Das Adani Corporate House in Ahmedabad (Indien)
AP/Ajit Solanki
Mischkonzern Adani

Wankendes Imperium als Stresstest für Indien

Bis vor wenigen Tagen ist der Inder Gautam Adani der drittreichste Mensch der Welt gewesen, geschätztes Privatvermögen: 120 Milliarden Dollar. Genauso viel hat sein Konzernimperium an Wert verloren, seit Enthüllungen einer US-Investmentfirma über angebliche unlautere Finanzgeschäfte der Adani-Gruppe auftauchten. Der Fall beschäftigt inzwischen auch die Politik, am Montag kam es zu Demonstrationen der Opposition.

Begonnen hatte der dramatische Absturz am 24. Jänner, als das US-Unternehmen Hindenburg Research Betrugsvorwürfe gegen Adani erhob: Er habe unter Nutzung von Steuerparadiesen Geld in eigene Aktien investiert und damit deren Kurs künstlich hochgetrieben. Hindenburg sprach von „dreister Börsenmanipulation“, die sich über Jahrzehnte erstreckt habe. Hindenburg Research ist eine auf Leerverkäufe spezialisierte Investmentfirma, spekuliert also auf fallende Börsenkurse.

Adani wies die Betrugsvorwürfe zurück und drohte mit rechtlichen Schritten. Sein Konzern veröffentlichte eine 413 Seiten lange Stellungnahme, in der die Anschuldigungen als „nichts als Lügen“ und „auf bösartige Weise irreführend“ bezeichnet werden. Doch der Schaden war schon angerichtet. Anleger flüchteten geradezu aus Adani-Papieren.

Befreiungsschlag gescheitert

Ende Jänner versuchte die Adani-Gruppe einen Befreiungsschlag. Sie teilte mit, sie habe die volle Unterstützung der Investoren. Adani gelang es, die Zeichnung für die Zweitplatzierung von Aktien im Volumen von 2,5 Milliarden Dollar zu sichern, obwohl der Marktpreis unter dem Angebotspreis der Emission lag. Börsianer sahen die erfolgreiche Zweitplatzierung als Hinweis, dass der Konzern die Unterstützung der institutionellen Anleger habe.

Doch die Talfahrt der Adani-Aktien konnte das nicht stoppen. Mitte vergangener Woche teilte Adani in einer Videoansprache dann mit: „Das Interesse meiner Investoren steht an erster Stelle, und alles andere ist zweitrangig.“ Adani Enterprises verlautete, es wäre „nicht moralisch richtig“, das Vorhaben weiterzuverfolgen. Um die Investoren vor möglichen Verlusten zu bewahren, sei deshalb die Aktienplatzierung zurückgezogen worden. Den Rückzug werteten Marktteilnehmer als dramatischen Rückschlag für Adani.

Der indische Unternehmer Gautam Adani
AP/Adani Enterprises Ltd.
Adani bei seiner Videobotschaft

Kursverluste setzen sich fort

Eine Entspannung zeichnet sich auch mit Beginn der neuen Woche nicht ab: Die Aktien der Gruppe gaben am Montag nach, jene von Adani Enterprises, dem Flaggschiff des Konglomerats, brachen zwischenzeitlich um zehn Prozent ein. Der Handel mit den Papieren von Adani Total Gas, an dem der französische Ölgigant TotalEnergies 37,4 Prozent der Anteile hält, und Adani Power wurde nach einem Absturz zu Börsenbeginn wie schon in der Vorwoche ausgesetzt. Adani Ports stieg um 9,3 Prozent und war damit die einzige Adani-Aktie, die sich dem Trend widersetzte.

Wohl um die Anleger zu beruhigen, teilte Adani am Montag mit, dass die Großinvestoren sich verpflichtet hätten, 1,1 Milliarden Dollar an aktiengestützten Krediten, die im September 2024 fällig wären, vorzeitig zurückzuzahlen. Die Rückzahlungen umfassen Anteile an Adanis Hafengeschäft, Adani Green Energy und Adani Transmission.

Mehrere internationale Großbanken, darunter Credit Suisse, Citigroup und Standard Chartered, akzeptieren laut der Finanznachrichtenagentur Bloomberg News inzwischen keine Adani-Aktien mehr als Sicherheit für die Vergabe von Krediten.

Aktien aus dem Firmenimperium des indischen Milliardärs Gautam Adani bleiben weiter unter Druck. Die Opposition forderte eine Untersuchung der Betrugsvorwürfe und Aktienkursmanipulationen. Sie organisierte zudem landesweite Prozesse mit Hunderten Teilnehmerinnen und Teilnehmern, um auf die Risiken für Kleinanleger aufmerksam zu machen. Alle zehn Papiere von Adani Enterprises hatten nachgegeben, die bekanntesten Aktien fielen um bis zu knapp zehn Prozent.

Opposition führt Proteste an

Am Montag versammelten sich Hunderte von Demonstranten der größten indischen Oppositionspartei in Neu-Delhi und anderen Städten, um von den Aufsichtsbehörden eine Untersuchung der Betrugs- und Aktienmanipulationsvorwürfe gegen Adani zu fordern. Die Demonstranten äußerten sich auch verärgert über die Investitionen der staatlich unterstützten Life Insurance Corporation (LIC) und der State Bank of India (SBI) in die Adani-Gruppe. „Der einfache Mann hat sein Geld in das Unternehmen eines Geschäftsmannes (Gautam Adani, Anm.) investiert und die Regierung versucht, ihn zu retten. Die Regierung unterstützt den Geschäftsmann und nicht den einfachen Mann“, wurde der Generalsekretär des Uttar Pradesh Congress Committee, Shiv Panday, von der Nachrichtenagentur ANI zitiert.

Der Kongress ist der Ansicht, dass Adanis enge Beziehungen zu Premierminister Narendra Modi – beide stammen aus dem Bundesstaat Gujarat – es ihm ermöglicht haben, auf unfaire Weise Verträge zu gewinnen und eine angemessene Aufsicht zu umgehen. Beide Kammern des indischen Parlaments wurden am Montag den dritten Tag in Folge vertagt, da es zu Parolen und Forderungen nach einer Untersuchung kam.

Nähe zu Modi dementiert

Finanzministerin Nirmala Sitharaman betonte am Sonntag, dass Adani-Unternehmen auch Aufträge in indischen Bundesstaaten gewonnen hätten, die nicht von Modis hindu-nationalistischer Bharatiya Janata Party (BJP) regiert werden. „Jedes Projekt unter der Führung von Premierminister Modi durchläuft den Prozess der offenen Ausschreibung“, sagte Sitharaman dem Sender Times Now.

Dennoch steht der Vorwurf der Vetternwirtschaft und Korruption im Raum. „Tatsache ist, dass mein beruflicher Erfolg nicht einem einzelnen Staatsführer zu verdanken ist, sondern den politischen und institutionellen Reformen, die von mehreren Staatsführern und Regierungen über einen langen Zeitraum von mehr als drei Jahrzehnten eingeleitet wurden“, sagte Adani dazu im indischen Fernsehen.

Vom Schulabbrecher zum Multimilliardär

Der aus der Mittelschicht stammende Adani brach in der zehnten Klasse, im Alter von 15 Jahren, die Schule ab. Er zog in die Finanzmetropole Mumbai und arbeitete dort im Diamantenhandel. 1988 gründete er seine erste eigene Firma, ein Import-Export-Unternehmen. Adanis Durchbruch kam 1995, als er sich den Vertrag zum Aufbau eines Handelshafens in Gujarat sicherte. Just zu dem Zeitpunkt, als die indische Wirtschaft sich international öffnete.

Containerterminal im Mundra-Hafen in Gujarat (Indien)
Reuters/Amit Dave
Der Hafen nahe Mundra in Gujarat

Später investierte Adani in alle möglichen Branchen, von australischen Kohleminen bis zu israelischen Häfen, von Medien bis hin zu Lebensmitteln. Mehrere Projekte, insbesondere Kohleminen und der Bau eines Hafens, lösten heftigen Protest von Anwohnern aus. Mittlerweile umfasst sein Firmenimperium auch Flughäfen, Energieerzeugung, erneuerbare Energien und Zement. Sieben Unternehmen sind börsennotiert, allen voran Adani Enterprises, die in den vergangenen fünf Jahren vor dem dramatischen Absturz mehr als 1.000 Prozent an Börsenwert gewann.

Ganze Familie in der Chefetage

Adani persönlich gilt, anders als viele andere Mitglieder der indischen Geldelite, als zurückhaltender Mensch. „Ich bin keine kontaktfreudige Person, die auf Partys gehen will“, sagte er einmal in einem seiner seltenen Interviews. Das ganze Imperium gleicht einem Familienbetrieb: Sein älterer Sohn Karan ist Leiter von Adani Ports and SEZ, Indiens größtem privaten Hafenbetreiber. Er hat einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften der Purdue University in den USA.

Karan ist mit Paridhi verheiratet, der Tochter von Cyril Shroff, der wiederum eine der größten Wirtschaftskanzleien des Landes leitet. Gautam Adanis jüngerer Sohn Jeet ist Vizepräsident der Finanzabteilung der Adani-Gruppe. Adanis Bruder Rajesh sitzt im Verwaltungsrat von Adani Enterprises, sein Neffe Pranav gehört dem Vorstand an und leitet die Geschäftsbereiche Stadtgasversorgung, Landwirtschaft, Immobilien und natürliche Ressourcen.

Vor dem Hindenburg-Bericht war Adani dem Milliardärindex von Bloomberg zufolge der reichste Mensch Asiens und der drittreichste der Welt. Seitdem ging es steil bergab: Am Montag fand er sich auf der in Echtzeit erstellten Rangliste auf Platz 21 wieder – sein Nettovermögen ist von 120 Milliarden Dollar auf 59 Milliarden gesunken.