Sonnenaufgang über Frankfurt
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Ursache und Wirkung

Die Grenzen im Kampf gegen die Teuerung

Fünfmal hat die Europäische Zentralbank (EZB) seit letztem Juli ihren Leitzinssatz erhöht, zuletzt auf 3,0 Prozent. Ziel ist, die Teuerung in den Griff zu bekommen. Die Inflationsrate steigt allerdings weiter, was nahelegt, dass die Geldpolitik an irgendeinem Punkt hier an ihre Grenzen stößt. Für Konsumentinnen und Konsumenten ist die aktuelle Situation jedenfalls doppelt belastend.

Zinsen sind ein Mittel unter anderen, die Wirtschaft zu steuern. Sind sie niedrig, steigen in der Regel Kreditnachfrage und Konsum, höhere Zinsen wirken als Bremse für die Inflation. Aktuell scheint das allerdings eher volkswirtschaftliche Theorie zu sein, nachdem nach fünf Zinsschritten der EZB die Inflationsrate in Österreich im Jänner auf über elf Prozent stieg.

Das bedeutet: Die Verbraucherpreise steigen weiter, und gleichzeitig wurden durch die Erhöhung des Leitzinssatzes etwa auch Kredite merklich teurer, was mittelfristig zum Dämpfer für die Konjunktur werden könnte. Gleichzeitig sind die wirtschaftlichen Aussichten nicht die rosigsten. Die EZB will nach aktuellem Stand trotzdem auf ihrer Linie bleiben. Warum, könnte man fragen, bzw. wo kommt die Geldpolitik im Kampf gegen die Inflation aktuell an ihre Grenzen?

Das aktuelle Szenario

Steigende Teuerungsraten haben ganz unterschiedliche Ursachen, auf einige davon hat Zinspolitik eher einen Einfluss als auf andere. Preise steigen, wenn die Nachfrage größer als das Angebot ist, wenn Unternehmen sie aufgrund steigender Produktionskosten erhöhen. Inflation kann aber auch „importiert“ sein. Bestes Beispiel: die nochmals stark gestiegenen Erdgas- bzw. generell Energiepreise wegen des Krieges in der Ukraine, eine direkt praktisch kaum beeinflussbare Größe.

Grafik: Entwicklung der Leitzinssätze seit 2000
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

„Zielt nicht auf die Ursachen ab“

Die Geldpolitik stoße aktuell tatsächlich an ihre Grenzen, bestätigt die Ökonomin und Studiengangsleiterin an der FH des Berufsförderungsinstituts (BFI) Wien, Elisabeth Springler, im Gespräch mit ORF.at. Das sei auch schon in den Jahren nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 der Fall gewesen, wenn auch unter ganz gegenteiligen Vorzeichen: Damals hatten die Zentralbanken die Zinsen kontinuierlich und bis auf null gesenkt, mit dem Ziel, eine Deflation – generell sinkende Preise – zu bekämpfen. Fiskalpolitische Maßnahmen (steuer- und ausgabenseitige) seien „eher verhalten“ gewesen.

Derzeit ist das Szenario ein ganz anderes: Die Inflation in Österreich befindet sich auf dem höchsten Stand seit Jahrzehnten, die Coronavirus-Pandemie hat viel Geld gekostet, und aktuell muss der Staat zur Abfederung der Teuerung nochmals Geld in die Hand nehmen. Es seien diesmal sehr starke fiskalpolitische Akzente gesetzt worden, so Springler, um die Auswirkungen der Teuerung abzufangen, „aber das zielt nicht auf die Ursachen ab“. Antiteuerungspakete wirkten auf die unmittelbaren Effekte der Teuerung, aber nicht deren Ursachen.

Nicht ohne Risiken

Zurück zur Geldpolitik: Auch die könne aktuell die Ursachen der Teuerung nicht direkt bekämpfen. Über Zinspolitik könnten die Notenbanken etwa einer Überhitzung der Konjunktur entgegenwirken, das Kreditvolumen für realwirtschaftliche Investitionen steuern, erklärt Springler.

Die Daten der Statistik Austria zeigen allerdings seit Monaten dasselbe: Hauptpreistreiber sind Treibstoffe, Haushaltsenergie, Lebensmittel mit dem Ukraine-Krieg im Hintergrund. Denen ist mit höheren Leitzinsen bzw. nachfrageseitig wohl nur schwer beizukommen. Miete, Tanken, Heizen und Lebensmitteleinkauf sind nur bedingt eine Frage von Konsumentscheidung.

Es gibt auch andere Sichtweisen: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) kam kürzlich in einer Studie zu dem Ergebnis, dass die Notenbank per Leitzinserhöhung auch die Energiepreise senken könne, „über verschiedene Kanäle wie Nachfragerückgang und Wechselkursmechanismus“, wie es dazu hieß. Zusatz: Das verursache auch „wirtschaftliche Kosten“. Trotzdem sei die EZB auf dem richtigen Weg.

Wie geht es weiter?

Ökonomin Springler sieht dagegen aktuell die Gefahr, dass, wenn die EZB die Zinsen weiter erhöhe, Kredite damit teurer und knapper werden, während sich das Preisniveau in den nächsten Monaten vielleicht entspanne, zumindest die konjunkturelle Stimmung schlechter wird, Investitionen zurückgefahren werden „und wir damit vor der Gefahr stehen, einen konjunkturellen Abschwung zu verstärken“.

Deutlich zu steigen begonnen hatte die Teuerungsrate nach 2,8 Prozent für das Gesamtjahr mit starken Preisanstiegen bei Treibstoffen und Energie gegen Ende 2021, dann kam der Ukraine-Krieg, und schließlich kam diese „importierte Inflation“ über diverse Preissteigerungen langsam in der Kerninflation (in der Regel stark schwankende Energie- und Lebensmittelpreise herausgerechnet) an. Und die erweist sich aktuell als hartnäckig.

Notenbanken unter Zugzwang

Warum tun die Notenbanken dann, was sie aktuell tun? Einerseits müsse eine Zentralbank „Signale setzen“, sagt Springler, Initiative zeigen. Das sei besonders seit der Finanzkrise wichtig, aktuell müsse sie signalisieren, dass sie entschlossen sei, gegen die Teuerung vorzugehen. Würde die Zentralbanken hier nichts unternehmen, „wäre das natürlich ein vollkommen falsches Signal“.

Der zweite Faktor ist die Stabilität des Euro. Ziel der EZB sei ein möglichst starker Wechselkurs der europäischen Gemeinschaftswährung. Die Notenbank müsse vor allem in Krisenzeiten zeigen können, dass der Euro, eine vergleichsweise junge Währung, eingeführt erst vor etwas über 20 Jahren, stabil sei. Das sei „ja auch eine wesentliche Agenda“, so Springler.

Spirale begann sich bereits vor Ukraine-Krieg zu drehen

Die Preisspirale hatte sich bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine zu drehen begonnen. Nach einer Jahresinflation von 2,8 Prozent für 2021 stieg die Teuerungsrate im Jänner 2022 auf 5,0 Prozent. Verantwortlich dafür waren hauptsächlich Preissteigerungen bei Treibstoffen, Haushaltsenergie und Lebensmitteln.

Mit dem Krieg in der Ukraine stiegen dann die Energiepreise, allen voran für Erdgas, zu einem guten Teil wegen der Angst vor Lieferausfällen extrem stark an. Im September lag der Großhandelspreis laut dem von der österreichischen Energieagentur (AEA) berechnete Österreichischen Gaspreisindex (ÖGPI) um 376,5 Prozent über dem Niveau des Vergleichsmonats von 2021.

Knapp am 50-Jahre-Höchststand von 1974

Für das Gesamtjahr 2022 lag die Inflationsrate laut Statistik Austria bei 8,6 Prozent – um 6,8 Prozent über dem Wert von 2021 (2,8 Prozent). Sie stieg ab Jänner von 5,0 Prozent (noch vor Beginn des Ukraine-Kriegs) bis Oktober auf den Spitzenwert von 11,0 Prozent, bis Jahresende ging sie leicht auf 10,2 Prozent zurück.

Eine höhere Teuerungsrate für das Gesamtjahr hatte es zuletzt vor fast fünf Jahrzehnten mit 9,5 Prozent 1974 gegeben – in einem veritablen Krisenjahr, in dem die Weltwirtschaft mit mehreren Konflikten und vor allem der ersten Erdölkrise (ab 1973) kämpfte.

Krisenjahre damals und heute

Krisen und der Erdöl- bzw. Erdgaspreis haben auch im letzten Jahr eine Hauptrolle beim rasanten Anstieg der Inflationsrate gespielt bzw. generell die Preise für Haushaltsenergie, Treibstoffe, Wohnen und Lebensmittel. Die Preise für Wohnen, Wasser und Energie insgesamt stiegen im Vorjahr um 12,5 Prozent (nach 3,6 Prozent 2021). Einzeln betrachtet war Haushaltsenergie um 36,8 Prozent teurer als im Jahr zuvor, noch weiter aufgeschlüsselt Heizöl um 89,7, Erdgas um 80,8 Prozent, feste Brennstoffe um 58,4 Prozent, Strom immerhin um „nur“ 11,1 Prozent.

Vom Tanken bis zum Lebensmitteleinkauf

Treibstoffe kosteten im Vorjahr im Schnitt um 42 Prozent mehr als 2021, im März überschritt der Preis für Benzin bzw. Diesel erstmals in Österreich nominal die Marke von zwei Euro. Diesel war im Jahresschnitt 2022 um 47,4 und Superbenzin um 35 Prozent teurer als 2021.

Die Nahrungsmittelpreise stiegen im Jahresabstand um 10,7 Prozent, im Detail die für Fleisch um 11,8 Prozent noch stärker, Obst und Gemüse etwa war im Schnitt um 8,7 Prozent teurer. Der Besuch im Restaurant und Gasthaus war im letzten Jahr um 8,9 Prozent teurer als 2021. Der tägliche und wöchentliche Durchschnittseinkauf, abgebildet in Mikro- und Miniwarenkorb, war 2022 um 9,9 bzw. 14,5 Prozent teurer als im Jahr zuvor.

EZB will Leitzins weiter erhöhen

Erst kürzlich bekräftigte die Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, ihre Absicht, den Leitzinssatz weiter zu erhöhen. Im März könnte ein weiterer Schritt auf dann 3,5 Prozent folgen. Dann werde von Zinsentscheidung zu Zinsentscheidung entschieden, wobei das Ziel sei, „die Inflation auf die mittelfristig anvisierten zwei Prozent zurückzuführen“. Zwei Prozent sind das EZB-Ziel für die Inflation – sehr weit weg vom aktuellen Wert.

Aus Sicht des Gouverneurs der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), Robert Holzmann, sollte die europäische Notenbank weiterhin energisch handeln. „Das Risiko, zu stark zu straffen, scheint heute in den Schatten gestellt zu sein vom Risiko, zu wenig zu tun“, sagte er kürzlich nach der letzten Leitzinserhöhung. Die Geldpolitik müsse „weiterhin ihre Zähne zeigen“.

Die aktuellen Prognosen

Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) geht in seiner letzten Prognose davon aus, dass die Gesamtwirtschaftsleistung, das Bruttoinlandsprodukt (BIP), 2023 um 0,3 Prozent zunehmen wird. Die Prognose für 2024 liegt bei 1,8 Prozent und fällt damit wieder deutlich optimistischer aus.

Die Teuerungsrate sah das WIFO für das laufende Jahr zuletzt zwischen 6,0 und 7,0 Prozent. Das Institut für Höhere Studien (IHS) sah die Wirtschaftsleistung 2023 in einer Prognose vom Dezember bei plus 0,4 Prozent (2024: plus 1,2) und die Inflationsrate ähnlich wie das WIFO, 2024 sollte sie deutlich zurückgehen, vorausgesetzt, es tun sich nicht weitere Unsicherheiten auf.