjs im Visier

Vor dem EU-Ukraine-Gipfeltreffen scheint Kiew derzeit bemüht darum, seine wichtigsten westlichen Verbündeten davon zu überzeugen, dass die Regierung gegen Korruption im Land vorgeht: Am Mittwoch fanden erneut mehrere Razzien stand. Im Visier stand unter anderen eine ranghohe Steuerbeamtin in Kiew sowie der einflussreiche Oligarch Ihor Kolomojskyj – dem Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj früher nahestand.

Der Chef von Selenskyjs Partei Diener des Volkes, David Arachamia, schrieb in Onlinediensten, dass unter anderem die Häuser des Milliardärs Kolomojskyj und von Ex-Innenminister Arsen Awakow durchsucht worden seien. Zudem sei die Leitung der Zollbehörde entlassen worden. Auch hohe Vertreter des Verteidigungsministeriums hätten Besuch von Ermittlern erhalten, teilte Arachamia mit.

Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU veröffentlichte Bilder von der Hausdurchsuchung bei Kolomojskyj. In dem Fall soll es um Veruntreuung von 40 Milliarden ukrainischen Hrywnja (umgerechnet rund eine Milliarde Euro) gehen.

Früher Naheverhältnis zu Selenskyj

Kolomojskyj genießt seit Jahren einen zweifelhaften Ruf. Er steht auf einer US-Sanktionsliste und darf nicht in die USA einreisen, da ihm Korruption und demokratiefeindliche Bestrebungen vorgeworfen werden. Der Milliardär war vor der russischen Invasion im Land einer der reichsten Männer der Ukraine, mit Beteiligungen in zahlreichen Wirtschaftsbereichen, unter anderem in der Medienbranche, der Luftfahrtindustrie und dem Energiesektor.

Kolomojskyj unterstützte den heutigen Präsidenten Selenskyj während dessen Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2019. Auch von finanziellen Vernetzungen der beiden war die Rede. Beweise für illegale Handlungen gibt es zwar nicht, die Enthüllungen beschädigten allerdings das Image Selenskyjs, der dann als Präsident im Eiltempo ein Anti-Oligarchen-Gesetz auf den Weg brachte und damit auf Distanz zu Kolomojskyj ging.

Weitere Wechsel angekündigt

Selenskyj selbst hatte am Dienstag weitere Schritte der Behörden im Kampf gegen Korruption versprochen. Es seien bereits „alle notwendigen Schritte unternommen worden“, sagte Selenskyj in seiner allabendlichen Videoansprache. „Menschen in den Behörden, die die grundlegenden Anforderungen des Staates und der Gesellschaft nicht erfüllen, sollten ihre Posten nicht besetzen“, sagte er. „Leider kann in manchen Bereichen die Rechtsstaatlichkeit nur mit einem Wechsel in der Führung garantiert werden“, sagt der Präsident am Mittwoch in seiner Videoansprache. „Es wird so viele Wechsel geben wie nötig.“

Der Chef des Geheimdiensts SBU, Wassil Maljuk, bezeichnete die am Mittwoch ausgeführten Razzien als „Kampagne, um dem inneren Feind einen Schlag zu versetzen“. Jenen, die es wagten, der Ukraine Schaden zuzufügen, würden „Handschellen angelegt“, sagte Maljuk weiter.

Chefin der Steuerbehörde in Kiew unter Verdacht

Innenminister Arachamia erklärte nach den Razzien mit Blick auf den Kampf gegen die Korruption: „Das Land wird sich durch den Krieg verändern, und wenn jemand nicht bereit für Veränderungen ist, wird der Staat ihn dazu bringen, sich zu verändern.“

Für viel Aufsehen sorgten Razzien bei der Chefin der Steuerbehörde von Kiew. Ihr wird vorgeworfen, Millionen abgezweigt zu haben. Gefunden wurde viel Bargeld, zudem besitze sie zwei teure Autos, vier Wohnungen und ein Landhaus – und das alles übersteige bei Weitem das, was sie sich aufgrund ihres Gehalts leisten könne, hieß es von den Behörden.

Vizeminister und Gouverneure entlassen

Infolge eines mutmaßlichen Korruptionsskandals in der ukrainischen Armee waren vergangene Woche mehrere Vizeminister, Gouverneure und hochrangige Beamte zurückgetreten oder entlassen worden. Den Ausschlag für die Entlassungswelle gab unter anderem der in Medienberichten vorgebrachte Vorwurf, das ukrainische Verteidigungsministerium habe für die Soldaten Lebensmittel zu deutlich überhöhten Preisen eingekauft.

Vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine vor fast einem Jahr war das Land regelmäßig von Korruptionsskandalen erschüttert worden. Auf dem Korruptionsindex der Organisation Transparency International rangierte die Ukraine vor Beginn des Krieges auf Platz 122 von 180. Die Bekämpfung der Korruption ist eine der wichtigsten Forderungen Brüssels für den von Kiew angestrebten Beitritt zur Europäischen Union.