Kim Jong-Un zusammen mit seiner Frau Ri Sol Ju und Tochter Ju Ae
APA/AFP/KCNA
Rätsel um Nordkorea

Kims Tochter plötzlich im Rampenlicht

Gemeinsam mit Vater und Mutter stand die Tochter des nordkoreanischen Führers Kim Jong Un diese Woche bei militärischen Veranstaltungen im Rampenlicht. Das nährt Spekulationen, dass die vermutlich Zehnjährige in der Erbdiktatur des Landes für eine Führungsposition – vielleicht sogar für den Spitzenposten selbst – infrage kommen könnte. Dafür müsste sie sich allerdings gegen ihre Tante durchsetzen.

Aus Anlass des 75. Jahrestages der Gründung der Armee wurde in Nordkorea diese Woche eine riesige Militärparade abgehalten. Bei der von Machthaber Kim Jong Un beaufsichtigten Parade sei in der Hauptstadt Pjöngjang eine Rekordanzahl von Atom- und Interkontinentalraketen gezeigt worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur KCNA am Donnerstag. Fachleuten zufolge war darunter womöglich auch eine neue, mit festem Treibstoff betriebene Rakete.

Fast mehr Aufmerksamkeit als das Kriegsgerät erhielt aber die Anwesenheit von Kim Ju Ae, die an der Seite ihres Vaters und ihrer Mutter Ri Sol Ju an der Spitze der Militärkommandanten marschierte. Schon tags zuvor waren Ri und ihre Tochter bei einem üppigen Bankett öffentlich aufgetreten. „Je öfter sie auftaucht, desto mehr hat man den Eindruck, dass sie entweder ganz auf eine Führungsrolle vorbereitet wird oder zumindest als Möglichkeit in Erwägung gezogen wird“, sagte Mason Richey, Professor an der Hankuk University of Foreign Studies in Seoul.

Kim Jong-Un zusammen mit seiner Frau Ri Sol Ju und Tochter Ju Ae
Reuters/KCNA
Familienglück auf dem Staatsbankett: Machthaber Kim Jong Un mit Ehefrau und Tochter

„Geliebte Tochter“ erschien erstmals bei Raketentest

Jahrelang hatten die nordkoreanischen Staatsmedien Kims Kinder nie erwähnt, obwohl der südkoreanische Geheimdienst berichtete, dass er drei hat. Es wird angenommen, dass sie etwa 13, zehn und sechs Jahre alt sind, das älteste soll ein Bub sein. Die einzige Bestätigung bis dahin kam von dem ehemaligen US-Basketballstar Dennis Rodman, der behauptete, er habe Ju Ae während eines Besuchs in Nordkorea im Jahr 2013 getroffen.

Doch vor drei Monaten erschien Kim Jong Un erstmals mit seiner „geliebten“ Tochter bei einem Raketentest. Obwohl Nordkorea sie nie offiziell mit ihrem Namen identifiziert hat, gehen der Geheimdienst und Analysten in Seoul davon aus, dass es sich um Ju Ae, sein zweites Kind, handelt.

Ein Beamter des südkoreanischen Vereinigungsministeriums sagte, dass Kim Ju Aes wiederholte Auftritte bei wichtigen Veranstaltungen und ihre Präsenz in den staatlichen Medien auch darauf abzielen, die Loyalität der Bevölkerung gegenüber der Familie Kim zu stärken. Der Beamte sagte, es sei noch zu früh zu sagen, ob sie tatsächlich als Nachfolgerin ihres Vaters gehandelt werde, er fügte aber hinzu, dass „alle Möglichkeiten offen sind“.

Kim Jong-Un zusammen mit seiner Frau Ri Sol Ju und Tochter Ju Ae
Reuters/KCNA
Erst vor wenigen Monaten trat Kims Tochter erstmals in der Öffentlichkeit auf

„Keine Propaganda ist wirksamer als die junge Tochter“

Laut Rachel Minyoung Lee, Nordkorea-Expertin des in Wien ansässigen Open Nuclear Network, deute Ju Aes Anwesenheit bei ausschließlich militärischen Veranstaltungen darauf hin, dass der Hauptzweck darin besteht, die Bedeutung der fortgesetzten Waffenentwicklung für die Sicherheit künftiger Generationen zu unterstreichen. „Die nordkoreanische Führung muss wahrscheinlich begründen, warum das Land trotz der sich verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen weiter in die nationale Verteidigung investieren muss“, so Lee. „Und keine Propaganda ist wirksamer als die junge Tochter des Führers, um diese Botschaft zu vermitteln.“

Selbst wenn Ju Ae die vorgesehene Erbin ist, stellt sich die Frage, warum sie so früh – mit gerade einmal zehn Jahren – und so schnell in das politische Leben eingeführt wird. Berichten zufolge wurde Kim als Nachfolger seines Vaters präsentiert, als er acht Jahre alt war, allerdings nur vor führenden Militärs. In der Öffentlichkeit wurde er erst etwa ein Jahr vor dem Tod seines Vaters vorgestellt. Das bescherte ihm einen steinigen Start in das Amt, möglich also, dass er es seiner Tochter mit früher Präsenz vor Publikum leichter machen will.

Kim Jong-Un zusammen mit seiner Tochter Ju Ae
APA/AFP/Jung Yeon-Je
Seit seiner Gründung wird Nordkorea von drei Generationen der Kim-Familie regiert

Machtdynastie mit vielen Geheimnissen

Spekulationen über Nordkoreas seit Jahrzehnten herrschende Machtdynastie gibt es zuhauf – nicht zuletzt deshalb, weil sich das Land größtenteils abschottet. Gelegentlich dringen Dramen an die Öffentlichkeit: So wurde etwa der ältere Halbbruder von Kim Jong Un lange Zeit als potenzieller Nachfolger des gemeinsamen Vaters und damaligen Staatsführers Kim Jong Il gehandelt, fiel dann aber in Ungnade. Er wurde ins Exil geschickt und letztlich unter mysteriösen Umständen mit einem Nervengift ermordet.

Kims älterer leiblicher Bruder Jong Chul wiederum wurde vom gemeinsamen Vater in der Entscheidung über die Nachfolge übergangen – wohl weil er sich nur für Musik interessieren soll. Er gilt als talentierter Gitarrist und glühender Verehrer des Soulmusikers Eric Clapton, bei dessen Konzerten rund um die Welt er immer wieder gesehen wurde. In Pjöngjang dagegen soll er sich in der gesamten Regierungszeit seines Bruders noch nie öffentlich gezeigt haben.

Die Schwester des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un, Kim Yo Yong, auf einem Archivbild aus dem Jahr 2019
Reuters/Jorge Silva
Kim Yo Jong gilt seit geraumer Zeit als Nummer zwei in Nordkorea

Kims mächtige Schwester

Sehr präsent dagegen ist Kim Yo Jong, die jüngere Schwester von Kim Jong Un. Nachdem ihr Bruder nach dem Tod des Vaters 2011 die Macht übernommen hatte, stieg auch Kim Yo Jong schnell in der Hierarchie auf. Beim Begräbnis des Vaters war sie im Staatsfernsehen unmittelbar hinter Kim Jong Un zu sehen. Bereits 2014 wurde sie Vizedirektorin der Agitations- und Propagandaabteilung der Volksrepublik. Damit soll sie seit Jahren federführend für die Inszenierung des Personenkults rund um ihren Bruder sein und alle seine öffentlichen Auftritte organisieren. 2017 wurde sie zum stellvertretenden Mitglied des Politbüros ernannt – als erst zweite Frau in diesem Gremium. 2019 wurde Kim Yo Jong in die Oberste Volksversammlung gewählt.

Noch größer in Erscheinung trat sie schließlich im Frühjahr 2020, als ihr Bruder eine längere Zeit lang aus ungeklärten Gründen von der Bildfläche verschwunden war. Als Spekulationen über eine schwere Krankheit die Runde machten, wurde sie von Expertinnen und Experten schon als mögliche Nachfolgerin ihres Bruders ins Spiel gebracht. Sollte sein Gesundheitszustand Machthaber Kim, der im Jänner 39 Jahre alt geworden sein soll, dereinst zum Rückzug zwingen, dürfte die Nachfolge also zwischen seiner Tochter und ihrer Tante ausgemacht werden.

Zeit reif für eine Frau an der Spitze

Zwar hatte Nordkorea noch nie eine weibliche Führung. James Fretwell, Analyst für die Nordkorea-Beobachtungsplattform NK News mit Hauptsitz in Seoul, hält das aber nicht für eine unüberwindbare Hürde, wie er der BBC sagte. „Nordkorea ist zwar eine von Männern dominierte Gesellschaft, aber auch eine von Kim dominierte Gesellschaft“, sagte er. Es würde Zeit brauchen, bis die Bevölkerung, das Militär und die Politelite eine Frau wirklich akzeptieren würden, letztlich würde aber die „Blutlinie“ mehr zählen. „Es wäre überraschender, wenn es jemand außerhalb der herrschenden Kim-Familie – ob männlich oder weiblich – schaffen würde, an die Spitze zu kommen.“