Schild „Manager“ in einem Büro
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Plötzlich Manager

Sprachverwirrung in der Arbeitswelt

Titel von Jobs oder Trends in der Arbeitswelt: Englische Bezeichnungen haben schon vor Jahrzehnten Einzug in jenen Bereich gefunden, der beschreibt, wie und was Menschen arbeiten – auch wenn nach wie vor den meisten unklar sein dürfte, was etwa ein Senior Management Assistant so macht. Mit Sprache wird dabei auch soziale Realität geformt und kaschiert. Doch der Stellenwert von Arbeit hat sich für viele Menschen zuletzt enorm geändert – und das hat vielleicht auch Folgen für das Sprachgewirr in der Arbeitswelt.

Dass mit schillernden Bezeichnungen Jobs besser klingen, als sie in Wirklichkeit vielleicht sind, ist an sich ein alter Hut. Wenn die Chefsekretärin zur Senior Executive Assistant mutiert und der Leiter der Büroadministration zum Head of Backoffice wird, kann das natürlich auch als Zeichen der Wertschätzung für wichtige Tätigkeiten gesehen werden.

Muss es aber nicht. Es kann auch die logische Folge dessen sein, dass in den oberen Etagen großzügig englische Fantasietitel ausgeteilt wurden, die Kundenbetreuerin sich Account Manager auf die Visitenkarte drucken darf und dann halt auch alle anderen in das gesamte Organisationsschema angepasst werden. Alles nicht neu: Dass Hausmeister irgendwann „Facility Manager“ genannt wurden, fand schon vor Jahren Eingang in die billigen Pointen des Comedy-Schenkelklopfertums.

Entdeckung des „Humankapitals“

Mitverantwortlich für die Welle an englischen Jobbezeichnungen sind aber nicht nur gewiefte Unternehmen. Mit neuen Formen von Arbeit und mobileren Arbeitnehmerinnen und -nehmern wurde die Belegschaft zunehmend als Asset, also als Humankapital, eines Unternehmens gesehen, das auch „gemanagt“ werden musste.

Der Begriff „Human Resources“ trat Anfang der 80er Jahre seinen Siegeszug im englischsprachigen Bereich an und machte einige Jahre später dem deutschsprachigen Personalwesen mehr und mehr den Garaus. Mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung kam auch die – englische – Fachsprache, die wegen der engen Verwobenheit mit der Wirtschaft dann Begriffe wie Controlling und Recruiting in den Alltag spülte.

In Anzeigen viel Führung, wenige „Junior“

Eine Diskussion über eine wahre „Inflation“ an überkandidelten Jobbezeichnungen gibt es derzeit auch im englischsprachigen Bereich. Übrigens nicht zum ersten Mal: „Forbes“ erinnerte daran, dass schon den 1970er Jahren ähnliche Debatten in US-Medien geführt wurden. Nun berichtete die Website Business Insider von einer Studie der Stellenmarktanalysefirma Datapeople. So habe sich bei der Untersuchung von mehr als zwei Millionen Jobanzeigen das Wort „Lead“, also „Führung“, seit 2019 verdoppelt – und das bei Einsteigerjobs in der Technikbranche. Das Wort „Junior“ kommt nur noch halb so oft vor.

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So schön wie auf Stock-Photos ist die reale Arbeitswelt fast nie

Auch eine Frage der Überstundenbezahlung

Business Insider gibt dafür vier recht handfeste Gründe an. Der erste ist ein echter Etikettenschwindel: Nach US-Recht müssen Firmen im Normalfall keine Überstunden bezahlen, wenn die Arbeitnehmer angestellte Führungskräfte sind und als Manager bezeichnet werden. Laut einer Studie der University of Texas und der Harvard Business School ersparen sich US-Unternehmen damit vier Milliarden Dollar jährlich.

Es gehe aber auch um die Außenwirkung, die man bei Kundinnen und Kunden sowie bei Geschäftspartnern macht. So räumte etwa die US-Investmentbank Goldman Sachs schon 2012 ein, dass 12.000 ihrer damaligen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – rund ein Drittel der Belegschaft – den Titel „Vice President“ trug, um damit Eindruck zu schinden.

Mehr Titel statt mehr Gehalt

Laut Business Insider hoffen Unternehmen, mit großzügigen Jobtiteln zudem besser qualifizierte Bewerber für offene Stellen anzusprechen – wenn möglich, ohne ihnen mehr zu zahlen. Und auch die mittlerweile als anspruchsvoll geltende Generation Z soll mit eindrucksvollen Arbeitsbezeichnungen geködert werden. Laut der Datapeople-Erhebung kann das aber ein Schuss ins Knie sein: Einsteigerstellen für Finanzanalysen, die als „Senior“ angepriesen wurden, hätten weniger Bewerbungen mit mehr schlecht Qualifizierten zur Folge, als wenn die Stellen als das ausgeschrieben werden, was sie sind.

Arbeitskräfte werden knapp – und anspruchsvoller

Dass die ganze Debatte nun wieder aufkocht, liegt an den großen Veränderungen, die derzeit in der westlichen Welt die Arbeitsmärkte beschäftigt: Die geburtenstarke Generation der Baby-Boomer wandert in die Pension, während sich in und durch die Pandemie der Stellenwert von Arbeit – zumindest besagen das unzählige Studien in etlichen Ländern – verschoben hat. Jobsuchende, allen voran aus der jungen Generation Z, werden anspruchsvoller und suchen Arbeit, die ihnen auch wirklich gefällt und zudem auch mehr Platz für ein Restleben lässt. Karriere im Beruf steht nicht mehr ganz oben auf der Prioritätenliste.

Von „Quiet Quitting“ zu „Quiet Hiring“

Im Vorjahr ging dementsprechend der Begriff des „Quiet Quitting“ durch alle Debatten: Menschen, die für ihren Job nicht mehr unbezahlte Zusatzaufgaben und Überstunden ohne Ende machen. Das Phänomen ist an sich – unter den Schlagworten „innere Kündigung“ oder ähnlich „Dienst nach Vorschrift“ – arbeitssoziologisch seit Jahrzehnten gut untersucht. Die Häufung war aber neu.

Wenig später machte die logische Reaktion von Unternehmensseite, das „Quiet Firing“, die Runde: Betriebe mobben – sehr vereinfacht gesagt – missliebige, weil ineffiziente Mitarbeiter aus dem Unternehmen, statt sie direkt zu kündigen. Wobei kündigen in der Unternehmenssprache ja schon sehr lange ein Tabuwort ist: Man setzt Arbeitskräfte frei.

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Gestellte Fotos im Arbeitskontext zeichnen oft noch ein viel geschönteres Bild der Arbeitswelt als die Euphemismen der Branche

Euphemismus bei Arbeitsmodellen

Heuer findet sich in den Trendlisten wiederum das geflügelte Wort vom „Quiet Hiring“: Angesichts des Arbeitskräftemangels verteilt man neue Aufgaben an bestehendes Personal und kitzelt damit quasi versteckte Potenziale wach, mit dem Vorteil, bestenfalls Beförderungen, aber keine neuen Stellen mit Rekrutierungs- und Einschulungskosten finanzieren zu müssen.

Überhaupt haben gerade die postulierten Trends der jüngeren Vergangenheit euphemistisch bezeichnete Arbeitsmodelle propagiert, die recht gut für Unternehmen und im Zweifel wenig gut für die Arbeitenden sind. Gig Economy und Crowd-Working etwa waren in den vergangenen Jahre beliebte Schlagworte.

Wenig Glamour in der Gig Economy

Der aus der Musikwelt entlehnte Begriff Gig ist in der realen Arbeitswelt dann weit weniger glamourös als ein Auftritt auf der Bühne: Bezahlt wird für einzelne, meist kleine Aufträge. Und Crowd-Working hat nichts mit Schwarmintelligenz oder Teamwork im großen Stil zu tun: Große Arbeitsaufträge werden klein portioniert und per Onlineplattformen zeitlich und örtlich auf eine Vielzahl von Miniauftragsnehmer verteilt. In Ländern mit starken arbeitsrechtlichen Vorgaben wie Österreich spielten solche Modelle eine untergeordnete Rolle, weltweit sieht das freilich anders aus.

Plötzlich umgekehrte Vorzeichen

Dennoch: Wenn Arbeitskraft rarer wird, müssen sich auch Unternehmen bemühen, auf diesem knappen Markt zu reüssieren. Und das kommt in den Prognosen und Trends, die für heuer aufgestellt wurden, ganz deutlich zum Vorschein – wenn auch wieder hinter einem Nebel an sprachlichen Finessen.

In der Liste des Marktforschungsunternehmens Gartner heißt es etwa, Unternehmen müssten sich nun verstärkt um „nicht traditionelle“ Bewerberinnen und Bewerber umsehen, also etwa jene, die man mit den bisherigen Suchschemata, die sich auf Zeugnisse und vorhandene Berufserfahrung konzentrierten, außer Acht gelassen hatte.

In einem anderen Punkt heißt es, dass es notwendig sei, die im Englischen als DEI bekannten Anstrengungen Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion stärker zu verankern. Zwischen den Zeilen heißt das, dass solche Ziele nicht mehr nur Feigenblätter sein können, die sich Unternehmen an die Fahnen heften, sondern sie tatsächlich gelebt werden müssen.

Reden, so wichtig

Gartner stellt auch fest, dass Unternehmen „die Erosion sozialer Kompetenzen in der gesamten Belegschaft bekämpfen“ müssten. Nicht nur der Generation Z würden diese Kenntnisse fehlen: Während der Pandemie hätten Mitarbeiter „nur wenige Gelegenheiten“ gehabt, „Normen zu beobachten und zu bestimmen, was in ihren Unternehmen angemessen oder effektiv ist“. Heißt: Umgang und Kommunikation zu verbessern scheint ein zentraler Schlüssel zum Erfolg zu sein.

Ähnliches ist auf einer in „Forbes“ erschienene Liste zu lesen: „Soft Skills“, allen voran Kommunikation, seien die neuen „Hard Skills“, heißt es dort sinngemäß. Auch hier heißt es, Potenzial sei wichtiger als formale Abschlüsse. Und gleich in zwei von zehn Punkten wird auf die Wichtigkeit von psychischer Gesundheit hingewiesen. Unter dem Eindruck der Coronavirus-Pandemie war das schon im Vorjahr das dominante Thema in der Debatte, was in der Arbeitswelt künftig wichtig sein werde.

Reale Verbesserungen nicht nur bei Bürojobs?

Das alles deutet darauf hin, dass es zumindest eine Tendenz gibt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich mit mehr Macht ausgestattet auf dem Arbeitsmarkt auftreten können. Das gilt vor allem für gut Ausgebildete – und allgemein jene, die solche Jobprognosen auch immer zuallererst im Fokus haben: Menschen, die in Bürojobs sind.

Doch nun rücken auch die anderen zumindest ein bisschen in den Blickpunkt: Es gelte, heißt es bei Gartner und in „Forbes“, auch neue, flexiblere Arbeitsmodelle für „frontline workers“, so nennt das Unternehmen etwa Arbeiter und Beschäftigte im Gesundheitswesen, zu finden.