Der ukainische Präsident Volodymyr Zelensky und Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen
Reuters/Johanna Geron
Selenskyj auf EU-Sondergipfel

Mehrere Länder zu Kampfjetlieferung bereit

Erst war er im EU-Parlament zu Gast, dann auf dem EU-Sondergipfel: Im Zuge seines ersten Brüssel-Besuchs seit Kriegsbeginn hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nachdrücklich die Bedeutung der Lieferung von Kampfjets betont. Von einigen EU-Staaten habe er bereits positive Signale erhalten, wie er bei einer Pressekonferenz mit EU-Ratschef Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte.

Beim slowakischen Premier Eduard Heger hatte er offenbar Erfolg. Dieser stellte die Lieferung von MiG-29-Flugzeugen in Aussicht. „Ich habe von einer Reihe europäischer Staats- und Regierungschefs gehört, dass sie bereit sind, uns die nötigen Waffen und Unterstützung zu geben, einschließlich Flugzeugen“, sagte Selenskyj am Donnerstag vor zahlreichen Journalistinnen und Journalisten. Bei bilateralen Treffen wollte er das Thema nochmals ansprechen. Er könne nicht mit leeren Händen nach Hause kommen, machte Selenskyj deutlich.

Seine Visite in der britischen Hauptstadt London habe zu Ergebnissen geführt, sagte Selenskyj. Die Ausbildung von Piloten sei ein wichtiger Schritt, um Kampfjets zu bekommen. Es gebe zudem positive Einigungen, die nicht öffentlich kommuniziert würden. Die Ukraine brauche „wirklich Munition, moderne Panzer, Langstreckenraketen und Kampfflugzeuge“, hatte Selenskyj zuvor in seiner Rede vor den 27 Staats- und Regierungschefs gesagt.

Der ukainische Präsident Volodymyr Zelensky, Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen und der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel
APA/AFP/Ludovic Marin
Von der Leyen, Selenskyj und Michel (v. l. n. r.)

EU nimmt „Putins Propagandisten“ ins Visier

Russland habe immerhin ein ganzes Arsenal an Angriffsmöglichkeiten, warnte er und verwies auch auf Cyberangriffe und gezielte Falschinformationen. Die EU-Staats- und -Regierungschefs rief er zudem zu weiteren Sanktionen gegen Russland auf. Insbesondere Sanktionen gegen die Raketenindustrie, den Drohnen- sowie den IT-Sektor müssten umgesetzt werden, sagte der ukrainische Präsident.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen versprach diesbezüglich, dass die EU neue Sanktionen gegen Russland „Putins Propagandisten“ ins Visier nehmen würde. Deren Lügen vergiften den öffentlichen Raum in Russland und darüber hinaus. Außerdem soll das bereits zehnte Sanktionspaket, an dem die EU derzeit arbeitet, weitere Exportverbote im Volumen von mehr als zehn Milliarden Euro umfassen. EU-Ratspräsident Michel plädierte darüber hinaus für eine Fortsetzung der maximalen Unterstützung der Ukraine.

Schaidreiter (ORF) zum EU-Gipfel

EU-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet über die aktuelle Migrationsdebatte und weitere Waffenforderungen Selenskyjs beim EU-Gipfel.

Zurückhaltend zeigte man sich in Brüssel beim Thema EU-Beitritt. Von der Leyen attestierte der Ukraine „beeindruckende“ Fortschritte auf dem Weg zur europäischen Integration. Einen „starren Zeitplan“ gebe es nicht. Die Ukraine will noch heuer mit Verhandlungen über den EU-Beitritt beginnen, darüber müssen jedoch die 27 Mitgliedsstaaten einstimmig entscheiden. Die EU-Kommission hatte den Eifer des Präsidenten auf einem Gipfel in Kiew in der Vorwoche gedämpft.

Selenskyj: Russischer Plan zur Störung Moldawiens

Zu Beginn der Pressekonferenz hatte Selenskyj den Fokus auf seinen Nachbarstaat Moldawien gerückt. Konkret sagte er, dass es einen detaillierten russischen Plan zur Störung der politischen Situation in Moldawien gebe. Der ukrainische Geheimdienst habe entsprechende Informationen abgefangen. Das russische Dokument zeige, wer wann und wie in Moldawien die demokratische Ordnung zerschlagen und die Kontrolle über das Land übernehmen wolle.

Über diese Informationen habe er vor Kurzem mit der moldawischen Präsidentin Maia Sandu gesprochen. Er sagte auch, die Ukraine wisse nicht, ob Moskau tatsächlich den Befehl gegeben habe, die Pläne umzusetzen. Aber es habe auch einen ähnlichen Plan gegen die Ukraine gegeben.

Gruppenfotos des EU-Gipfels in Brüssel mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj
Reuters/Yves Herman
Selenskyj als „Stargast“ des EU-Sondergipfels

Kämpferische Dankesrede im EU-Parlament

Vor seinem Eintreffen auf dem EU-Sondergipfel hatte sich Selenskyj mit einer kämpferischen Ansprache im Europäischen Parlament und unter tosendem Applaus für die Unterstützung Europas bedankt. Die Ukraine verteidige sich zusammen mit Europa gegen Russland, die „größte antieuropäische Kraft der modernen Welt“, sagte er.

Der Beifall der Abgeordneten im Plenum richte sich nicht an ihn selbst, sondern an alle in den Städten und Dörfern, die die Ukraine unterstützten, sagte der 45-Jährige. „Jeder ist in der Lage, einen Einsatz auszuüben, für unseren gemeinsamen Sieg“, sagte er. Es gehe darum, die europäisch-ukrainische Lebensweise zu verteidigen, sagte Selenskyj.

Selenskyj: Kämpferische Dankesrede in Brüssel

In einer kämpferischen Ansprache im Europäischen Parlament hat sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj für die Unterstützung Europas bedankt. Die Ukraine verteidige sich zusammen mit Europa gegen Russland, die „größte antieuropäische Kraft der modernen Welt“, sagte er.

Deutliche Worte in der Kampfjetfrage kamen von EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola: „Nun müssen die Staaten als nächsten Schritt erwägen, rasch weitreichende Systeme und Flugzeuge bereitzustellen“, sagte sie. Diese würden benötigt, um die Freiheit zu schützen, die zu viele für selbstverständlich gehalten hätten.

„Spiegel“: Selenskyj kritisiert Scholz scharf

Ein Interview Selenskyjs hatte abseits seiner Brüssel-Visite für Aufsehen gesorgt: Gegenüber dem deutschen „Spiegel“ und dem französischen „Le Figaro“ sagte er, dass er die Beziehung zu Deutschland wegen der Debatte über die Lieferung von Kampfpanzern in einer „schwierigen Phase“ sehe. „Ich muss Druck machen, der Ukraine zu helfen und ihn (Olaf Scholz, Anm.) ständig überzeugen, dass diese Hilfe nicht für uns ist, sondern für die Europäer.“

Großes Sicherheitsaufgebot

Begleitet wurde der Besuch von einem hohen Sicherheitsaufgebot. Zahlreiche Straßen waren Donnerstag in Brüssel gesperrt. Schon seit Tagen gab es Spekulationen über den Besuch des ukrainischen Präsidenten. Der geplante Besuch sei von Mitarbeitern Metsolas geleakt worden, schrieb „Politico“. Ein Fauxpas sei das, würde die Sicherheit Selenskyjs damit doch gefährdet, meinten Kritikerinnen und Kritiker.

Die Auslandsreise Selenskyjs ist erst die zweite seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar vergangenen Jahres. Im Dezember war er nach einem Zwischenstopp in Polen in den USA. Seine aktuelle Reise begann Selenskyj am Mittwoch in Großbritannien, wo er auch Premierminister Rishi Sunak und König Charles III. traf. Am Abend stand in Paris ein Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Programm.

Meloni kritisiert Paris-Visite

Selenskyjs Besuch in Paris sorgte für Kritik aus Italien: Es sei „unangebracht“ gewesen, dass Macron Selenskyj nach Paris einlud und dort zusammen mit Scholz zu Abend aß, sagte Meloni. Die postfaschistische Politikerin meinte, dass der Termin in Paris der gemeinsamen Haltung der EU in der Ukraine-Frage schaden könnte. Meloni sagte, dass Macron innenpolitisch unter Druck stehe und wohl auch deshalb mit der Einladung ein Zeichen setzen wollte. Macron wies den Vorwurf zurück.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in Brüssel
AP/Virginia Mayo
Bundeskanzler Karl Nehammer bei der Ankunft zum EU-Sondergipfel

Gipfelentwurf: Bewegung bei Grenzschutzfinanzierung

Auf dem EU-Sondergipfel steht das Thema Migration – neben dem Ukraine-Krieg und der Zukunft der Wirtschaftshilfen – weit oben auf der Agenda. Die Beratungen konnten infolge der bilateralen Treffen mit Selenskyj am Abend erst mit Verzögerung beginnen. Bewegung gab es dem Vernehmen nach beim Thema Grenzschutzfinanzierung.

Laut einem Entwurf der Gipfelerklärung von Donnerstagabend wird die EU-Kommission aufgefordert, Mitgliedsstaaten mit EU-Mitteln und Maßnahmen bei der Verstärkung ihrer Grenzschutzkapazitäten und Infrastrukturen unverzüglich zu unterstützen. Dazu zählen auch die Kontrolle und Luftraumüberwachung sowie entsprechende Ausrüstung.

Der Gipfel fordert laut Entwurf die EU-Kommission auf, Maßnahmen von Mitgliedsstaaten zu finanzieren, „die direkt zum Schutz der EU-Außengrenzen beitragen, sowie zur Verbesserung des Grenzschutzes in Schlüsselländern auf Transitrouten in die Europäische Union“. Nehammer machte am Abend in Sachen EU-Mittel für Grenzzäune weiter Druck. Zuvor hatte sich der Kanzler noch nicht zufrieden gezeigt.

EU weiter uneinig über Migration

Beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj zeigen sich die Regierungschefs der EU-27 einig und entschlossen. Ganz anders beim Migrationsthema: Nicht einmal über die Frage, ob die EU mit einer Migrationskrise konfrontiert ist, herrscht Konsens.

Meloni: „Europa muss seine Außengrenzen kontrollieren“

Keine Zustimmung erntete er dafür beim luxemburgischen Premier Xavier Bettel. „Es wäre eine Schande, wenn eine Mauer in Europa gebaut würde mit den europäischen Sternen drauf“, sagte Bettel. Griechenlands Regierungschef Kyriakos Mitsotakis betonte hingegen, er sei „absolut“ für EU-finanzierte Zäune.

Italiens Regierungschefin Meloni sagte auf die Frage nach Nehammers Forderung von zwei Milliarden Euro für den bulgarisch-türkischen Grenzzaun. „Man braucht verschiedene Instrumente je nach den unterschiedlichen Grenzen.“ Sie setze sich für die südliche Grenze ein. „Europa muss seine Außengrenzen kontrollieren.“

Litauens Präsident Gitanas Nauseda forderte: „Wir brauchen nicht nur materielle Zäune, sondern auch einen rechtlichen Rahmen.“ Dieser Rechtsrahmen müsse der EU helfen, auch gegen die Instrumentalisierung von illegaler Migration vorzugehen.

Scholz äußerte sich zur Frage nach Grenzzäunen zurückhaltend. Es gebe in der Gipfelerklärung eine gute gemeinsame Formulierung, sagte er. Darin ist von der Mobilisierung von EU-Fonds zur Verstärkung von Kapazitäten für die Grenzkontrolle und Infrastruktur sowie zur Überwachung die Rede, nicht aber von Zäunen.