Rettungskräfte in in Kahramanmaras, Türkei
Reuters/Dilara Senkaya
Beben in der Türkei

Frau nach 52 Stunden lebend geborgen

Zwei Tage nach den schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien mit mehr als 9.000 Toten wird das Ausmaß der Katastrophe immer deutlicher. Ohne Unterbrechung wurde die Suche nach Verschütteten fortgesetzt. Am Mittwoch wurde 52 Stunden nach dem Beben der Stärke 7,8 eine Frau lebend unter den Trümmern geborgen.

Bilder des Senders NTV zeigten, wie die Einsatzkräfte in der türkischen Provinz Kahramanmaras die Frau auf einer Trage zum Krankenwagen brachten. Sie ist 58 Jahre alt und wurde aus einem eingestürzten Hotel geborgen. Die Provinz Kahramanmaras wurde schwer vom Beben getroffen, dort lag das Epizentrum. Verletzte werden teilweise zur Behandlung in die Millionenmetropole Istanbul gebracht, wie der Sender weiter berichtete. Dazu werde der für den zivilen Luftverkehr stillgelegte Atatürk-Flughafen genutzt.

Mit einer Stärke von 7,8 hatte das Beben in der Nacht auf Montag das türkisch-syrische Grenzgebiet erschüttert. Montagmittag folgte ein weiteres Beben der Stärke 7,5 in derselben Region. Tausende Gebäude stürzten ein. Mehr als 9.400 Menschen kamen in der Türkei (6.957) und Syrien (mehr als 2.500) ums Leben. In der Türkei sind zehn Provinzen mit 13,5 Millionen Menschen von dem Beben betroffen. Es ist damit das Beben mit den meisten Todesopfern seit mehr als einem Jahrzehnt.

Erdogan in Krisenregion eingetroffen

Der türkische Präsident Reccep Tayyip Erdogan traf mittlerweile im Katastrophengebiet ein, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Papst Franziskus rief unterdessen zu Spenden auf: „Ich danke allen, die Hilfe schicken, und ermutige alle zu Solidarität mit diesen Gebieten, die zum Teil schon von einem langen Krieg heimgesucht werden“, so der Papst bei einer Generalaudienz im Vatikan.

Frau nach 52 Stunden geborgen

In der türkischen Stadt Kahramanmaras ist eine Frau nach 52 Stunden lebend aus den Trümmern geborgen worden. Rettungskräfte hatten in der Nacht im eingestürzten Gebäude eines Hotels nach Überlebenden und Opfern gesucht. Nach etwa zwei Stunden gelang es, die 58-Jährige zu befreien. Sie wurde umgehend in ein Krankenhaus gebracht.

Temperaturen um den Gefrierpunkt machten den Überlebenden im Katastrophengebiet zusätzlich zu schaffen, viele haben kein Dach mehr über dem Kopf. Die Helfer und Helferinnen kämpften weiter mit eisigen Temperaturen. Das Wetter klarte aber auf – weiterer Schneefall oder Regen ist dem Wetterdienst zufolge in den betroffenen Gebieten vorerst nicht zu erwarten.

Rund 23 Millionen Menschen betroffen

Unter den Todesopfern befinden sich auch zwei Österreicher, wie das Außenministerium Dienstagmittag mitteilte. Weitere Vermisste gebe es aktuell nicht. Nach Schätzungen des Pacific Disaster Centers, einer US-Organisation für Katastrophenhilfe, sind insgesamt rund 23 Millionen Menschen betroffen. Im Erdbebengebiet suchen Retter weiter unter großem Zeitdruck nach Überlebenden unter den Trümmern eingestürzter Häuser.

Zerstörung nach Beben in der Türkei
Reuters/Umit Bektas
Unter den Trümmern werden noch mehr Opfer vermutet

Notstand in Türkei ausgerufen

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan rief den Notstand in den betroffenen Gebieten aus. Er gelte für drei Monate in zehn Provinzen im Süden des Landes, sagte Erdogan am Dienstag. Zugleich erklärte er die Region zum Katastrophengebiet. Am Mittwoch wird Erdogan in den Provinzen Hatay und Kahramanmaras erwartet. Er wolle sich ein Bild der Lage machen, teilte das Präsidialamt mit. Die Regierung bezeichnete die Beben als eine der schlimmsten Katastrophen der vergangenen Jahrzehnte.

International lief die Hilfe an, erste Teams auch aus Österreich trafen im Katastrophengebiet ein. 70 Länder hätten inzwischen ihre Unterstützung bei den Such- und Rettungsmaßnahmen angeboten, sagte Erdogan. Die Regierung plane zudem, Betroffene vorübergehend in Hotels in der westlich gelegenen Tourismusmetropole Antalya unterzubringen.

Die Zahl der Toten dürfte Fachleuten zufolge weiter steigen. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, befürchtet, dass Tausende Kinder darunter sein dürften. Das Beben in der Türkei war das schwerste seit einem Beben ähnlicher Stärke im Jahr 1999, bei dem mehr als 17.000 Menschen ums Leben kamen. „Es ist ein Wettlauf mit der Zeit“, sagte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus. „Jede Minute, jede Stunde, die verstreicht, schmälert die Chancen, noch jemanden lebend zu finden.“

Türkei-Korrespondentin Wagner zu den Bergungsarbeiten

ORF-Korrespondentin Katharina Wagner berichtet von den verzweifelten Versuchen der Rettungskräfte, noch Lebende aus den Trümmern zu bergen.

Schwierige Hilfe in Syrien

Während in der Türkei die Hilfe großflächig angelaufen ist, warten viele Betroffene in Syrien auf Rettungsteams. Der syrische Außenminister Faisal Mekdad forderte am Dienstag die europäischen Staaten auf, sein Land nach dem schweren Erdbeben zu unterstützen und Hilfe zu senden. Die Sanktionen gegen Syrien seien keine Ausrede dafür, das nicht zu tun, sagte er dem libanesischen TV-Sender al-Majadin.

Die syrischen Behörden werfen dem Westen bereits länger vor, dass die Sanktionen den Wiederaufbau in dem Bürgerkriegsland behindern. Die USA und die Europäer begründen ihre Strafmaßnahmen damit, dass so Druck auf die syrische Regierung ausgeübt werden soll, in einen politischen Prozess zur Beendigung des Konflikts einzutreten.

In Syrien öffneten Moscheen ihre Pforten, um Betroffene aufzunehmen. Die Region hatte schon unter dem syrischen Bürgerkrieg besonders zu leiden. Zerstörte Straßen und der harte Winter erschweren den Vereinten Nationen zufolge die Rettungsarbeiten. In Hama wurden am Dienstag die ersten Toten beerdigt. „Es ist schrecklich“, sagte Abdallah al-Dahan, ein Einwohner der Stadt, „in meinem ganzen Leben habe ich so was noch nicht gesehen, bei allem, was uns schon widerfahren ist.“

Epizentren und Erdbebenstärke gemäß USGS (mmw) vom 6. und 7.2.2023.

Unterstützung aus aller Welt

Die türkische Katastrophenbehörde AFAD teilte mit, dass 60.0000 Such- und Rettungskräfte eingesetzt und mehr als 41.000 Zelte, 100.000 Betten und 300.000 Decken in die Region geschickt worden seien. Über das Zentrum für Katastrophenhilfe der EU sind bereits 27 Such- und Rettungsteams mobilisiert worden. Wie der zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic am Dienstagvormittag mitteilte, entspricht das insgesamt mehr als 1.150 Rettungskräften und 70 Hunden.

Griechenland schickte trotz der Spannungen mit der Türkei am Montag eine Rettungsmannschaft mit Spürhunden ins Erdbebengebiet. Eine israelische Hilfsdelegation ist in der Türkei angekommen, um dort nach den schweren Erdbeben bei der Suche nach Verschütteten zu helfen. Hilfszusagen kamen etwa auch aus Großbritannien, Indien, Pakistan, Finnland, Schweden, Russland, der von Russland angegriffenen Ukraine sowie den USA.

Hilfe auch aus Österreich

Auch Österreich wird sich an den Hilfseinsätzen beteiligen. Das Bundesheer entsendet am Dienstag 85 Soldaten des Katastrophenhilfeelements Austrian Forces Disaster Relief Unit (AFDRU) in die Türkei.

Katastrophenhilfeteam aus Österreich im Einsatz

Am Dienstag reisten auch 85 Soldatinnen und Soldaten der Austrian Forces Disaster Relief Unit (AFDRU) in die Türkei, um dort Verschüttete zu retten. Sie haben laut Heer mittlerweile die Sucharbeit aufgenommen. Neben den Bundesheerkräften wurde aus Österreich nach einer Anfrage der Türkei beim Zivilschutzmechanismus der Europäischen Union ein Team aus Vorarlberg in das Gebiet geschickt. Bei den 25 Spezialisten handelt es sich um Feuerwehrleute, vier Hundeführer der Bergrettung mit speziell ausgebildeten Hunden sowie um drei Notärzte.

Niederösterreichs FPÖ-Chef Udo Landbauer kritisierte am Mittwoch österreichische Hilfe – angekündigt wurden drei Millionen Euro – scharf. Es sei „unglaublich, mit welcher Unverfrorenheit gerade grüne Politiker immer wieder unser Steuergeld an das Ausland verschenken“ würden. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch sprach von einer „barbarischen Aussage“, wenn Landbauer Hilfsgelder für Bebenopfer als „Millionengeschenk“ bezeichne. In der FPÖ würden offenbar „alle Dämme brechen“, so Deutsch unter Verweis auf jüngste ausländerfeindliche Aussagen des FPÖ-Landesrats Gottfried Waldhäusl gegenüber Schülerinnen und Schülern.