Luftbild der Zerstörung in Iskenderun
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Österreicher: „Wir sind verzweifelt“

Der Österreicher Semsetin Sümpültepe (63) befindet sich aktuell auf Heimatbesuch bei seiner Familie in der Türkei. Am Montag überraschte den Pensionisten das Beben im Haus seiner Mutter in Iskenderun.

Wie durch ein Wunder überlebten er und die 84-Jährige in dem Gebäude. Jetzt bangen sie um ihre Verwandten, die noch in den Trümmern liegen. „Wir haben keinen Strom, es ist eiskalt hier“, sagte er im Telefongespräch mit der Austria Presse Agentur.

„Kälte, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit“: So beschreibt Sümpültepe die Lage in seiner Heimatstadt Iskenderun in der Provinz Hatay. Ein verheerendes Erdbeben machte die Hafenmetropole an der türkischen Mittelmeer-Küste vor drei Tagen dem Erdboden gleich. „30 Prozent der Stadt sind völlig zerstört, weitere 30 sind unbewohnbar“, schätzt der Österreicher mit türkischen Wurzeln.

Zu Begräbnis des Bruders angereist

Sümpültepe befindet sich seit Jänner in der Türkei. Am Sonntag reiste der 63-Jährige von Istanbul zu seiner Mutter nach Iskenderun weiter, um seinen kurz zuvor verstorbenen Bruder zu beerdigen. Nur wenige Stunden später riss das verheerende Beben ihn und die betagte Frau aus dem Schlaf.

„Ich bin sofort aufgestanden und habe versucht, mit ihr zu flüchten.“ Doch weil seine Mutter krank sei, habe sie nicht aufstehen können, so der Wiener. „Wir haben uns fest umarmt und gewartet, was passiert. Wir hatten Glück, dass das Haus durchgehalten hat.“

„Nur trockenes Brot“

Wie seine Familie sind landesweit laut Behördenschätzungen 13,5 Millionen Menschen vom Beben betroffen. Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt machen vielen von ihnen zu schaffen. „Wir haben keinen Strom und kein Gas im Haus meiner Mutter. Wir wohnen jetzt zu zwölft bei meiner Schwester. Sie hat einen Holzofen.“ Es sei eiskalt, so der Betroffene. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln sei schlecht. „Es gibt keinen einzigen Supermarkt mehr. Wir haben nur trockenes Brot.“

Unter den Tausenden Todesopfern befindet sich auch der Mann von Sümpültepes Nichte. „Sie und ihre Kinder wurden schwer verletzt ins Spital gebracht, aber nicht behandelt“, sagte er. Am Mittwoch begrub die Familie den Toten. „In der Stadt gibt es keine Möglichkeit dafür. Wir müssen 40 Kilometer in ein Dorf fahren.“ Es gebe keine Hilfe durch die lokalen Behörden.

Fünf Verwandte, darunter ein zehn Monate alter Säugling, sind immer noch unter den Trümmern verschüttet. „Sie waren in einem 14-stöckigen Wohnhaus. Wir haben sie 20 Stunden gesucht und anderen Menschen Erste Hilfe geleistet.“

Behörden überfordert

Die Lage in Iskenderun spitze sich immer mehr zu. „Wir sind verzweifelt“, so Sümpültepe. Es gebe viel zu wenig Hilfskräfte in der Stadt, die Behörden versinken im Chaos. Ihre Ausstattung sei zudem schlecht, schildert er im Gespräch mit der APA. Die Zivilbevölkerung ist laut ihm vor allem auf Freiwillige angewiesen.