Demonstranten in Tehran
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Iran

Begnadigung mit vielen Fragezeichen

Der Iran hat am Sonntag eine Amnestie angekündigt, die auch für im Zuge der anhaltenden Proteste festgenommene Menschen gelten soll. Als Grund gab der staatliche und geistliche Führer Ajatollah Ali Chamenei den bevorstehenden Jahrestag der Islamische Revolution von 1979 an. Wie viele Personen von der Begnadigung betroffen sind, ist aber völlig unklar – und es werden Bedingungen gestellt.

Chamenei habe „der Begnadigung und Strafmilderung einer großen Zahl von Beschuldigten zugestimmt, die im Zusammenhang mit jüngsten Vorfällen angeklagt oder in anderen Fällen verurteilt wurden“, hieß es auf einer Erklärung auf Chameneis Website.

Ausgeschlossen davon seien allerdings Menschen, die wegen Spionage, Kontakten zu ausländischen Geheimdiensten, Mordes und Vandalismus angeklagt wurden. Wie viele Inhaftierte von der Amnestie profitieren könnten, wurde nicht mitgeteilt. Medienberichten zufolge könnten es Zehntausende sein – bestätigt wurde aber keine Zahl.

Protestierende müssen „Reueerklärung“ unterzeichnen

Die Justizbehörde verkündete ihrerseits auf ihrer Website Misan Online, dass im Zusammenhang mit der Protestbewegung Festgenommene nur dann freigelassen würden, wenn sie eine „Reueerklärung und eine schriftliche Verpflichtung“ unterzeichneten, „ein ähnliches vorsätzliches Verbrechen nicht zu wiederholen“.

Iranische Revolution

Die staatliche Ordnung des Iran geht auf die Islamische Revolution von 1979 zurück. Sie bewirkte den Sturz der Monarchie und die Proklamation der Islamischen Republik Iran. Seitdem sind Religion und Politik im Iran untrennbar miteinander verbunden. Jährlich am 11. Februar wird traditionell der Sieg der Islamischen Revolution im Iran gefeiert.

Wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an den seit Monaten anhaltenden Protesten im Iran wurden seit deren Beginn Tausende Menschen festgenommen. Die Proteste waren vom Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini im September nach ihrer Festnahme durch die Religionspolizei ausgelöst worden.

30 Journalisten im Gefängnis

Örtlichen Medienberichten zufolge wurde unterdessen erneut eine Journalistin festgenommen, ein weiterer Journalist sei zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Wie die reformorientierte Zeitung „Schargh“ auf ihrer Website berichtete, handelt es sich bei der Journalistin um die Ressortchefin der ebenfalls reformorientierten Tageszeitung „Hammihan“, Elnas Mohammadi. Sie wurde „Schargh“ zufolge am Sonntag bei einer Vernehmung in Teheran festgenommen.

Ihre Schwester Elaheh Mohammadi war bereits im November der „Propaganda gegen das System“ und der „Verschwörung gegen die nationale Sicherheit“ beschuldigt worden, weil sie über Aminis Beerdigung berichtet hatte. Nach Angaben des Teheraner Journalistenverbandes sind derzeit 30 Journalisten und Journalistinnen im Zusammenhang mit den Protesten im Gefängnis.

Nach einer auf offiziellen Angaben basierenden Zählung der Nachrichtenagentur AFP hat die Justiz im Zusammenhang mit den Protesten bisher 18 Menschen zum Tode verurteilt. Vier Todesurteile wurden bereits vollstreckt, was international Empörung ausgelöst hatte.

Reformpolitiker fordert „grundlegenden Wandel“

Einer der wichtigsten Reformpolitiker im Iran, der frühere Regierungschef Mir Hossein Mussawi, forderte angesichts der seit Monaten anhaltenden Proteste gegen die Führung in Teheran einen „grundlegenden Wandel“ in dem Land. „Der Iran und die Iraner brauchen und sind bereit für einen grundlegenden Wandel“, schrieb der 80-jährige in einer auf seiner Website veröffentlichten und von örtlichen Medien verbreiteten Erklärung.

Mir Hossein Mousavi
AP/Kamran Jebreili
Mir Hossein Mussawi hofft auf einen Wandel im Iran (Archivbild aus 2009)

Die Grundzüge eines solchen Wandels seien bereits von der „Bewegung Frauen, Leben, Freiheit“ vorgezeichnet, erklärte Mussawi mit Blick auf den wichtigsten Slogan der Demonstrierenden, deren Proteste seit dem Tod von Amini das Land erschüttern. Mussawis Einschätzung zufolge liegen den Protesten „miteinander verbundene Krisen“ zugrunde. Die derzeitige „Struktur“ hält der bekannte Reformer für „unhaltbar“ und schlägt daher ein „freies und faires Referendum“ zu einer möglichen neuen Verfassung vor.

Wie bei der „Volksrevolution von 1979“ hätten die Menschen „ein Recht auf grundlegende Überarbeitungen, um (…) den Weg für Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Entwicklung“ des Iran zu ebnen, erklärte Mussawi.

Ex-Präsident hofft auf Bewegung

„Was heute offensichtlich ist, ist eine weit verbreitete Unzufriedenheit“, erklärte am Sonntag schließlich der iranische Ex-Präsident Mohammed Chatami, der Anführer der Reformbewegung im Iran. Er hoffe, dass der Gebrauch von „gewaltfreien zivilen Methoden“ die Staatsführung „zwingen“ könne, „ihre Herangehensweise zu ändern und Reformen zu akzeptieren“. Chatami war von 1997 bis 2005 Staatschef des Landes – bevor er zum Schweigen gezwungen wurde.

Mussawi war bei der Präsidentschaftswahl 2009 gegen den erzkonservativen Mahmud Ahmadinedschad angetreten und hatte nach dessen Wiederwahl schweren Wahlbetrug angeprangert. Seit zwölf Jahren steht er gemeinsam mit seiner Ehefrau unter Hausarrest – ohne jemals angeklagt worden zu sein. Der heute 80-Jährige gehörte seinerzeit zu den engsten Vertrauten des Republikgründers Ajatollah Ruhollah Chomeini. Von 1981 bis 1989 amtierte er als Regierungschef.