Die moldawische Regierungschefin Natalia Gavrilita
AP/Aurel Obreja
Moldawien

Regierung tritt überraschend zurück

In Chisinau hat es am Freitag einen politischen Knalleffekt gegeben: Die proeuropäische Regierungschefin Natalia Gavrilita ist völlig überraschend nach eineinhalb Jahren im Amt zurückgetreten. Einen Nachfolger gibt es bereits. Das Nachbarland der Ukraine steht unter starkem russischen Druck – Kiew hatte erst kürzlich gewarnt, der Kreml wolle Moldawien unter seine Kontrolle bringen.

Gavrilitas Rücktritt hat den Abgang ihres gesamten Kabinetts zur Folge. „Ich glaube an das moldawische Volk. Ich glaube an Moldawien“, sagte sie auf einer Pressekonferenz. „Ich glaube, dass wir alle Schwierigkeiten und Herausforderungen meistern werden.“

Präsidentin Maia Sandu nahm das Rücktrittsgesuch bereits an. Sie danke Gavralita ausdrücklich für deren „enorme Opfer und Bemühungen“, das Land „in Zeiten so vieler Krisen“ zu regieren, schrieb Sandu auf Facebook. Trotz aller „Herausforderungen“ habe die Exekutive unter Gavrilita für „Stabilität, Frieden und Entwicklung“ in Moldawien gesorgt – einem Land, „in dem andere Krieg und Bankrott“ sehen wollten, hieß es weiter in Sandus Posting.

Recean nominiert

Sandu nominierte wenig später ihren bisherigen Berater in Sicherheitsfragen, Dorin Recean, als Gavrilitas Nachfolger. Der 48-jährige Präsidialrat war auch amtierender Generalsekretär des Obersten Sicherheitsrates des Landes. Zwischen 2012 und 2014 war Recean Innenminister der Regierungen unter Vlad Filat und Iurie Leanca. Recean sagte am Freitag, er wolle die Integration in die EU vorantreiben. Die EU akzeptierte Moldawien im vergangenen Jahr als Beitrittskandidat, ein diplomatischer Triumph für Sandu.

Der 48-jährige designierte Premierminister muss nun binnen 14 Tagen ein Kabinett aufstellen und sich von der Legislative in Chisinau das Vertrauen aussprechen lassen. Im Parlament hält die von Sandu gegründete PAS eine komfortable Mehrheit (63 von 101 Sitzen), sodass die Bestätigung des neuen Regierungschefs und seiner Exekutive problemlos vonstattengehen müsste.

Dorin Recean
AP/Aurel Obreja
Sandu nominiert Recean: Er soll die Regierung übernehmen

Schwere Energiekrise

Der überraschende Regierungswechsel kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Kurz zuvor hatte das Außenministerium in Chisinau bekanntgegeben, dass eine russische Rakete den moldawischen Luftraum in Richtung Ukraine durchquert habe. Man werde den russischen Botschafter einbestellen.

Das Land steht in mehrerlei Hinsicht unter starkem Druck. Eine schwere Energiekrise setzt den Menschen zu, seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine kommt kaum mehr Gas ins Land. Hinzu kommt, dass in der abtrünnigen Region Transnistrien das vor allem für die Hauptstadt wichtige Kraftwerk Ciugurdan steht – ein Trumpf in der Hand der prorussisch kontrollierten Behörden, die ihn politisch auch ausspielen. Auch von dort wurden die Energielieferungen stark gedrosselt.

Russische Angriffe auf ukrainische Infrastruktur verstärkten das Problem -auch die Lieferungen aus der Ukraine fielen aus. Die Folge im zweitärmsten Land Europas sind häufige Stromausfälle und kalte Wohnungen. Die Preise für Energie explodierten, Gavrilitas Regierung stand deshalb schwer in der Kritik, es kam zu Protesten.

Der russlandfreundliche Ex-Präsident Igor Dodon sagte, die Führung sei überfordert und habe das Land in eine tiefe Krise gestürzt. Als Vertreter der Opposition forderte er eine vorgezogene Parlamentswahl.

Unter russischem Einfluss

Gavrilita hatte das Amt erst im August 2021 übernommen, ihre Partei der Aktion und Solidarität (PAS) hatte mit Antikorruptionswahlversprechen die Mehrheit gewonnen. Seit dem EU-Kandidatenstatus versucht Russland verstärkt, seinen Einfluss im Land zu vergrößern. In Transnistrien sind nicht nur russische Truppen stationiert, sondern Schätzungen zufolge auch bis zu 15.000 moskautreue Paramilitärs. Sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung gibt es eine starke Kluft zwischen prowestlichen und prorussischen Strömungen. „Die Menschen vergessen oft, dass zwischen der Ukraine und Westeuropa der souveräne Staat Moldawien liegt, über den niemand spricht“, so der Politologe Ivan Astrov voriges Jahr zu ORF.at.

Zuletzt hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow Präsidentin Sandu vorgeworfen, eine Vereinigung mit Rumänien anzustreben. Dem Westen warf er vor, Moldawien wie die Ukraine zu einem weiteren „Antirussland“ machen zu wollen.

Selenskyj warnt Moldawien

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte erst am Donnerstag in Brüssel gewarnt, dass Russland plane, die Kontrolle über Moldawien zu übernehmen. Es gebe einen detaillierten russischen Plan zur Störung der politischen Situation in Moldawien, der ukrainische Geheimdienst habe entsprechende Informationen abgefangen, Präsidentin Sandu sei informiert. Das russische Dokument zeige, wer wann und wie in Moldawien die demokratische Ordnung zerschlagen und die Kontrolle über das Land errichten wolle, so Selenskyj. Auch viele westliche Vertreter werfen Russland vor, die Lage in dem verarmten Agrarstaat destabilisieren zu wollen.