Rettungskräfte durchsuchen eingestürztes Haus in Adana, Türkei
AP/Francisco Seco
Wettlauf gegen die Zeit

Suche nach Verschütteten in Bebengebieten

Einen Tag nach den schlimmen Erdbeben in der Türkei und Syrien mit mehr als 8.100 Toten wird das Ausmaß der Katastrophe immer deutlicher. Ohne Unterbrechung wurde die Suche nach Verschütteten auch in der Nacht fortgesetzt. Immer mehr internationale Rettungskräfte treffen im Erdbebengebiet ein.

Der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca nannte am Dienstagabend die Zahl von 5.894 Toten allein in der Türkei. In Syrien starben laut den Behörden sowie der Rettungsorganisation Weißhelme 2.270 Menschen. Noch immer werden zahlreiche Menschen in den Trümmern vermutet. Tausende Betroffene sind obdachlos geworden und harren bei teils eiskaltem und stürmischem Winterwetter aus.

Wie das Außenministerium Dienstagmittag mitteilte, wurden zwei Österreicher in der Provinz Kahramanmaras in Anatolien tot geborgen. Weitere Vermisste gebe es aktuell nicht. Nach Schätzungen des Pacific Disaster Centers, einer US-Organisation für Katastrophenhilfe, sind insgesamt rund 23 Millionen Menschen betroffen. Im Erdbebengebiet suchen Retter weiter unter großem Zeitdruck nach Überlebenden unter den Trümmern eingestürzter Häuser.

Türkei-Korrespondentin Wagner zu den Bergungsarbeiten

ORF-Korrespondentin Katharina Wagner berichtet von den verzweifelten Versuchen der Rettungskräfte, noch Lebende aus den Trümmern zu bergen.

Notstand in Türkei ausgerufen

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan rief den Notstand in den betroffenen Gebieten aus. Er gelte für drei Monate in zehn Provinzen im Süden des Landes, sagte Erdogan am Dienstag. Zugleich erklärte er die Region zum Katastrophengebiet.

International lief die Hilfe an, erste Teams auch aus Österreich trafen im Katastrophengebiet ein. 70 Länder hätten inzwischen ihre Unterstützung bei den Such- und Rettungsmaßnahmen angeboten, sagte Erdogan. Die Regierung plane zudem, Betroffene vorübergehend in Hotels in der westlich gelegenen Tourismusmetropole Antalya unterzubringen.

Die Zahl der Toten dürfte Experten zufolge weiter steigen. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, befürchtet, dass Tausende Kinder darunter sein dürften. Das Beben in der Türkei war das schwerste seit einem Beben ähnlicher Stärke im Jahr 1999, bei dem mehr als 17.000 Menschen ums Leben kamen. „Es ist ein Wettlauf mit der Zeit“, sagte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus. „Jede Minute, jede Stunde, die verstreicht, schmälert die Chancen, noch jemanden lebend zu finden.“

ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary aus Kairo

Karim El-Gawhary beschreibt die dramatische Situation im Katastrophengebiet in Syrien.

Schwierige Hilfe in Syrien

Während in der Türkei die Hilfe großflächig angelaufen ist, warten viele Betroffene in Syrien auf Rettungsteams. Der syrische Außenminister Faisal Mekdad forderte am Dienstag die europäischen Staaten auf, sein Land nach dem schweren Erdbeben zu unterstützen und Hilfe zu senden. Die Sanktionen gegen Syrien seien keine Ausrede dafür, das nicht zu tun, sagte er dem libanesischen TV-Sender al-Majadin.

Die syrischen Behörden werfen dem Westen bereits länger vor, dass die Sanktionen den Wiederaufbau in dem Bürgerkriegsland behindern. Die USA und die Europäer begründen ihre Strafmaßnahmen damit, dass so Druck auf die syrische Regierung ausgeübt werden soll, in einen politischen Prozess zur Beendigung des Konflikts einzutreten.

In Syrien öffneten Moscheen ihre Pforten, um Betroffene aufzunehmen. Die Region hatte schon unter dem syrischen Bürgerkrieg besonders zu leiden. Zerstörte Straßen und der harte Winter erschweren den Vereinten Nationen zufolge die Rettungsarbeiten. In Hama wurden am Dienstag die ersten Toten beerdigt. „Es ist schrecklich“, sagte Abdallah al-Dahan, ein Einwohner der Stadt, „in meinem ganzen Leben habe ich so was noch nicht gesehen, bei allem, was uns schon widerfahren ist.“

Schlechtes Wetter behindert Suche

In der Türkei sind den Behörden zufolge 13,5 Millionen Menschen betroffen. Das Gebiet erstreckt sich in der Türkei über 450 Kilometer von Adana im Westen bis Diyarbakir im Osten und über 300 Kilometer von Malatya im Norden bis Hatay im Süden. Im Katastrophengebiet herrschten Temperaturen um den Gefrierpunkt.

Epizentren und Erdbebenstärke gemäß USGS (mmw) vom 6. und 7.2.2023.

Der türkische Wetterdienst sagte teils Schneefall und Regen voraus. Nachbeben und das schlechte Wetter mit niedrigen Temperaturen und Regen behinderten am Dienstag die Rettungsarbeiten und Hilfslieferungen. Hinzu kommen schlechte Internetverbindungen und beschädigte Straßen zwischen einigen der am stärksten betroffenen türkischen Städte, in denen Millionen von Menschen leben. In die drei am meisten betroffenen Provinzen Hatay, Kahramanmaras und Adiyaman dürften nur noch Rettungsfahrzeuge und Hilfstransporte fahren, sagte Oktay. Dasselbe gelte für den Verkehr aus den drei Provinzen.

Unterstützung aus aller Welt

Die türkische Katastrophenbehörde AFAD teilte mit, dass 13.740 Such- und Rettungskräfte eingesetzt und mehr als 41.000 Zelte, 100.000 Betten und 300.000 Decken in die Region geschickt worden seien. Über das Zentrum für Katastrophenhilfe der EU sind bereits 27 Such- und Rettungsteams mobilisiert worden. Wie der zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic am Dienstagvormittag mitteilte, entspricht das insgesamt mehr als 1.150 Rettungskräften und 70 Hunden.

Griechenland schickte trotz der Spannungen mit der Türkei am Montag eine Rettungsmannschaft mit Spürhunden ins Erdbebengebiet. Eine israelische Hilfsdelegation ist in der Türkei angekommen, um dort nach den schweren Erdbeben bei der Suche nach Verschütteten zu helfen. Hilfszusagen kamen etwa auch aus Großbritannien, Indien, Pakistan, Finnland, Schweden, Russland, der von Russland angegriffenen Ukraine sowie den USA.

Hilfe auch aus Österreich

Auch Österreich wird sich an den Hilfseinsätzen beteiligen. Das Bundesheer entsendet am Dienstag 85 Soldaten des Katastrophenhilfeelements Austrian Forces Disaster Relief Unit (AFDRU) in die Türkei.

Katastrophenhilfeteam aus Österreich im Einsatz

Am Dienstag reisten auch 85 Soldatinnen und Soldaten der Austrian Forces Disaster Relief Unit (AFDRU) in die Türkei, um dort Verschüttete zu retten. Neben den Bundesheerkräften wurde aus Österreich nach einer Anfrage der Türkei beim Zivilschutzmechanismus der Europäischen Union ein Team aus Vorarlberg in das Gebiet geschickt. Bei den 25 Spezialisten handelt es sich um Feuerwehrleute, vier Hundeführer der Bergrettung mit speziell ausgebildeten Hunden sowie um drei Notärzte.

In der Nacht auf Montag hatte ein erstes Beben der Stärke 7,8 die Grenzregion erschüttert. Am frühen Montagnachmittag folgte dann ein weiteres Beben mit einer Stärke von 7,6. Nach Angaben des European Mediterranean Seismological Centre erschütterte Dienstagfrüh ein weiteres Erdbeben der Stärke 5,6 die Zentraltürkei.