Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen und der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskyj
APA/AFP/Sergei Supinsky
Von der Leyen in Kiew

Neue Zusagen an Ukraine

Am Vortag des EU-Ukraine-Gipfels in der ukrainischen Hauptstadt Kiew hat eine hochrangige Delegation der EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen der Ukraine neue Zusagen gemacht. So wurden etwa neue Sanktionen angekündigt. Das geschieht in einer sensiblen Phase des Krieges – denn nach Ansicht ukrainischer Militärs bereitet Russland eine neue Angriffswelle vor.

„Zwischen jetzt und dem 24. Februar, genau ein Jahr nach Beginn der Invasion, wollen wir ein zehntes Sanktionspaket fertigstellen“, sagte von der Leyen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Die bisher verhängten Sanktionen hätten der russischen Wirtschaft bereits beträchtlichen Schaden zugefügt und würden sie „um eine Generation zurückwerfen“. Allein der Preisdeckel für russisches Öl koste Moskau „etwa 160 Millionen Euro täglich“.

Einreiseverbote und Vermögenssperren

Für das bereits seit Dezember in Vorbereitung befindliche neue Sanktionspaket werden unter anderem neue Einreiseverbote und Vermögenssperren für Verantwortliche in Russland und dem verbündeten Belarus erwartet. Am Sonntag soll zudem ein Preisdeckel für russische Mineralölprodukte wie Diesel und Kerosin in Kraft treten, über dessen Höhe Vertreter der EU-Staaten noch beraten. Alle Sanktionen erfordern einen einstimmigen Beschluss der 27 EU-Länder.

Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen bei der Ankunft in Kiew
AP/Ukrainian Presidential Press Office
Von der Leyen und Selenskyj in Kiew, flankiert von Delegationen

„Gerade sehen wir, dass das Sanktionstempo in Europa sich etwas verlangsamt, und der Terrorstaat (Russland, Anm.) erhöht im Gegensatz dazu sein Anpassungstempo an die Sanktionen“, stellte Selenskyj dazu fest. Kiew hoffe darauf, dass das korrigiert werde.

„EU steht fest wie eh und je zur Ukraine“

„Schön, wieder in Kiew zu sein, mein vierter Besuch seit der russischen Invasion“, schrieb von der Leyen auf Twitter unter einem Bild von ihrer Ankunft mit dem Nachtzug. „Wir sind zusammen hier, um zu zeigen, dass die EU so fest wie eh und je zur Ukraine steht.“ Sie war Donnerstagfrüh mit 15 anderen Kommissionsmitgliedern in Kiew angekommen.

Nach Angaben der EU-Kommission waren das unter anderen Vizepräsidentinnen und -präsidenten Margrethe Vestager, Valdis Dombrovskis, Vera Jourova und Margaritis Schinas. Für Notfälle in Brüssel ist neben anderen Vizepräsident Frans Timmermans geblieben. Er ist die Nummer zwei der EU-Kommission und würde im Fall eines Ausfalls von Präsidentin von der Leyen – etwa infolge eines russischen Angriffs auf Kiew – interimsmäßig ihre Aufgaben übernehmen.

Neue EU-Sanktionen gegen Russland geplant

Am Vortag des EU-Ukraine-Gipfels in der ukrainischen Hauptstadt Kiew hat eine hochrangige Delegation der EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen der Ukraine neue Zusagen gemacht. So wurden etwa neue Sanktionen angekündigt. Das geschieht in einer sensiblen Phase des Krieges – denn nach Ansicht ukrainischer Militärs bereitet Russland eine neue Angriffswelle vor.

Weitere Energiehilfe angekündigt

Auch wurde der Ukraine weitere Unterstützung beim Wiederaufbau der von Russland zerstörten Energieinfrastruktur zugesagt. Gemeinsam mit der Europäischen Energiegemeinschaft werde man mehr als 150 Mio. Euro für den Einkauf wichtiger Energietechnik zur Verfügung stellen, sagte von der Leyen.

Zu den 3.000 seit Beginn des Krieges gelieferten Stromgeneratoren werde die EU weitere 2.400 zur Verfügung stellen. Auch sei die Ukraine eingeladen, sich an der EU-Plattform zum gemeinsamen Gaseinkauf zu beteiligen. „Wir stellen sicher, dass trotz der Angriffe weiter Strom durch das Netz fließt“, sagte von der Leyen. „Wir werden diesen Winter überstehen, lieber Wolodymyr, und viele weitere.“

Selenskyj dankte insbesondere für von Brüssel finanzierte und bereits gelieferte fünf Millionen LED-Lampen. „Das wird das Stromdefizit in der Ukraine spürbar senken“, sagte der Staatschef. Weitere 30 Millionen sollen folgen. Bei den Gesprächen seien ebenso Möglichkeiten für eine Erhöhung des Stromimports aus der Europäischen Union diskutiert worden. Das russische Militär versucht seit Oktober die Energieversorgung der Ukraine mittels gezielter Raketen- und Drohnenangriffe zu schädigen.

Beweissammlung in Den Haag

Um Russland für den Krieg gegen die Ukraine zur Verantwortung zu ziehen, wird am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein Zentrum für Beweismittel eingerichtet. „Russland muss für seine abscheulichen Verbrechen vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden“, kündigte von der Leyen in Kiew an. Staatsanwälte aus der Ukraine und der Europäischen Union sammelten schon jetzt Beweise. Das neue internationale Zentrum in Den Haag solle diese Arbeit koordinieren. Es werde in ein Ermittlungsteam integriert, das unter anderem Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersucht.

Ausbildungsmission wird vergrößert

Neben den neuen Sanktionen und Energiehilfen wurden weitere Vereinbarungen fixiert: So will die EU 15.000 weitere ukrainische Soldaten ausbilden und die Minenräumung in dem Land mit 25 Mrd. Euro unterstützen. Die Soldaten sollen unter anderem den Umgang mit Leopard-Kampfpanzern lernen, wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell via Twitter mitteilte. Das habe er dem ukrainischen Regierungschef Denys Schmyhal zugesagt.

Der EU-Chefdiplomat veröffentlichte ein Foto, auf dem er Schmyhal die Hand schüttelt. Borrell bestätigte frühere Brüsseler Angaben, wonach die Mitgliedsländer nun insgesamt 30.000 ukrainische Soldaten auf EU-Gebiet schulen wollen, doppelt so viele wie bisher vereinbart. Das umfasst laut seinem Tweet eine „Spezialausbildung und die technische Unterweisung an neuer Ausrüstung, darunter Leopard-2-Panzern“.

Die Ausbildung erfolgt laut dem Außenbeauftragten im Rahmen der militärischen Unterstützungsmission für die Ukraine (EU Military Assistance Mission, EUMAM). Die EU-Außenminister hatten die bisher größte europäische Ausbildungsmission im November beschlossen. Damit wurden bisher 15.000 ukrainische Soldaten auf EU-Gebiet ausgebildet.

Selenskyj verweist auf Fortschritte

Der ukrainische Präsident hatte zuletzt in einer Videoansprache an seine Landsleute gesagt, er erwarte Entscheidungen der EU-Partner, die den offensichtlichen Reformfortschritten entsprächen. Damit bezog er sich darauf, dass die EU die Ukraine im vergangenen Juni in den Kreis der Beitrittskandidaten aufgenommen, den Beginn von Verhandlungen über einen Beitritt allerdings an die Erfüllung von sieben Voraussetzungen geknüpft hatte.

Bei diesen geht es etwa um das Auswahlverfahren ukrainischer Verfassungsrichter und eine stärkere Korruptionsbekämpfung – insbesondere auf hoher Ebene. Die EU fordert zudem, dass Standards im Kampf gegen Geldwäsche eingehalten werden und ein Gesetz gegen den übermäßigen Einfluss von Oligarchen umgesetzt wird.

„Wir haben Reformdynamik registriert“

Aus der EU-Kommission hieß es dazu zuletzt, dass die Ukraine Fortschritte gemacht habe, eine offizielle Empfehlung für den Beginn von Beitrittsverhandlungen aber vermutlich frühestens in der zweiten Jahreshälfte erfolgen werde. „Wir haben eine Reformdynamik registriert, aber es gibt noch einiges zu tun“, sagte ein ranghoher Beamter am Dienstag in Brüssel.

EU-Vertreter in der Ukraine

Am Freitag findet in Kiew ein hochrangiges Treffen zwischen EU-Vertretern und den Spitzen der ukrainischen Regierung statt. Eine Art Gipfel, bei dem es um weitere Hilfen und auch um die Chancen eines möglichen EU-Beitritts der Ukraine gehen wird.

Bei den Gesprächen in Kiew wird es auch um weitere notwendige Fortschritte zum Beispiel bei der Korruptionsbekämpfung und die mögliche EU-Unterstützung dabei gehen. Weitere Themen sollen der Abbau von Handelshemmnissen, humanitäre und militärische Hilfen sowie die geplante Aufnahme der Ukraine in den EU-Roaming-Raum sein.

Letzteres würde bedeuten, dass Ukrainerinnen und Ukrainer innerhalb der EU mit ihren Mobilgeräten telefonieren, SMS schreiben und Datendienste nutzen könnten, ohne Zusatzkosten fürchten zu müssen. Ebenso würde das für Bürgerinnen und Bürger der EU in der Ukraine gelten.

Neue schwere Angriffe auf Ukraine?

Unterdessen rechnet die Ukraine mit neuen schweren Angriffen durch Russland. Laut ukrainischen Militärs seien solche um den Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine, dem 24. Februar, zu erwarten. Auch nimmt Kiew an, dass Russland weit mehr Soldaten mobilisiert hat als offiziell angegeben. Eine unabhängige Bestätigung dafür gibt es nicht.

Lawrow ortet zerstörerische Absichten

Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf von der Leyen zerstörerische Absichten vor. Die Kommissionschefin wolle, dass sich Russlands Wirtschaft „auf viele Jahrzehnte hin“ nicht werde erholen können, sagte der Außenminister im russischen Staatsfernsehen. „Ist das nicht Rassismus, nicht Nationalsozialismus – nicht ein Versuch, ‚die russische Frage‘ zu lösen?“, fragte Lawrow mit Verweis auf den Zweiten Weltkrieg. Am Donnerstag beging Russland den 80. Jahrestag des Sieges der Sowjetarmee über die Truppen Nazi-Deutschlands in der Schlacht von Stalingrad.

Putin wettert gegen Westen

Putin warf bei dieser Gelegenheit Deutschland vor, sich nun in einen Krieg mit Russland hineinziehen zu lassen. „Es ist unfassbar, aber eine Tatsache: Wir werden erneut mit dem deutschen Panzer Leopard bedroht“, sagte Putin bei einem Festakt in Wolgograd (Stalingrad). Wie im Zweiten Weltkrieg werde wieder auf dem Boden der Ukraine mit deutschen Waffen gegen Russland gekämpft, sagte der 70-Jährige. Anders als von Putin dargestellt gab es damals keine Leopard-Panzer.

Wie damals gegen die deutschen Truppen werde sich Russland aber auch diesmal wehren, meinte Putin mit Blick auf den Krieg gegen die Ukraine, den er vor fast einem Jahr selbst begonnen hatte: „Wir haben etwas, womit wir antworten. Und mit der Anwendung von Panzertechnik ist die Sache nicht erledigt. Das sollte jeder verstehen“, sagte er.

Er warf dem „kollektiven Westen“ eine antirussische Politik wie unter Nazi-Diktator Adolf Hitler vor. „Jetzt sehen wir leider die Ideologie des Nazismus in einem modernen Antlitz, in seiner modernen Ausprägung schafft er erneut eine Bedrohung für die Sicherheit.“ Kritiker werfen Putin immer wieder vor, die für viele Russen heiligen Gedenktage zur Erinnerung an den Sieg der Sowjetunion gegen Hitler-Deutschland im Zweiten Weltkrieg für seine Propaganda um den Überfall auf die Ukraine zu missbrauchen.

Moskau: Russlands Rüstungsfirmen erhöhen Lieferungen

Unterdessen sollen die russischen Rüstungsunternehmen dem früheren Präsidenten Dmitri Medwedew zufolge in diesem Jahr ihre Waffenlieferungen erheblich steigern. Diese neuen Lieferungen würden dem russischen Militär helfen, der Ukraine auf dem Schlachtfeld eine „vernichtende Niederlage“ zuzufügen.

Medwedew ist stellvertretender Vorsitzender des mächtigen Nationalen Sicherheitsrates, dessen Vorsitzender ist Putin. Zudem leitet Medwedew eine Regierungskommission für Waffenproduktion. Ob die Angaben glaubwürdig sind oder ob es sich lediglich um Propaganda handelt, ist unklar.