Mehrere Schafe beim Grasen
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Wolf

Zerreißprobe in Kärnten

Dort, wo Fuchs und Hase einander gute Nacht sagen, taucht mittlerweile ein weiteres Tier auf: der Wolf. Seit Jahren wächst die Population des Raubtiers an, gleichzeitig werden aus der Landwirtschaft steigende Risszahlen gemeldet. Debatten über den Umgang mit Wölfen werden emotional geführt, auch weil viele Fragen bis heute ungeklärt sind.

Wenn ein Tier die Gesellschaft spaltet, dann ist es derzeit wohl der Wolf: Die einen sehen in ihm eine Existenzbedrohung für viele kleine Bauern und Bäuerinnen, die anderen eine Bereicherung für die heimische Biodiversität. Während Erstere aus Furcht vor Wolfsrissen unbürokratische Abschussmöglichkeiten in „wolfsfreien Zonen“ fordern, verlangen Letztere, dass mehr in Herdenschutz investiert wird. So konträr die Positionen sind, so einig ist man sich darin, dass die Politik in die Gänge kommen muss.

Auf der Suche nach Lösungen wurde die Landespolitik in Kärnten beim Abschuss fündig. Seit gut einem Jahr gilt dort die Wolfsverordnung. Kommt ein Wolf einem bewohnten Gebiet zu nah (unter 200 Meter) und lässt sich durch Vergrämung nicht verscheuchen („Risikowolf“), ist es Jägern und Jägerinnen für vier Wochen erlaubt, im Radius von zehn Kilometern das Raubtier zu erlegen. Dasselbe gilt für Wölfe, die eine bestimmte Zahl von Nutztieren „nachweislich“ gerissen haben („Schadwölfe“). Seit Jänner 2022 wurden an die 40 Abschussfreigaben erteilt, offiziell wurden bisher zwei Wölfe geschossen.

Landschaft mit Presseggersee und Bergen in Kärnten
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Im Gailtal (Hermagor) wurde im November 2022 der erste Wolf nach Kärntner Wolfsverordnung geschossen

Die DNA aus den blutigen Wunden

Roman Kirnbauer kennt alle Facetten der Debatte über den Wolf sehr gut. Seit knapp vier Jahren ist der Wildbiologe gefragter denn je: Als Wolfsbeauftragter in Kärnten gilt er als erste Anlaufstelle für Landwirte und Landwirtinnen, wenn sie Schafe, Ziegen oder Kühe zerfetzt in der Wiese liegen sehen. Kirnbauer sichtet Kadaver und verletzte Tiere. Mit Wattestäbchen nimmt er DNA-Proben aus den blutigen Wunden. „So können wir oft feststellen, um welchen Wolf es sich handelt, und eine Mindestanzahl an Wölfen nachweisen“, sagt Kirnbauer. Es sei ein „großes Feldexperiment“, an Arbeit mangle es derzeit nicht.

Mitte Februar sitzt Kirnbauer in seinem Büro in Klagenfurt und klickt mit der Maus über Excel-Tabellen: „Vor drei Jahren konnten wir einen Wolf genetisch nachweisen, 2021 waren es dann insgesamt elf unterschiedliche Tiere, und im Jahr darauf 28 Individuen und zwei Rudel, also Wölfe, die sich vermehrt haben“, zählt er auf. Heuer habe man bereits fünf Tiere über Risse und Kot registriert, vier davon seien schon im Vorjahr in Kärnten erfasst worden. „Das würde man als exponentielles Wachstum der Wolfspopulation in Kärnten bezeichnen.“

Kirnbauer erhält viele Fotos und Videos, darunter würden sich auch so einige Halbwahrheiten befinden, wie er betont. „Manche behaupten ja wirklich, dass wir die Wölfe in Kärnten ausgesetzt haben. Auf solche Debatten lass ich mich gar nicht mehr ein“, so der Wolfsbeauftragte. Mit seinem Team gehe er jeder Rissmeldung nach, binnen 24 Stunden würden die Rissbegutachter noch auf der entferntesten Alm ihre DNA-Proben nehmen. „Das sind lange Wege mit dem Auto, liegen die toten Tiere im sperrigen Gebiet, müssen wir zu Fuß dorthin.“

Mehr als 100 Jahre lang nicht gesichtet

Vor wenigen Jahren hätte sich Kirnbauer nicht gedacht, dass er diese Funktion übernimmt. Das liegt wohl auch an der Geschichte des Wolfes, die im Grunde eine tragische ist. Im 17. Jahrhundert waren die Tiere noch in ganz Europa verbreitet. Durch Jagd, Verfolgung und Verdrängung aus dem ursprünglichen Verbreitungsgebiet wurde die Zahl der Wölfe binnen weniger Jahre drastisch dezimiert.

In Österreich galt der Wolf ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als ausgerottet. Über die Jahre hinweg gab es zwar vereinzelt Berichte über Wolfssichtungen, das letzte Tier soll aber schon 1882 erschossen worden sein. Dokumentationen über Wölfe sollten aber auch Jahre nach dem „letzten Wolf“ die heimische Bevölkerung noch aufschrecken.

Die Zeitschrift „Carinthia II“, herausgegeben vom Naturwissenschaftlichen Verein für Kärnten, berichtete 1915 etwa vom „Bauernschreck“, der 1914 erlegt worden sei. 1936 soll ein Wolf im Wechselgebiet mit Strychnin vergiftet, 1938 ein weiteres Tier in der Nähe von Villach zumindest angeschossen worden sein. Bis zum ersten nachgewiesenen heimischen Wolfsrudel vergingen allerdings offiziell mehr als 100 Jahre. 2016 wurden auf dem Truppenübungsplatz in Allentsteig erstmals Jungtiere registriert.

„Der Zug ist abgefahren“

In Österreich gilt neben Tirol Kärnten als „Wolfshotspot“. Die meisten Tiere, die im südlichen Bundesland registriert wurden, stammen aus Italien und Slowenien. Doch auch heimische Rudel gibt es, das zweite wurde erst kürzlich bestätigt – mehr dazu in kaernten.ORF.at. Im vergangenen Jahr wurden in Kärnten knapp 400 Wolfsrisse gezählt, weitere 450 Nutztiere galten als vermisst. 2021 waren es mit 123 gerissenen Tieren deutlich weniger. Für einen Riss bekommen die Bauern vom Land zwar eine Entschädigung, aber viele stellen sich die Frage, wie es weitergehen soll.

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Landwirt Robert Herzog
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Landwirt Herzog nimmt die Sache mit dem Wolf quasi selbst in die Hand
Schutzzaun gegen den Wolf
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Neben dem Stall wurde die Wiese für die Rinder eingezäunt, auch im Tal brauche es präventive Maßnahmen, so Herzog
Landwirt Robert Herzog
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„Ich bin für den Schutz meiner Tiere verantwortlich“, sagt der Landwirt

„Derzeit vertritt Kärnten ja die Meinung: ‚Ja, wir schießen den Wolf eh ab.‘ Nur ganz ehrlich: Für das Abschießen allein ist der Zug schon vor Jahren abgefahren“, sagt Robert Herzog. Der Landwirt betreibt im Bezirk Hermagor einen auf Angus-Rinder spezialisierten Bauernhof. In Hermagor wurden die zwei Wölfe gemäß der Verordnung erlegt. Bei ihm selbst habe es noch keinen Riss gegeben, sagt Herzog. Damit das auch so bleibt, setzt der Biobauer seit geraumer Zeit auf Herdenschutzmaßnahmen.

Auf seinem Bauernhof, der vor der italienischen Grenze liegt, steht ein mehr als ein Meter hoher Fixzaun mit fünf Litzen, durch die Strom läuft. „Früher habe ich einen Zaun aufgestellt, damit meine Tiere nicht ausbrechen, heute muss ich mehr darauf schauen, dass der Wolf nicht einbricht“, so der Landwirt. Die Maßnahmen seien kostspielig und mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden, sagt Herzog. Auch auf der Alm bräuchte er den Herdenschutz, aber wegen felsiger Böden und der teils zu steilen Abhänge sei das fast unmöglich. Doch die Tiere über den Sommer im Stall zu lassen sei für ihn keine Option.

Herdenschutz auf der Alm – Sorge vor Rückzug

Das sagt auch Anna Huber. Die gebürtige Münchnerin arbeitet als Hirtin auf der Kirchbacher Wipfelalm im Gailtal. Auf dem Almgebiet, das sich auf einer Höhe von 1.500 bis zu knapp 2.200 Metern erstreckt, kümmert sie sich um die eigenen und um fremde Schafe, die ihr Landwirte aus der Umgebung anvertrauen. „Wir schützen die Tiere mit allem, was wir kriegen können“, sagt sie. Darunter sind etwa ein mobiler Elektrozaun, eine Nachtpferch, Flatterbänder, Foxlights, und zuletzt waren zwei Esel als Eskorte dabei. „Für die Tiere ist die Alm wesentlich gesünder, und wir sind zu fast 100 Prozent wolfssicher.“

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Landwirtin Anna Franziska Huber blickt vom Tal aus auf ihre Alm auf einem Berg
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Landwirtin Anna Huber blickt vom Tal in Hermagor auf ihre Alm, auf der sie ab Juni den Sommer über als Hirtin tätig ist
Landwirtin Anna Franziska Huber
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„Es gibt kein Schwarz-Weiß, sondern viele Nuancen“, sagt Huber mit Blick auf das Wolfsmanagement
Schafe in einem Stall
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Derzeit sind die eigenen Schafe im Stall untergebracht, auf der Alm warten Herdenschutzmaßnahmen

Das war nicht immer so. Im Jahr 2021 wurden 25 bis 30 Schafe auf der Alm gerissen. „Wir hatten keinen Schutzzaun, und in der Nacht waren die Tiere auch frei“, erzählt Huber. Sie habe die Kadaver am nächsten Morgen gesehen, die restlichen Tiere seien verängstigt gewesen. Die Anteilnahme in der Umgebung war groß, Medien berichteten über die Risse auf der Kirchbacher Wipfelalm. Mit einem Notfallteam habe man in der Krisensituation erste Maßnahmen gesetzt, um die restlichen Tiere zu schützen, sagt Huber. Seitdem gab es keine Risse mehr.

Sie liebt die Arbeit auf der Alm, von einer Schönwettersituation könne aber keine Rede sein. Einige kleine Schafhalter würden sich bereits die Frage stellen, ob sie ihre Tiere noch auf die Alm treiben sollten. Zum einen aus Angst, ihre Schafe könnten gerissen werden, zum anderen wegen der hohen Herdenschutzkosten, die nicht gefördert werden. Klar sei, dass mit einer wachsenden Wolfspopulation ein System wie damals, als Schafe ohne Schutzzäune auf Almen grasen konnten, nicht mehr möglich ist. „Jetzt könnte man politisch reagieren“, sagt Huber. Tue man nichts, werde sich das „negativ auf die Almen auswirken“.

Wohin mit dem Schutzstatus: Runter oder beibehalten?

In Sachen Wolfsmanagement bewegt sich die Politik in einem Vakuum. In Kärnten vertraut man derzeit auf die Wolfsverordnung, Tirol will nachziehen und Niederösterreich hegt wohl ähnliche Gedanken – mehr dazu in noe.ORF.at. Auf Bundesebene herrscht derzeit Uneinigkeit: Während Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) den Schutzstatus des Wolfes senken möchte, spricht sich Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) dagegen aus und macht sich für ein System aus Wolfsschutz, Präventivmaßnahmen und Entschädigungen stark.

Wolfsmanagement in Kärnten

Seit einem Jahr gilt in Kärnten die Wolfsverordnung, mit der „Problemwölfe“ getötet werden können. Doch immer mehr Landwirte und Landwirtinnen fordern auch nachhaltige Lösungen von der Politik.

„Der Wolf genießt gemäß der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU einen sehr hohen Schutzstatus“, sagt Rechtsprofessor Roland Norer von der Universität Luzern. Nur unter sehr strengen Kriterien könnten Wölfe entnommen werden, wobei der Abschuss als „Ultima Ratio“ zu sehen sei. „Nur wenn es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt, wie Herdenschutzmaßnahmen, und die Population der Tierart nicht darunter leidet, kann ein Wolf getötet werden, um etwa Schäden in der Landwirtschaft abzuwenden“, so Norer. Wolle man die Richtlinie ändern, brauche man die Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedsstaaten.

Tierschutz und Jagdrecht

Der Tierschutz in Österreich wird über nationales Recht und internationale Verträge geregelt. Gleichzeitig ist das Jagdrecht hierzulande nach dem föderalistischen Prinzip Ländersache.

Für die Landespolitik sind die Kriterien für den Abschuss von „Problemwölfen“ in Kärnten erfüllt. Umweltschützer sehen es anders. Die Wolfsverordnung sei unter anderem deshalb unionswidrig, weil Einzelfallprüfungen, die zwingend vorgesehen sind, umgangen würden. Statt konkrete Umstände zu berücksichtigen, würden „allgemeine Schwellenwerte“ für eine Abschussfreigabe festgelegt, heißt es in einer Analyse von WWF und Ökobüro.

Norer und EU-Rechtsexperte Walter Obwexer vertreten allerdings die Meinung, dass das Regelwerk aus Kärnten inhaltlich „weitgehend“ mit der EU-Richtlinie übereinstimmt. Die fehlende Rechtsschutzmöglichkeit für Umweltschutzverbände sei hingegen rechtswidrig, urteilt Obwexer, der für das Land Tirol zuletzt ein Gutachten über das Großraubtiermanagement erstellt hat. Vor Gericht könnten Umweltorganisationen zwar Bescheide bekämpfen, nicht aber Verordnungen. Norer ist ebenfalls skeptisch, ob diese Konstruktion hält. Derzeit sei sie deshalb zulässig, weil bisher noch niemand darüber entschieden hat, so der Jurist.

Bereits im Dezember 2021 hatte die EU-Kommission ein Pilotverfahren gegen Österreich gestartet. Brüssel wollte mehr über den Schutz des Wolfes erfahren. Wegen der Kärntner Wolfsverordnung wurden später weitere Fragen nach Wien geschickt. Der Status des Verfahrens sei offen, wie ein Beamter in Brüssel gegenüber ORF.at festhält. Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) sei ein Vorabentscheidungsverfahren zur Wolfsjagd in Tirol anhängig. Die EU werde die Entscheidung des Gerichtshofs berücksichtigen, „bevor sie ihre Bewertung abschließt und über weitere Schritte in dieser Frage entscheidet“.

„Integrationsprojekt Wolf“ mit Methodenmix

Bis in Brüssel weitere Schritte gemacht werden, bleibt die Verordnung wohl aufrecht. „Momentan ist die Entnahmemöglichkeit von ‚Risiko-‘ und ‚Schadwölfen‘ der vernünftigste Weg, langfristig wird es aber andere Lösungen brauchen“, sagt der Bezirksjägermeister von Hermagor, Raphael Gressel. Die erneute Ausrottung von Wölfen strebe niemand an, diese würde geltendem Recht widersprechen. Aber derzeit erlebe man das „Integrationsprojekt Wolf“. Dieses könne nur mit einer „Kombination aus Herdenschutz, wo es finanziell zumutbar und technisch möglich ist, und einer Bejagung der Tiere funktionieren“, so der Jäger.

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Raphael Gressel, Bezirksjägermeister Hermagor
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Bezirksjägermeister Gressel ist im engen Kontakt mit dem Wolfsbeauftragten des Landes Kärnten
Blick auf einen Berggipfel vom Plöckenpaß aus
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Seine Almfläche für Schafe liegt auf 1.400 bis 2.000 Metern, für Zäune sei der Hang zu steil, sagt er
Landschaft und Berge in Kärnten
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Selbst habe er noch keinen Wolf gesichtet, meint der Jäger, es sei aber nur eine Frage der Zeit, bis er einen sieht

Auf dem Plöckenpass zeigt Gressel seine 200 Hektar große Almfläche für Schafe, die seit knapp 500 Jahren in Familienbesitz ist und Platz für Hunderte Tiere bietet. „Der Boden ist felsig, der Hang zu steil“, sagt der Jäger, der vor wenigen Jahren für die ÖVP im Gemeinderat von Kötschach-Mauthen saß.

Es sei „absolut unmöglich“ in diesem Abschnitt einen Herdenschutzzaun aufzustellen. Allein für den Transport des Materials würde man einen Hubschrauber benötigen. „Nicht überall sind die Voraussetzungen für Herdenschutz gegeben“, meint Gressel, dort, wo er aber möglich ist, müsse er finanziell unterstützt werden.

In der Debatte über Wolfsmanagement fehlt es seiner Meinung nach zum Teil an einer realistischen Gangart. „Der Wolf ist da, wird sich vermehren und auch hierbleiben“, sagt er. Das Ziel könne jetzt nur noch „mit dem Wolf“ bedeuten, allerdings seien die Maßnahmen dafür nicht definiert worden. „Logischerweise wird man die Zahl der Wölfe im Rahmen halten müssen“, betont der Jäger. Selbst habe er noch keinen Wolf gesehen, und von Rissen sei seine Alm noch verschont geblieben. „Es wird passieren. Und dann werde ich schnell reagieren müssen.“

Mit Herdenschutzhund und Krainer Steinschafen

Dass mit Herdenschutzmaßnahmen die Gefahr von Rissen reduziert wird, haben schon mehrere Untersuchungen festgestellt. In einem 2019 erstellten Gutachten der Universität für Bodenkultur Wien heißt es gleichzeitig, dass insbesondere auf Hochalmen Zäune, die große Beutegreifer abhalten, „nur schwer bzw. nur mit hohem finanziellem Aufwand umsetzbar“ seien. „Viele sagen: ‚Ja, macht doch einfach den Herdenschutz.‘ In der Theorie klingt das alles einfach, aber in der Praxis bedeutet das viel Kraftanstrengungen und Bürokratie“, erzählt Landwirt Leopold Feichtinger.

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Drei Schafe hinter einem Zaun
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Die Krainer Steinschafe von Feichtinger sind im Tal und auf der Alm „hinter Gittern“
Landwirt Leopold Feichtinger
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„Ein entnommener Wolf ist keine Versicherung, dass meine Tiere geschützt sind“, sagt Feichtinger
Herdenschutzhund
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Deshalb hat sich der Quereinsteiger eine Herdenschutzhündin angeschafft, besser wäre ein Team, sagt Feichtinger

Der Biologe ist Quereinsteiger in der Landwirtschaft und züchtet heute mit den Krainer Steinschafen eine Nutztierrasse, die im Dreiländereck Kärnten, Slowenien und Friaul eine lange Tradition besitzen. Auch er setzt auf Herdenschutzmaßnahmen und wurde deshalb und wohl wegen seiner Vergangenheit bei der Umweltschutzorganisation WWF als „Wolfsfreund“ bezeichnet. „Ich kann dem Tier etwas abgewinnen. Aber als Schafbauer wäre ich ja ein Volltrottel, wenn ich meine Herde nicht gegen Wölfe schützen würde. Wenn 25 Schafe gerissen werden, kann ich zusperren.“

Vergangenen Sommer verbrachte ein Großteil seiner Schafe bei Huber auf der Kirchbacher Wipfelalm. Das habe super funktioniert, sagt der Landwirt, während eine Herdenschutzhündin über den Holzzaun blickt. „Die Tiere haben hier keine Tradition, weshalb vielen die Erfahrung mit den Tieren komplett fehlt“, so Feichtinger. Für den Herdenschutz seien die Hunde aber äußerst hilfreich: „Sie markieren ihr Revier, das schreckt Wölfe ab. Beim ersten Anzeichen von Gefahr bellt der Hund sehr laut. Und wenn es darauf ankommt, verteidigt das Tier die Herde gegen einen Wolfsangriff.“

Grafik zum Vorkommen von Wölfen in Europa
rewildingeurope.com

Einige Landwirte sehen Herdenschutzhunde skeptisch. Neben der Kostenfrage und Platzfrage im Winter besteht die Sorge, die großen Hunde könnten Wanderer, die der Herde zu nahe kommen, anfallen. „Die Tiere werden nicht ausgebildet, sondern sozialisiert“, entgegnet Feichtinger. Auch das habe man in Österreich bisher verschlafen bzw. ignoriert. Grundsätzlich müsse man alle möglichen Maßnahmen „konstruktiv und breit“ diskutieren. Am Ende sei es nämlich auch eine gesellschaftliche Entscheidung, ob man die Almbewirtschaftung auch in Zukunft noch haben möchte.

Wild und Wald

Schätzungen zufolge gibt es in Kontinentaleuropa bis zu 18.000 Wölfe, davon befinden sich 15.000 auf dem Gebiet der Europäischen Union. Im gesamten Alpenraum sollen sich zwischen 250 und 300 Wolfsrudel befinden, deutlich mehr als vor wenigen Jahren. Wie hoch die Zahlen in fünf, zehn oder 15 Jahren sein werden, ist zwar unklar. Geht man jedoch nach dem Trend der letzten Jahrzehnte, werde die Population in den Alpen „rasant“ wachsen, sagt Wildbiologe Michael Knollseisen.

Bekannt ist Knollseisen vor allem wegen seines Engagements bei der Wiederansiedlung von Bartgeiern in den Alpen. Doch auch mit Wölfen hatte der Bergbauer in der Vergangenheit zu tun. Vor gut 30 Jahren arbeitete er bei einem Wolfsprojekt in Italien, vor zwei Jahren ist er einem gegenübergestanden. Danach habe er sofort einen stärkeren Zaun bestellt. Gegen gezielte Abschüsse von Wölfen, die viele Nutztiere reißen, habe er nichts, aber nachhaltig sei die Lösung nicht.

Roman Kirnbauer, Wolfsbeauftrager Kärnten
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Roman Kirnbauer geht davon aus, dass er sich noch länger mit Wölfen beschäftigen wird

„Österreich hat so viel Wild und Wald wie noch nie, der Wolf ist die logische Konsequenz“, so Knollseisen. Für die heimischen Wälder könne die Wolfspräsenz von Vorteil sein, weil das Raubtier die Wildpopulation reguliere. Auf der Almwirtschaft laste dagegen noch mehr Druck. Landwirte benötigten finanzielle Hilfen, um ihre Tiere zu schützen. Allerdings müsse man sich darauf einstellen, dass es trotz Herdenschutz zu Rissen kommen wird. „Wölfe sind schlaue Tiere und passen sich gut an Situationen an“, sagt der Wildbiologe.

Ähnlich sieht es Kirnbauer. Kärnten sei auch ohne Wolf ein Land mit großen Beutegreifern gewesen. „In den Gegenden, wo heute ein Wolf auftaucht, wünschen sich viele den Bären zurück“, sagt der Wolfsbeauftragte. Gleichzeitig müsse man auch bei Falschmeldungen, die im Internet kursieren, vorsichtig sein. „Der Wolf ist ein Spitzenprädator, und bei Begegnungen mit dem Tier ist Vorsicht und richtiges Verhalten geboten. Derzeit gibt es keine Hinweise auf aggressives Verhalten gegenüber dem Menschen, wobei sich Wölfe durchaus Gehöften und Viehställen genähert haben.“