Rettungskräfte durchsuchen Trümmer nach Überlebenden.
AP/Hussein Malla
Mehr als 5.000 Tote

Tausende neue Helfer in Bebengebiet

Einen Tag nach den beiden verheerenden Beben in der Türkei und Syrien sind schon mehr als 5.000 Menschen tot geborgen worden. Unterdessen suchten Rettungskräfte bei eisiger Kälte die ganze Nacht hindurch nach weiteren Überlebenden. Sie erhalten Unterstützung von Tausenden Helferinnen und Helfern, die in der Früh von Istanbul ins Krisengebiet gebracht wurden.

Nach Angaben des türkischen Gouverneurs von Istanbul, Ali Yerlikaya, haben sich zahlreiche Helfer vom städtischen Flughafen aus auf den Weg in die von Erdbeben verheerend getroffene Südtürkei gemacht. "Um 6.00 Uhr (Ortszeit) seien bereits 12.752 Mitarbeiter und Freiwillige der türkischen Katastrophenschutzbehörde AFAD mit 73 Flugzeugen aus Istanbul in die Erdbebenregion geschickt worden, teilte Yerlikaya mit.

Allein in der Türkei wurden laut einer Dienstagfrüh veröffentlichten neuen Bilanz mehr als 3.400 Menschen getötet. Damit stieg die Gesamtzahl der Todesopfer in der Türkei und Syrien auf mehr als 5.000. Noch hoffen die Rettungskräfte, unter den Trümmern der Wohngebäude Menschen lebend zu bergen.

Laut türkischen Angaben behindert starker Regen die Rettungsarbeiten und die Lieferung von Hilfsgütern. Das türkische Krisengebiet wurde abgesperrt, und nur noch Einsatzfahrzeuge dürfen dorthin oder von dort heraus.

Feuerwehrmänner der Organisation „@fire“ am Flughafen in Adana
Reuters/Benoit Tessier
Rettungskräfte warten in Instanbul auf ihren Flug ins Krisengebiet

Wenige Informationen aus Syrien

Vor allem aus den Rebellengebieten in Syrien gibt es bisher nur wenige Informationen. Die Lage dürfte dort besonders dramatisch sein. Millionen Binnenflüchtlinge leben dort, oft in Lagern. Besonders getroffen worden sein dürfte laut BBC-Angaben die vom Bürgerkrieg schwer zerstörte Stadt Aleppo. Laut der Organisation Weißhelme, die in den Rebellengebieten hilft, wurden bereits mehr als 1.600 Menschen tot geborgen. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind die Mediziner überfordert und können nicht allen Verletzten das Leben retten.

Es wird aber befürchtet, dass mit Fortschreiten der Rettungsarbeiten die Opferzahl in beiden Ländern weiter steigt. Oft sei bei Erdbeben die Zahl der Todesopfer am Ende „achtmal höher als die ersten Bilanzen“, sagte beispielsweise Catherine Smallwood von der Weltgesundheitsorganisation (WHO): „Leider passiert bei Erdbeben immer dasselbe: Die Zahl der Opfer und Verletzten steigt in der Woche danach stets signifikant.“

Überlebende in verzweifelter Lage

Tausende Menschen wurden von Rettungskräften aus den Trümmern geborgen. Für die Überlebenden ist die Lage dramatisch. Nicht nur trauern sie um Familie und Freunde bzw. bangen um sie – auch am Nötigsten zum Leben fehlt es. Im südtürkischen Hatay sei der Strom ausgefallen, berichtete eine Augenzeugin am Dienstag der dpa. Die Tankstellen hätten kein Benzin mehr, und es gebe kein Brot zu kaufen. Auch in der Nachbarprovinz Osmaniye sei der Strom ausgefallen, sagte eine Reporterin des Senders CNN Türk.

In der südosttürkischen Metropole Diyarbakir verbrachten viele Menschen die Nacht draußen, in Schulen oder Moscheen, wie ein dpa-Mitarbeiter berichtete. „Die Menschen haben Angst, in ihre Häuser zurückzukehren“, sagte er. Mehrere Nachbeben seien zu spüren gewesen, und es sei bitterkalt. Die AFAD-Zelte seien nicht beheizt und reichten nicht aus.

Viele Einwohner Diyarbakirs versuchten, in die Dörfer zu gelangen. Die Häuser dort sind in der Regel einstöckig und gelten daher als sicherer. „Es herrscht Anspannung, die Menschen wissen wirklich nicht, was sie machen sollen“, sagte er.

Beben der Stärke 7,8

Das Beben der Stärke 7,8 überraschte die Menschen im Südosten der Türkei und im angrenzenden Syrien in der Nacht. Im Laufe des Montags folgten mehrere Nachbeben, eines davon mit einer Stärke von 7,6 nur wenig leichter als der ursprüngliche Erdstoß. Die Erschütterungen waren in mehreren Nachbarländern zu spüren, darunter im Libanon, im Irak sowie in Zypern und Israel.

48 Stunden kritische Grenze

Die Zeit drängt. Die Überlebenschancen für Menschen, die unter eingestürzten Gebäuden gefangen sind, liege bei wenigen bis 48 Stunden, hieß es von Hilfsorganisationen und Expertinnen und Experten. „Die nächsten 24 Stunden sind entscheidend, um Überlebende zu finden. Nach 48 Stunden nimmt die Zahl der Überlebenden enorm ab“, sagte etwa die britische Vulkanologin und Risikoforscherin Cemnen Solana von der Universität von Portsmouth.

Rotkreuz-Helferin zu den verheerenden Erdbeben

Nach den Erdbeben in der Türkei und in Syrien in der Nacht auf Montag steigt die Zahl der Todesopfer fast stündlich. In der ZIB2 war dazu Martina Schloffer, stellvertretende Bereichsleiterin Einsatz und internationale Zusammenarbeit beim Roten Kreuz, zu Gast.

Bei den Erschütterungen stürzten allein in der Südosttürkei Tausende Gebäude ein. Auf Videos aus mehreren Städten in dem Gebiet waren teilweise völlig zerstörte Straßenzüge zu sehen. Im türkischen Fernsehen waren Bilder von Helfern zu sehen, die teilweise mit bloßen Händen in den Trümmern nach Verschütteten suchten. Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach vom schwersten Beben seit 1939.

Unter den eingestürzten Gebäuden war neben Wohnhäusern auch ein Krankenhaus in der Stadt Iskenderun. Im Hafen von Iskenderun brach nach dem Erdbeben aus noch ungeklärter Ursache auch ein Feuer aus. Auf Bildern waren am Dienstag brennende Container zu sehen. Schwarzer Qualm stieg über dem Hafen in den Himmel. Die Zeitung „Hürriyet“ berichtete Container seien umgestürzt und hätten Feuer gefangen.

Erdbeben: Großbrand in Hafen Iskenderun

Nach dem schweren Erdbeben ist im Hafen der südtürkischen Stadt Iskenderun ein Großbrand ausgebrochen. Auf Bildern waren brennende Container zu sehen. Schwarzer Qualm stieg über dem Hafen in den Himmel. Die Zeitung „Hürriyet“ berichtete, der Brand sei nach dem Erdbeben aus noch ungeklärten Gründen ausgebrochen. Container seien umgestürzt und hätten Feuer gefangen.

Syrien wandte sich an die UNO-Mitgliedsstaaten, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und andere Hilfsorganisationen und bat sie darum, „die Bemühungen der syrischen Regierung zur Bewältigung des verheerenden Erdbebens zu unterstützen“, wie es in einer Erklärung des syrischen Außenministeriums hieß. Der staatlichen Nachrichtenagentur SANA zufolge stürzten in zahlreichen Städten Gebäude ein. Videos zeigten Trümmerberge unter anderem aus der Provinz Idlib, teils kollabierten ganze Häuserreihen.

Winterkälte verschärft Situation

Erschwert werden die Rettungsarbeiten durch die tiefen Temperaturen – sie liegen in den betroffenen Gebieten zurzeit oft im Minusbereich. An manchen Orten schneite es stark. Im türkischen Staatssender TRT war zu sehen, wie Menschen bei Schnee in der Stadt Iskenderun aus Trümmern befreit wurden.

Auch aus den Städten Gaziantep, Sanliurfa, Osmaniye, Diyarbakir und Adana wurden Bilder gezeigt, auf denen Menschen teilweise in Decken gehüllt abtransportiert wurden. Laut den türkischen Behörden konnten bisher mehr als 2.000 Menschen lebend geborgen werden. Mehr als 14.000 Menschen wurden nach bisherigen Informationen in der Türkei und in Syrien im Zuge des Erdbebens verletzt.

Schaltung nach Istanbul und Kairo

Über die dramatische Suche nach Überlebenden nach der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und in Syrien berichten Katharina Wagner (Istanbul) und Karim El-Gawhary (Kairo).

Neben der Suche nach Überlebenden und der Versorgung der Verletzten gilt es aber auch denen zu helfen, die durch das Beben obdachlos wurden. Nach Angaben von Hilfsorganisationen handelt es sich in beiden Ländern um Tausende Menschen. Auch hier verschärfen die winterlichen Temperaturen die Lage zusätzlich.

Hilfsaufrufe und -zusagen

Zahlreiche Organisationen starteten Hilfsaufrufe, darunter die Caritas, das Rote Kreuz, die Diakonie, Ärzte ohne Grenzen, der Arbeiter-Samariter-Bund, CARE und World Vision. Caritas-Auslandshilfe-Generalsekretär Andreas Knapp sagte, es gehe vor allem um die Deckung der Grundbedürfnisse wie „Erste Hilfe, Nahrungsmittel und Wasser, Decken und Schlafsäcke, psychologische Betreuung und die Koordination von Unterkünften“. Vor allem das von mehreren Krisen gebeutelte Syrien habe das Beben in einer verheerenden Lage erwischt.

Aus zahlreichen Ländern kamen inzwischen Hilfsangebote, erste internationale Rettungsteams sind bereits in den betroffenen Regionen oder auf dem Weg dorthin. Bis das tatsächliche Ausmaß der Folgen der Katastrophe sichtbar wird, dürften zumindest noch Tage vergehen.

Region mit stetiger Gefahr von Erdbeben

Die Türkei ist immer wieder von schweren Erdbeben betroffen. Dort grenzen zwei der größten Kontinentalplatten aneinander: die afrikanische und die eurasische. Der größte Teil der türkischen Bevölkerung lebt faktisch in ständiger Erdbebengefahr.

Im Jahr 1999 war die Türkei von einer der schwersten Naturkatastrophen in ihrer Geschichte getroffen worden: Ein Beben der Stärke 7,4 in der Region um die nordwestliche Industriestadt Izmit kostete mehr als 17.000 Menschen das Leben. Infolge dieses verheerenden Bebens verabschiedete die türkische Regierung 2004 ein neues Gesetz, das vorschreibt, dass alle Bauten modernen erdbebensicheren Standards entsprechen müssen.

Expertinnen und Experten bezweifeln aber, dass tatsächlich alle Bauvorhaben der vergangenen Jahre entsprechen umgesetzt wurden. Man werde nun überprüfen müssen, ob die neu errichteten Gebäude den gesetzlichen Standards entsprechen, „ob die Anforderungen ausreichend sind und ob es Möglichkeiten gibt, die Sicherheit älterer Gebäude zu verbessern“, so Joanna Faure Walker vom britischen Institut für Risiko- und Katastrophenvorsorge (UCL). Nicht zuletzt für die größte türkische Stadt Istanbul wird in naher Zukunft ebenfalls ein starkes Beben erwartet.