EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj bei einem Treffen in Kiew
AP/Ukrainian Presidential Press Office
Treffen in Kiew

Gipfel soll EU-Chancen für Ukraine ausloten

Es ist das erste Gipfeltreffen dieser Art in einem Land mitten in einem Krieg: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel kommen am Freitag in Kiew mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj zusammen. Thema soll neben der Unterstützung im Krieg gegen Russland der Wunsch des Landes nach baldiger Aufnahme in die Europäische Union sein.

Vor dem Beginn des Gipfeltreffens in der ukrainischen Hauptstadt ertönten am Freitag in Kiew und in der gesamten Ukraine Luftschutzsirenen. Angaben aus der Hauptstadt zufolge wurde der Alarm wegen des Einsatzes russischer Kampfflugzeuge im Luftraum über Belarus ausgelöst. Von dort aus werden regelmäßig Raketen in Richtung Ukraine abgefeuert.

Ob der Luftalarm Auswirkungen auf den Gipfel hat, ist unklar. Zum genauen Ablauf wurden aus Sicherheitsgründen keine Angaben gemacht. Mitgeteilt wurde lediglich, dass es unter anderem eine Arbeitssitzung und eine Pressekonferenz geben soll.

Hoffnung auf Beitritt

Die Ukraine hofft, dass noch in diesem Jahr Verhandlungen über einen EU-Beitritt beginnen. Die 27 EU-Staaten haben sich allerdings darauf verständigt, dass zuvor Reformversprechen eingelöst werden müssen. Dabei es geht unter anderem um das Auswahlverfahren von Verfassungsrichtern und die Bekämpfung von Korruption – insbesondere auf hoher Ebene.

Zahlreiche Razzien in der Ukraine in den vergangenen Tagen sprechen dafür, dass die ukrainische Regierung die Botschaft der EU verstanden hat. Auch fordert die EU, dass Standards im Kampf gegen Geldwäsche eingehalten werden und ein Gesetz gegen den übermäßigen Einfluss von Oligarchen umgesetzt wird.

Große Delegation aus Brüssel

Neben von der Leyen und dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell sind 15 EU-Kommissarinnen und -Kommissare ebenfalls in Kiew, unter anderen die Vizepräsidentinnen und -präsidenten Margrethe Vestager, Valdis Dombrovskis, Vera Jourova und Margaritis Schinas. Für Notfälle in Brüssel ist unter anderen Vizepräsident Frans Timmermans geblieben.

Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen bei der Ankunft in Kiew
AP/Ukrainian Presidential Press Office
Von der Leyen und Selenskyj in Kiew, flankiert von Delegationen

Weitere Unterstützung zugesagt

Von der Leyen hatte schon zum Auftakt eines zweitägigen Besuchs in Kiew am Donnerstag weitere umfangreiche Unterstützung im Kampf gegen Russland zugesagt. „Unsere heutige Anwesenheit in Kiew ist ein sehr deutliches Signal: Die gesamte Europäische Union ist langfristig an der Seite der Ukraine“, sagte die deutsche Politikerin an der Seite von Staatschef Selenskyj. Die Ukraine sei zum Mittelpunkt Europas geworden. „Zum Ort, an dem unsere Werte hochgehalten werden, wo unsere Freiheit verteidigt wird und wo die Zukunft Europas geschrieben wird.“

Sie kündigte weitere finanzielle, militärische und humanitäre Hilfen an. So sollen in diesem Jahr weitere 450 Millionen Euro bereitgestellt werden, um zum Beispiel den schnellen Wiederaufbau der Infrastruktur und Reformprojekte zu unterstützen. Zudem wird die EU weitere 2.400 Stromgeneratoren zur Verfügung stellen, insgesamt also mehr als 5.000. Bis zum Jahrestag des Kriegsbeginns am 24. Februar soll ein neues Paket mit Russland-Sanktionen beschlossen werden – das zehnte.

EU-Ukraine-Gipfel in Kiew

Ein hochrangiges Treffen zwischen EU-Vertretern und den Spitzen der ukrainischen Regierung findet am Freitag in Kiew statt. Eine Art Gipfel, bei dem es um weitere Hilfen und auch um die Chancen eines möglichen EU-Beitritts der Ukraine gehen wird.

Milliarden für Wiederaufbau nötig

Die Ukraine forderte bei der EU für den angelaufenen Wiederaufbau der durch Russlands Krieg zerstörten Infrastruktur konkrete Mittel. „In diesem Jahr beträgt der Bedarf 17 Milliarden US-Dollar (rund 15,6 Milliarden Euro, Anm.)“, sagte Regierungschef Denys Schmyhal bei einem Treffen mit dem Kommissionsvize Dombrovskis.

Dafür sollten vor allem die im Zuge der Sanktionen gegen Moskau eingefrorenen russischen Gelder verwendet werden. Gleichzeitig dankte Schmyhal für die Finanzzusagen der EU von 18 Milliarden Euro, von denen bereits drei Milliarden in der Ukraine eingetroffen seien. „Wichtig ist, dass diese Finanzmittel prognostizierbar sind und regelmäßig eintreffen“, sagte der 47-Jährige.

Ausbildung für ukrainische Soldaten

Der EU-Außenbeauftragte Borrell kündigte darüber hinaus offiziell die Ausweitung der europäischen Ausbildungsmission für ukrainische Streitkräfte an. Diese soll zusätzliche 15.000 ukrainische Soldaten trainieren und die Gesamtzahl damit auf 30.000 erhöhen. Borrell zufolge soll die EU-Mission auch die Besatzung von Kampfpanzern ausbilden.

Das soll dafür sorgen, dass die Ukrainer die Leopard-2-Panzer effektiv nutzen können, die Länder wie Deutschland zur Verfügung stellen wollen. Zudem will die EU 25 Millionen Euro für die Minenräumung in zurückeroberten Gebieten bereitstellen. Bei der Minenräumung kann sich Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) auch eine Beteiligung des Bundesheers vorstellen.

Selenskyj: Verteidigen europäische Werte

Selenskyj warb indes für weitere Unterstützung, um den Krieg gegen Russland zu gewinnen. „Jetzt ist offensichtlich, dass man den Traum von einem friedlichen Europa nur zusammen mit der Ukraine verwirklichen kann und nur, indem man Russland besiegt“, sagte der 45-Jährige. „Die Ukraine verteidigt auf dem Schlachtfeld gerade die Werte, wegen denen sich Europa vereinigt hat und vereinigt.“

Der Beitritt zur EU ist deshalb aber noch lange kein Selbstläufer – auch wenn Ministerpräsident Schmyhal zuletzt mehrfach gesagt hat, die Ukraine könne es in den kommenden zwei Jahren schaffen. Nachdem die Ukraine im vergangenen Sommer zum Beitrittskandidaten wurde, haben aber tatsächlich noch nicht einmal die Verhandlungen über einen Beitritt begonnen. Diesen Schritt hatte die EU damals daran geknüpft, dass die Ukraine sieben Voraussetzungen erfüllt, eben vor allem in Sachen Korruptionsbekämpfung.

Von der Leyen ging auf diese Hürden am Donnerstag nur am Rande ein und lobte stattdessen den „beeindruckenden Fortschritt“ des Landes. Ihre Behörde will nach dem Sommer einen ausführlichen Bericht zu den Reformfortschritten der Ukraine vorlegen.

Lawrow ortet zerstörerische Absichten

Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf indes von der Leyen zerstörerische Absichten vor. Die Kommissionschefin wolle, dass sich Russlands Wirtschaft „auf viele Jahrzehnte hin“ nicht werde erholen können, sagte der Außenminister im russischen Staatsfernsehen. „Ist das nicht Rassismus, nicht Nationalsozialismus – nicht ein Versuch, ‚die russische Frage‘ zu lösen?“, fragte Lawrow mit Verweis auf den Zweiten Weltkrieg. Am Donnerstag beging Russland den 80. Jahrestag des Sieges der Sowjetarmee über die Truppen Nazi-Deutschlands in der Schlacht von Stalingrad.

Putin wettert gegen Westen

Russlands Präsident Wladimir Putin warf bei dieser Gelegenheit Deutschland vor, sich nun in einen Krieg mit Russland hineinziehen zu lassen. „Es ist unfassbar, aber eine Tatsache: Wir werden erneut mit dem deutschen Panzer Leopard bedroht“, sagte Putin bei einem Festakt in Wolgograd (Stalingrad). Wie im Zweiten Weltkrieg werde wieder auf dem Boden der Ukraine mit deutschen Waffen gegen Russland gekämpft, sagte der 70-Jährige. Anders als von Putin dargestellt gab es damals keine Leopard-Panzer.

Wie damals gegen die deutschen Truppen werde sich Russland aber auch diesmal wehren, meinte Putin mit Blick auf den Krieg gegen die Ukraine, den er vor fast einem Jahr selbst begonnen hatte: „Wir haben etwas, womit wir antworten. Und mit der Anwendung von Panzertechnik ist die Sache nicht erledigt. Das sollte jeder verstehen“, sagte er.

Putin droht Deutschland

Russlands Präsident Wladimir Putin missbraucht das Gedenken an den Sieg der Sowjetarmee über die nationalsozialistischen deutschen Truppen in Stalingrad vor 80 Jahren: Einmal mehr behauptet er, sein Krieg in der Ukraine sei eine Fortsetzung des Kampfes gegen die Nationalsozialisten. Und Russland werde sich wehren. Unterdessen sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrem vierten Besuch in Kiew: Russland müsse für seine abscheulichen Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden.

Er warf dem „kollektiven Westen“ eine antirussische Politik wie unter Nazi-Diktator Adolf Hitler vor. „Jetzt sehen wir leider die Ideologie des Nazismus in einem modernen Antlitz, in seiner modernen Ausprägung schafft er erneut eine Bedrohung für die Sicherheit.“ Kritiker werfen Putin immer wieder vor, die für viele Russen heiligen Gedenktage zur Erinnerung an den Sieg der Sowjetunion gegen Hitler-Deutschland im Zweiten Weltkrieg für seine Propaganda um den Überfall auf die Ukraine zu missbrauchen.