Kind spielt vor gefällten Bäumen
Reuters/Nacho Doce
Auch UNO betroffen

Kritik an „wertlosen“ CO2-Zertifikaten

Das Konzept ist einfach: Wer CO2 ausstößt, kann seine „Klimasünden“ mit dem Kauf von CO2-Zertifikaten kompensieren. Das Geld fließt dann in Projekte, in deren Rahmen CO2 reduziert wird. Im besten Fall. Oftmals stellen sich die Zertifikate aber als wirkungslos heraus. Glaubt man einem Bericht, geschah das selbst im Fall der UNO.

Die UNO betreibe eine Internetplattform, die sich in Form eines Onlineshops an Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen richte, die dort Zertifikate verschiedener Projekte erwerben können, berichtete die „Wirtschaftswoche“ am Freitag.

Laut Recherchen der Zeitung und des Onlinemagazins Flip könnte ein erheblicher Teil der dort angebotenen Billigzertifikate aber wirkungslos sein, also das Klima nicht schützen. Auf der Plattform können Nutzer den Angaben zufolge besonders kostengünstig Emissionen ausgleichen, teilweise für wenige Cent pro Tonne CO2. Das sei ein Bruchteil der üblichen Kosten, so die Kritik.

Flugzeuge auf Flughafen
IMAGO/NurPhoto/Creative Touch Imaging Ltd
Jede Tonne CO2, die man ausstößt, durch ein Klimaprojekt wieder zurücknehmen? Was verlockend klingt, weist oft erhebliche Mängel auf.

Wenige Cent vs. Hunderte Euro pro Tonne

Zum Vergleich: Der Preis ist derzeit noch je nach Land unterschiedlich, in Deutschland und Österreich etwa liegt er bei rund 30 Euro. Fachleute wie jene vom Climate Change Center Austria (CCCA) sehen den Preis als viel zu niedrig angesetzt an und plädieren für eine Verdoppelung beziehungsweise eine Erhöhung auf bis zu 400 Euro pro Tonne bis 2030.

Eine Tonne CO2 pro Zertifikat

Jedes Zertifikat entspricht einer Tonne CO2.

Für viele Unternehmen ist es ein verlockendes Geschäft – sie können so weitermachen wie bisher, ihre Emissionen kompensieren und sich damit als „klimaneutral“ bezeichnen. So schrieb auch die „Zeit“ kürzlich: „In Zeiten, in denen Manager und Vorstände Klimaziele ausrufen, ist das ein verlockendes Angebot. Unternehmen können dafür zahlen, dass irgendwo auf der Welt ein Klimaschutzprojekt die Emissionen einspart, die sie ausstoßen, indem sie Gas fördern, Autos bauen, Computer herstellen. Jede Tonne CO2 wird als Zertifikat verkauft.“

In der Theorie sei es ein Deal, „bei dem alle gewinnen“. Doch oftmals fehle es eben an der Garantie, dass das CO2 auch wirklich eingespart werde, heißt es in dem Artikel weiter.

UNO-Hauptquartier in New York
Reuters/Yana Paskova
Nun steht auch die UNO in der Kritik – sie würde „wirkungslose“ Zertifikate zu einem Schrottpreis verkaufen, so der Vorwurf

„Erhebliche Mengen unwirksamer Zertifikate im Umlauf“

So steht der weltweite Handel mit diesen Zertifikaten immer wieder in der Kritik – wie nun eben die UNO. Nach Auffassung unabhängiger Experten seien derzeit erhebliche Mengen unwirksamer UNO-Zertifikate im Umlauf. Der Klimaforscher Martin Cames von der Berliner Forschungseinrichtung Öko-Institut etwa geht davon aus, dass bis zu 85 Prozent der UNO-Projekte dem Klima nicht so helfen, wie sie es vorgeben. „Trotzdem trägt das alles das UNO-Siegel, ich halte das für problematisch“, sagte Cames gegenüber der „Wirtschaftswoche“.

Flip und die „Wirtschaftswoche“ untersuchten nach eigenen Angaben unter anderem ein Staudammprojekt in Brasilien, dessen CO2-Zertifikate ein brasilianisches Unternehmen in dem Onlineshop der UNO anbietet.

Doch laut Angaben verantwortlicher Mitarbeiter des Betreibers wäre der Staudamm auch ohne das Geld aus den Zertifikaten gebaut worden. Das Projekt spare daher keine zusätzlichen Emissionen ein. Die Zertifikate, die damit in Verbindung stehen, dürften also wertlos sein. Trotz mehrfacher Anfrage äußerte sich die UNO den Angaben zufolge nicht zu den Ergebnissen der Recherche.

Personen pflanzen Bäume in Libyen
Reuters/Hazem Ahmed
CO2-Zertifikate durch Klimaschutzprojekte können im schlimmsten Fall mehr Schaden anrichten als nutzen

„Millionen“ falsche Zertifikate

Doch die UNO ist bei Weitem nicht der einzige Fall. So zeigen gemeinsame Recherchen der „Zeit“ und des „Guardian“ etwa in den Niederlanden, den USA und Peru, dass über Jahre offenbar Millionen CO2-Zertifikate verkauft worden seien, „die es nicht hätte geben dürfen“. So würden etwa zahlreiche Waldschutzprojekte ihre Kompensation um ein Vielfaches überbewerten, da die Regulierungen fehlen würden – und die Aufsicht versage.

So habe ein weltweites Forschungsteam 29 der 87 Waldschutzprojekte des Zertifizierers Verra untersucht. Die Auswertung legt nahe, dass über 90 Prozent aller Zertifikate daraus wertlos sind, rund 89 Millionen Tonnen CO2 seien als Geisterzertifikate auf dem Markt gelandet. Das entspreche dem jährlichen CO2-Ausstoß von Griechenland und der Schweiz gemeinsam. Betroffene Unternehmen seien etwa Shell, Boeing und Bayer.

„Und die 89 Millionen Tonnen beziehen sich nur auf das untersuchte Drittel der von Verra zertifizierten Projekte. Das wahre Ausmaß der ungedeckten Zertifikate dürfte also noch höher sein“, so die „Zeit“. Verra spricht indes von „methodischen Mängeln“ bei der Untersuchung.

Emissionshandel in Europa

CO2-Zertifikate spielen auch in der EU eine große Rolle. Im Falle der gesetzlich verpflichtenden CO2-Kompensation im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems (EU-EHS) werden CO2-Zertifikate aber wie Wertpapiere EU-weit gehandelt. Dieser Emissionshandel wurde 2005 eingeführt und deckt rund 40 Prozent des Treibhausgasausstoßes in der EU ab.

EU-Mitgliedsländer verfügen je nach Größe über ein bestimmtes Kontingent an Zertifikaten, die sie an ihre Unternehmen vergeben können – sie tun das teilweise kostenlos, teilweise über Versteigerungen. Stößt ein Unternehmen mehr CO2 aus, als ihm durch seine durch die CO2-Zertifikate erworbenen Rechte zusteht, muss es Strafen zahlen oder zusätzliche Zertifikate kaufen.

Angesichts ungenauer Berechnungen empfiehlt Klimaberaterin Charlotte Streck gegenüber der „Zeit“ Unternehmen, mehr Zertifikate zu kaufen, als ihnen offiziell zugewiesen würden. Dennoch: Angesichts all der Lücken im System könnten Zertifikate, so die „Zeit“, im schlimmsten Fall nicht nur Verbraucherinnen und Verbraucher mit fälschlich als „klimaneutral“ klassifizierten Produkten in die Irre führen, sondern das Klimaproblem auch noch zusätzlich verschärfen, anstatt es zu lösen.