Abschuss des vermeintlichen chinesischen Spionageballons
AP/Chad Fish
Nach Abschuss

„Spionageballon“ lässt viele Fragen offen

Auch nach dem Abschuss eines mutmaßlichen chinesischen Spionageballons über den USA sind viele Fragen offen: etwa, wie der Ballon überhaupt in den US-Luftraum kam, wie das „Wall Street Journal“ schreibt; und warum es erst recht spät zu dem Abschuss kam. Auch stellt sich die Zeitung die Frage, ob die US-Regierung nicht aus diplomatischen Gründen lieber „durchgetaucht“ wäre. Unterdessen bergen die USA die Überreste des Ballons, um mehr Klarheit zu bekommen.

Am Montag bestätigte Peking, dass ein zweiter, über Lateinamerika gesichteter Ballon ebenfalls aus China stammt. Das „Wall Street Journal“ sieht die offenen Fragen seit dem offiziellen Auftauchen des ersten Ballons über den USA. „Beginnen wir mit der Chronologie, wann der Ballon in den US-Lauftraum flog, und die lange Verzögerung, bis er abgeschossen wurde“, heißt es in der US-Zeitung. Die Rechtfertigung für die Verzögerung des Abschusses wurde mit dem Risiko herabfallender Trümmerteile begründet, das sei aber schwer zu glauben, so die Zeitung weiter. Eine andere Frage sei, wann die Regierung den Ballon das erste Mal im US-Luftraum gesehen hatte.

Die Zeitung wägt auch etwaige Risiken durch den „Spionageballon“ ab. „Ein unentdeckter Ballon wäre in der Lage, einen nuklearen Sprengsatz abzuwerfen, der über dem Boden explodieren und das US-Stromnetz mit einem elektromagnetischen Impuls lahmlegen könnte“, so die Zeitung. Eine weitere Frage an das Weiße Haus laute, „wann es zum ersten Mal die Ballonfrage mit Peking ansprach und wie die Chinesen antworteten“, heißt es weiter.

Chinesische Tageszeitungen berichten über den vermeintlichen Spionageballon
AP/Damian Dovarganes
Ein Blick auf chinesische Zeitungen: Das Thema ist auf den Titelseiten

Wollte US-Regierung „durchtauchen“?

Man könne sich auch mit Recht fragen, ob die Regierung hoffte, der Ballon würde die USA öffentlich unbemerkt Richtung Atlantik überqueren, so das „Wall Street Journal“ weiter. Außenminister Antony Blinken habe ja geplant, diese Woche Peking zu besuchen. Geplant war der Versuch, die Beziehung zwischen den USA und China auf eine weniger konfliktreiche Grundlage zu stellen, schreibt die Zeitung weiter. Kurz nach dem Auftauchen des Ballons wurde der Besuch allerdings abgesagt.

Ein US-Kampfflugzeug hatte den Ballon aus China am Samstag vor der Küste des Bundesstaats South Carolina abgeschossen, nachdem er über das Land geflogen war. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin prangerte „die unannehmbare Verletzung unserer Souveränität durch die Volksrepublik China“ an.

US-Außenminister Antony Blinken
Reuters/Ronaldo Schemidt
US-Außenminister Antony Blinken sagte seine China-Reise ab

Trümmer sollen Aufschluss über Ballon geben

Nach dem Abschuss des mutmaßlichen Spionageballons läuft unterdessen die Bergung der Trümmerteile. Die Bundespolizei FBI beteilige sich an der Auswertung, berichteten US-Medien am Sonntag (Ortszeit) übereinstimmend. Die Trümmer lagen nach Pentagon-Angaben rund elf Kilometer vor der Küste South Carolinas in relativ seichtem Wasser. Die USA erhoffen sich von der Auswertung Aufschluss über die technischen Fähigkeiten des Ballons.

Die Marine führe „derzeit Bergungsarbeiten“ aus, sagte der Befehlshaber der US-Streitkräfte in Nordamerika, General Glen VanHerck, am Sonntag (Ortszeit). Bei der Sicherung des Gebiets helfe die Küstenwache.

China sieht in Abschuss „offensichtliche Überreaktion“

China hatte sich am Sonntag verärgert über den Ballonabschuss geäußert. Laut dem chinesischen Außenministerium hat er die Beziehungen zwischen beiden Ländern „ernsthaft beeinträchtigt und beschädigt“. Peking zufolge handelte es sich um einen zivilen Ballon für meteorologische Zwecke, der angeblich vom Kurs abgekommen war.

Virtuelles Treffen von Joe Biden und Xi Jinping
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US-Präsident Joe Biden bei einem virtuellen Treffen mit Chinas Präsident Xi Jinping im November

Chinas Außenministerium lud den Geschäftsträger der US-Botschaft in Peking vor. Wie das Außenamt am Montag mitteilte, sagte Vizeaußenminister Xie Feng bei der Begegnung am Sonntag, das Eindringen des Ballons sei nur ein „Unfall“ gewesen, der durch „höhere Gewalt“ passiert sei. „Die Fakten sind klar und können nicht verdreht werden.“

Trotzdem hätten sich die USA „taub gestellt“ und darauf bestanden, „Gewalt gegen ein ziviles Luftschiff zu missbrauchen, das dabei war, den Luftraum der USA zu verlassen“. Es sei eine „offensichtliche Überreaktion“ gewesen und verletze „den Geist des Völkerrechts und internationale Normen“, wurde der Vizeaußenminister zitiert.

Peking will weitere Entwicklung verfolgen

Die USA hätten damit die Bemühungen und Fortschritte auf beiden Seiten, die Beziehungen seit dem Treffen von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden im November zu stabilisieren, „ernsthaft beeinträchtigt und beschädigt“, sagte Xie nach diesen Angaben.

Die chinesische Regierung werde die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen und behalte sich das Recht auf notwendige Reaktionen vor. In einem indirekten Hinweis, der wohl auf etwaige zivile Eigentümer des Ballons schließen lassen sollte, hieß es in der Mitteilung ferner, die Regierung wolle „die legitimen Rechte und Interessen chinesischer Unternehmen“ wahren.

Mullen: Das war Absicht

Der ehemalige US-Generalstabschef Mike Mullen wies die Darstellung Pekings als aus seiner Sicht unglaubwürdig zurück. In einem Interview mit dem Fernsehsender ABC News sagte Mullen, das Fluggerät sei steuerbar und mit Propellern ausgestattet gewesen. „Das war kein Unfall. Das war Absicht“, sagte Mullen.

Er glaube „eindeutig“, Mitglieder des chinesischen Militärs hätten den Ballon gestartet, um einen geplanten Besuch Blinkens in China zu stören, sagte Mullen weiter. Blinkens Besuch wäre der erste eines US-Außenministers in China seit dem von Mike Pompeo im Jahr 2018 gewesen.

Lateinamerika: China bestätigt zweiten Ballon

Der Überflug des Ballons von der Größe dreier Busse war am Donnerstag publik geworden. „Ziel des Ballons ist ganz klar Spionage, und sein aktueller Weg führt ihn über sensible Stützpunkte“, hatte ein Pentagon-Vertreter gesagt. Zu diesem Zeitpunkt schwebte der Ballon über dem Bundesstaat Montana, wo sich unter anderem Stützpunkte der Luftstreitkräfte und unterirdische Atomraketenstandorte befinden. Später flog er in Richtung Osten weiter.

Unterdessen erklärte Peking am Montag, ein zweiter, über Lateinamerika gesichteter Ballon stamme ebenfalls aus China. Die USA hatten diesen bereits am Freitag entdeckt und ihn ebenfalls als Spionageballon bezeichnet. Die kolumbianische Luftstreitkräfte verfolgten den Ballon nach eigenen Angaben so lange, bis er den Luftraum über dem Land verließ. Der Ballon sei zu keinem Zeitpunkt eine „Bedrohung“ für die Sicherheit und die Verteidigungsfähigkeit Kolumbiens gewesen, hatte das Militär in Bogota erklärt.

Die chinesische Außenamtssprecherin Mao Ning sagte nun vor Journalisten, der Ballon sei „ziviler Natur“ und bei „Flugversuchen“ im Einsatz gewesen. Das Fluggerät sei „unter Einfluss der Wetterbedingungen“ und „aufgrund seiner eingeschränkten Manövrierfähigkeit“ weit von seiner geplanten Flugbahn abgewichen und „im Himmel über Lateinamerika und der Karibik von der Route abgekommen“.