Personen wärmen sich vor Feuer
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Türkei

Zehntausende aus Bebenregion gebracht

Während die Hoffnung auf Überlebende zunehmend schwindet und die Zahl der Toten weiter stark steigt, wird auch die Lage für all jene, die bei der Erdbebenkatastrophe im türkisch-syrischen Grenzgebiet ihr Obdach verloren haben, zunehmend prekär. Bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) war am Donnerstag von „sich verschlechternden und entsetzlichen“ Bedingungen die Rede. Für die Betroffenen werden nach und nach behelfsmäßige Zeltlager errichtet – in der Türkei werden die vom Beben betroffenen Menschen auch in andere Regionen des Landes gebracht.

Allein aus der südtürkischen Provinz Kahramanmaras, wo in der Nacht auf Montag das Epizentrum des verheerenden Bebens war, wurden nach Angaben der türkischen Katastrophenschutzbehörde AFAD bereits rund 30.000 Menschen in Sicherheit gebracht. Mit 23.437 sei der Großteil ausgeflogen worden, der Rest der Evakuierungen sei über den Straßen- und Schienenweg erfolgt.

Für alle, die die Provinz verlassen wollen, sind AFAD-Angaben zufolge Evakuierungszentren eingerichtet worden. Die Unterbringung in anderen Landesteilen werde zusammen mit Provinzbeamten koordiniert. Die türkische Regierung kündigte in diesem Zusammenhang bereits am Vortag an, Betroffene vorübergehend etwa auch in Hotels in der westlich gelegenen Tourismusmetropole Antalya unterzubringen.

Airlines mit kostenlosen Evakuierungsflügen

Medienberichten zufolge bieten auch einige türkische Fluglinien wie Turkish Airlines und Pegasus ermäßigte und teils kostenlose Flüge für all jene an, die das Erdbebengebiet verlassen wollen. „Um die vom Erdbeben Betroffenen zu unterstützen, können alle unsere direkten Inlandsflüge ab Adana, Diyarbakir, Elazig, Gaziantep, Kayseri, Malatya und Sanliurfa, die zwischen dem 7. und 12. Februar 2023 starten, kostenlos gebucht werden“, zitierte der britische „Independent“ dazu etwa die Billigairline Pegasus.

„In Zusammenarbeit mit unseren staatlichen Institutionen und den zuständigen Behörden arbeiten wir weiter daran, unseren Bürgern Hin- und Rückflüge in die Erdbebengebiete zu ermöglichen“, heißt es auch bei der Turkish-Airline-Billiflugmarke Anadolujet.

Zelte in Stadion
Reuters/Stoyan Nenov
In vielen vom Beben betroffenen Städten wurden von AFAD Zeltstädte errichtet

Zeltlager und wilde Camps

Allein in der Türkei sind beim Beben mehr als 6.500 Gebäude vollkommen zerstört und eine Vielzahl davon beschädigt worden. Hunderttausende Menschen wurden damit mitten im Winter obdachlos. Viele kampieren seitdem in provisorischen Unterkünften auf Supermarktparkplätzen, in Moscheen, an Straßenrändern, aber auch weiter inmitten der Trümmer. AFAD errichtet weiter Zelte, diese reichen aber weiter bei Weitem nicht für alle aus.

Zeltlager für obdachlos gewordene Menschen

In den Bebengebieten werden für die Betroffenen nach und nach behelfsmäßige Zeltlager errichtet – in der Türkei werden die vom Beben betroffenen Menschen auch in andere Regionen des Landes gebracht.

Der für Katastrophenschutz zuständige WHO-Leiter Robert Holden betonte am Donnerstag bei einer Pressekonferenz die Dringlichkeit, dass man nun dafür sorgen müsse, „dass die Menschen, die das Erdbeben überlebt haben, auch jetzt noch überleben“. Einer WHO-Einschätzung zufolge sind in der Türkei und Syrien insgesamt 23 Millionen Menschen von den Folgen des Bebens betroffen.

Helfer auf Trümmern
Reuters/Stoyan Nenov
Noch immer gelten viele Menschen in den Bebengebieten als vermisst

16-Jährige wie durch Wunder gerettet

Auch am Donnerstag und auch in der Nacht auf Freitag wurden mehrere Menschen lebend aus den Trümmern geborgen. Zuletzt sorgte die Rettung eines 16-jährigen Mädchens für einen Hoffnungsschimmer. Mehr als 80 Stunden nach der Katastrophe konnten Helfer im stark verwüsteten Antakya im Süden der Türkei die Jugendliche aus einem eingestürzten Gebäude retten.

Eigentlich gelten 72 Stunden als die Zeitgrenze, nach der bei einer derartigen Katastrophe nicht mehr mit Überlebenden unter den Schuttbergen zu rechnen ist. Die noch geretteten Menschen sind kleine Lichtmomente einer Katastrophe mit mittlerweile fast 20.000 Toten, rund 70.000 Verletzten und Millionen Betroffenen.

EU plant Geberkonferenz

Die EU will bei einer für Anfang März angekündigten Geberkonferenz zusätzliche internationale Hilfe mobilisieren. Die Türkei und Syrien „können auf die EU zählen“, teilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter mit.

Zwei Tage nach der Türkei stellte nach Angaben des zuständigen EU-Kommissars Janez Lenarcic am Mittwoch auch Syrien einen Antrag auf EU-Katastrophenhilfe. Lenarcic kündigte auch eine Reform der EU-Schutzmaßnahmen an. Künftig sollen etwa Frühwarnsysteme verbessert werden, damit Warnmeldungen gefährdete Menschen rechtzeitig erreichen.

Hilfsangebote aus fast 100 Ländern

Mehr als 100.000 Helferinnen und Helfer sind in der Türkei nach Regierungsangaben im Einsatz, und täglich werden es mehr. Rund 6.500 Einsatzkräfte aus 56 Ländern seien bereits im Einsatz, sagte am Donnerstag der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu. Hilfsangebote gibt es laut Cavusoglu mittlerweile aus 95 Ländern und von 16 international tätigen Organisationen.

Einige vom Beben betroffene Regionen waren bzw. sind weiter schwer zugänglich. In den ersten Tagen hatten gesperrte Flughäfen und verschneite Straßen die Ankunft von Rettungsmannschaften und Hilfslieferungen verzögert.

Hatay: Baby nach 68 Stunden gerettet

In der türkischen Provinz Hatay ist rund 68 Stunden nach den verheerenden Erdstößen ein Baby lebend aus einem eingestürzten Gebäude gerettet worden. Nur wenige Stunden später wurde ein Mann aus demselben Haus geborgen, bei dem es sich vermutlich um den Vater des Kleinkindes handelt.

WHO-Chef Tedros und IKRK-Präsidentin Spoljaric in Syrien

Zur Unterstützung der internationalen Hilfsaktionen im Erdbebengebiet reiste die Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) nach Syrien. „Ich bin heute Abend – mit trauerndem Herzen – in Aleppo in Syrien eingetroffen“, erklärte Mirjana Spoljaric am Donnerstagabend auf Twitter. Die Ortschaften und Menschen, die unter den jahrelangen Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Rebellen leiden, sind nun durch das Erdbeben paralysiert.

Kurz zuvor hatte der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, mitgeteilt, dass er „auf dem Weg nach Syrien“ sei. Es gehe derzeit unter anderem um die Gewährleistung grundlegender sanitärer Bedingungen. Wohin Tedros genau reiste und wann er ankommen wollte, teilte er nicht mit.

Ausmaß der Katastrophe schwer abzuschätzen

Vor allem im Norden Syriens ist das Ausmaß der Katastrophe nur schwer abzuschätzen. Hilfe kommt weiter nur langsam voran – nicht zuletzt wegen der politischen Lage in dem Land. Die Nothilfe war UNO-Angaben zufolge auch wegen einer zerstörten Straße zum Grenzübergang Bab al-Hawa zwischen der Türkei und Syrien erschwert gewesen: Am Donnerstag erreichte über diesen Weg nun ein erster UNO-Hilfskonvoi das Bebengebiet im Nordwesten Syriens.