Arbeitskräfte holen Balloonüberreste aus Meer
Reuters/U.s. Navy Photo
Abgeschossener Ballon

USA wittern breite Spionageaktivität Chinas

Der von den USA abgeschossene mutmaßliche Spionageballon aus China ist Berichten von „Washington Post“ und CNN zufolge Teil eines umfangreichen Überwachungsprogramms Pekings. Derartige Ballons hätten seit Jahren Informationen über militärische Einrichtungen in Ländern und Gebieten gesammelt, die für China von strategischem Interesse seien, hieß es unter Berufung auf Quellen aus dem US-Geheimdienst. Auch US-Außenminister Antony Blinken äußerte diese Ansicht.

Zu den Ländern zählten etwa Japan, Indien, Vietnam, Taiwan und die Philippinen, hieß es in den Medienberichten. Die Ballons würden zum Teil von der Küste der südchinesischen Insel Hainan aus operieren. Die USA kennen die genaue Größe der Flotte chinesischer Überwachungsballons nicht, aber Quellen berichteten CNN, dass in den letzten Jahren mindestens zwei Dutzend Einsätze über mindestens fünf Kontinenten durchgeführt worden sein. Etwa ein halbes Dutzend dieser Flüge fand im US-Luftraum statt – wenn auch nicht unbedingt über US-Territorium.

„Die Chinesen haben eine unglaublich alte Technologie mit modernen Kommunikations- und Beobachtungsmöglichkeiten kombiniert, um Informationen über die Streitkräfte anderer Länder zu sammeln“, zitierte die „Washington Post“ einen nicht namentlich genannten US-Regierungsvertreter. Das US-Außenministerium hat der Zeitung zufolge an jede US-Botschaft detaillierte Informationen über die Überwachungsballons geschickt, die mit Verbündeten und Partnern geteilt werden können. „Unsere Verbündeten und Partner sind sehr daran interessiert“, sagte der Regierungsvertreter.

Blinken, der eine geplante Reise nach Peking wenige Stunden vor seinem Abflug verschoben hatte, sagte am Mittwoch, der Ballon sei Teil eines umfangreichen Überwachungsprogramms. „Die Vereinigten Staaten waren nicht das einzige Ziel dieses breit angelegten Programms, das die Souveränität von Ländern auf fünf Kontinenten verletzt hat“.

Stoltenberg warnt Europäer

In dieselbe Kerbe schlug NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der die Europäer warnte. Der chinesische Ballon über den USA bestätige ein „Muster“, wonach China in den vergangenen Jahren „stark in neue militärische Fähigkeiten investiert“ habe, sagte Stoltenberg bei einem Treffen mit Blinken. „Wir haben auch verstärkte chinesische Geheimdienstaktivitäten in Europa gesehen“, sagte Stoltenberg weiter. „Sie verwenden Satelliten, sie verwenden Cyber und, wie wir über den USA gesehen haben, auch Ballons. Wir müssen also vorsichtig sein.“

Schwere Verwerfungen

Das US-Militär hatte den chinesischen Ballon am Samstag vor der Küste von South Carolina über dem Atlantik abgeschossen. Washington warf China vor, mit dem Ballon Militäreinrichtungen ausspionieren zu wollen. Die Regierung in Peking sprach dagegen von einem Wetterballon, der vom Kurs abgekommen sei – es habe sich um einen „unerwarteten, isolierten Vorfall“ gehandelt.

Der Ballon war am 28. Jänner erstmals in den amerikanischen Luftraum über Alaska eingedrungen. Offiziell wurde das allerdings nicht bestätigt, bis NBC News vergangenen Donnerstag berichtete, dass das Pentagon den Ballon über Montana verfolgte.

Nach dem Abschuss des Ballons durch das US-Militär verschärfte sich die Rhetorik Pekings erheblich, und das chinesische Außenministerium beschuldigte die USA, „überreagiert“ und „ernsthaft gegen internationale Gepflogenheiten verstoßen“ zu haben. Das Verteidigungsministerium äußerte „ernsthaften Protest“ und warnte, China behalte sich „das Recht vor, in ähnlichen Situationen die notwendigen Mittel einzusetzen“.

Abschuss des vermeintlichen chinesischen Spionageballons
AP/Chad Fish
Der abgeschossene Ballon über US-Territorium hat die Beziehungen zu Peking noch weiter abgekühlt

FBI wertet Daten aus

In der Zwischenzeit untersucht ein Eliteteam von FBI-Ingenieuren in einem Regierungslabor in Quantico, Virginia, die Überreste des geborgenen Ballons und versucht, die gesammelten Informationen auszuwerten und herauszufinden, wie man Überwachungsballons in Zukunft am besten verfolgen kann. Die Beamten, berichtete CNN, würden so viel wie möglich über die technischen Fähigkeiten des Ballons erfahren wollen, etwa welche Art von Daten er abfangen und sammeln konnte, mit welchen Satelliten er verbunden war und ob er irgendwelche Schwachstellen aufweist, die die USA ausnutzen könnten.

Eine mit der FBI-Operation vertraute Quelle sagte, dass die Analyse und Rekonstruktion der Nutzlast des Ballons im Idealfall feststellen wird, ob er mit der Fähigkeit ausgestattet war, die gesammelten Daten in Echtzeit an das chinesische Militär zu übermitteln, oder ob er „gespeicherte Daten“ enthielt, die China später analysieren wollte. Allerdings müsse man erst analysieren, wie stark die Unterkonstruktion des Ballons durch den Abschuss und den Sturz aus 60.000 Fuß (18,3 Kilometer) Höhe ins Meer beschädigt worden sei.

Washington stellt Einzelfall in Abrede

China hat in den letzten Jahren in erheblichem Umfang Ballons zur Überwachung von Zielen am Boden eingesetzt, sind sich US-Fachleute sicher. In den letzten Jahren wurden mindestens vier Ballons über Hawaii, Florida, Texas und Guam gesichtet. Drei der vier Vorfälle fielen in die Zeit der Ära von Donald Trump, wurden aber erst kürzlich als chinesische Überwachungsluftschiffe identifiziert. Die Überwachung des jüngsten Ballons soll geholfen haben, diese Wissenslücken zu schließen.

Die Ballons sind oft nicht auf dem neuesten Stand der Technik – in den meisten Fällen erfassen die Sensoren an Bord nicht mehr Informationen, als China mit einem Satelliten erhalten könnte. Aber sie bieten einige Vorteile: Sie können stundenlang über einem Ziel verweilen, während ein Satellit in der Erdumlaufbahn nur wenige Minuten Zeit hat, um ein Bild von seinem Ziel aufzunehmen. „Wenn man einen Ballon hat, der sich extrem langsam bewegt, hat man eine Ausdauer, die man mit einem Satelliten nicht erreichen kann“, sagte ein pensionierter Generalleutnant der Air Force gegenüber der „Washington Post“. Zudem sind sie auch viel billiger in der Herstellung und im Start als weltraumgestützte Satelliten.

„Es ist kein Tarnkappenbomber“

US-Verteidigungsbeamte beharren darauf, dass die USA mehr über die Fähigkeiten des Ballons erfahren haben, indem sie ihm erlaubten, das Staatsterritorium zu überfliegen, als wenn sie ihn sofort abgeschossen hätten – eine Entscheidung, die von einigen Gesetzgebern auf dem Capitol Hill als Bedrohung der Spionageabwehr kritisiert wurde.

Aber, so ein Mitglied des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses, „es gibt eine Reihe von Gründen, warum wir das nicht tun würden. Wir wollen Informationen sammeln, wir wollen sehen, wohin sie steuern und was sie tun.“ Und: „Wir sind nicht wehrlos. Schließlich ist das ein Ballon. Es ist kein Tarnkappenbomber.“