Der Hauptangeklagte im Wirecard-Prozess, Markus Braun, in München vor Gericht
APA/dpa/Angelika Warmuth
Wirecard-Prozess

Braun baut Verteidigungslinie auf

Im Strafprozess um die milliardenschwere Pleite des Zahlungsabwicklers Wirecard hat der Hauptangeklagte Markus Braun seine Verteidigungslinie in seiner ersten Aussage vor Gericht aufgebaut. Die Betrugsvorwürfe der Anklage wies Braun in seinen auf mehrere Sitzungstage anberaumten Ausführungen vor dem Münchner Gericht am Montag zurück. Der ehemalige Wirecard-Chef widersprach damit dem Kronzeugen der Anklage.

Der Fall Wirecard ist einer der größten Skandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte. In den kommenden Tagen und Wochen muss sich Braun auf eindringliche Fragen des Gerichts einstellen. „Ich hatte keinerlei Kenntnisse von Fälschungen oder Veruntreuungen“, sagte der Österreicher Braun am Montag vor Gericht. „Ich habe mich auch mit niemandem zu einer Bande zusammengeschlossen“, so Braun am 13. Prozesstag in seiner ersten Stellungnahme zur Anklage seit Beginn des Verfahrens im Dezember.

Der seit Sommer 2020 in Untersuchungshaft sitzende Braun steht in dem Großprozess zusammen mit zwei anderen ehemaligen Wirecard-Führungskräften – dem ehemaligen Wirecard-Vertreter in Dubai, Oliver Bellenhaus, und dem Ex-Chefbuchhalter des Unternehmens, Stephan von Erffa – vor Gericht. Bellenhaus ist auch der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft. Diese wirft den drei Angeklagten und mehreren weiteren Beschuldigten gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Oliver Bellenhaus (Mitangeklagter und Kronzeuge) beim Betreten des Verhandlungssaals im Wirecard-Prozess
IMAGO/Sven Simon
Oliver Bellenhaus beim Betreten des Verhandlungssaals

„Ein echtes Schockerlebnis“

Brauns Verteidiger bestritten in dem Prozess die Vorwürfe. Das vermisste Geld soll ohne Brauns Wissen von Bellenhaus und anderen Kriminellen im Unternehmen auf die Seite geschafft worden sein. Unzweifelhafte schriftliche Beweise, die eine Mittäterschaft Brauns belegen, sind bisher nicht aufgetaucht.

Braun schilderte in seiner Aussage von Montag den Tag, als das Unternehmen finanziell zusammenbrach. Der Kollaps des einstigen DAX-Konzerns im Juni 2020 sei für ihn „ein echtes Schockerlebnis“ gewesen, so Braun. „Der 18.6. ist auch heute noch für mich ein Tag des tiefsten Bedauerns“ – der Tag, an dem der Wirecard-Vorstand einräumen musste, dass 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar waren.

„Tiefes Bedauern“ ausgesprochen

Der Milliardenbetrag war angeblich auf Treuhandkonten in den Philippinen verbucht und wird bis heute vermisst. Laut Anklage gab es diese Gelder nie. Es folgten die Insolvenz und für Braun die Untersuchungshaft. Braun verlor auch nahezu sein gesamtes Vermögen, das er zum allergrößten Teil in Wirecard-Aktien angelegt hatte. „Tiefes Bedauern“ sprach Braun in seiner Aussage am Montag auch Aktionären und seinen ehemaligen Mitarbeitern in dem mittlerweile vom Insolvenzverwalter weitgehend abgewickelten Unternehmen aus.

Der Wirtschaftsinformatiker Braun arbeitete seit Anfang der 2000er Jahre bei Wirecard. Das damals noch kleine Unternehmen verdiente nach Brauns Worten sein Geld hauptsächlich mit Kommissionsgebühren bei der Abwicklung von Kreditkartenzahlungen im Internet für „Adult“ – zu Deutsch Pornografie – und Spiel.

Markus Braun (Wirecard) 2019
IMAGO/Sven Simon
Wirecard-Chef Markus Braun 2019

Anklage: Milliardenumsätze erfunden

Braun wandelte Wirecard in einen börsennotierten Konzern um, Höhepunkt des kometenhaften Aufstiegs als deutsches Technologiewunder war 2018 die Aufnahme in die DAX-Oberliga der Frankfurter Börse. Dort war Wirecard zeitweise über 20 Milliarden Euro wert und Braun als größter Aktionär steinreich geworden.

Doch laut Anklage beruhte das auf Lug und Trug. Die Münchner Staatsanwaltschaft wirft Braun, seinen zwei Mitangeklagten und mehreren weiteren Beschuldigten gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Sie sollen Umsätze in Milliardenhöhe erfunden, die Bilanzen gefälscht und die Kreditgeber des Unternehmens um über drei Milliarden Euro geprellt haben.

Sitz der Wirecard-Zentrale in Aschheim Dornach und der Suchmeldung von Jan Marsalek der Polizei (Fotomontage)
IMAGO/Frank Hoermann/Sven Simon (Montage)
Der seit 2020 untergetauchte Jan Marsalek ist zur Fahndung ausgeschrieben

Braun: Keine bewusste Marktmanipulation gemacht

Die erfundenen Gewinne seien als Erlöse von „Drittpartnern“ verbucht worden. Diese wickelten im Wirecard-Auftrag Zahlungen in Ländern ab, in denen der deutsche Konzern selbst keine entsprechende Lizenz hatte. Der allergrößte Teil dieser Geschäfte soll eben laut Anklage frei erfunden gewesen sein, ohne Scheingeschäfte hätte Wirecard laut Anklage Verluste geschrieben. Die britische „Financial Times“ hatte die Bilanzmanipulationen in jahrelanger Recherche aufgedeckt.

Braun selbst will in seiner Aussage von Montag von den Scheingeschäften nichts mitbekommen haben. Er sei von einem vollständigen digitalen Geschäft, von vollständig existierenden Treuhandkonten und darauf existierenden Geldern ausgegangen, sagte er. Er habe auch keine bewusste Marktmanipulation an der Börse gemacht. Bei der am 22. April 2020 veröffentlichten Ad-hoc-Mitteilung, in der Wirecard Belege für Bilanzmanipulationen bestritt, sei er davon ausgegangen, dass der Inhalt „im Rahmen des rechtskonformen Ermessensspielraums des Vorstands war“.

Marsalek weiter untergetaucht

Braun bestritt keineswegs, dass es Kriminelle im Unternehmen gab. Braun ging in seiner Stellungnahme zunächst nicht darauf ein, wer die Täter gewesen sind, wer die Wirecard-Bande geführt haben könnte. Er ahnte nach eigenen Worten nichts von den Manipulationen. Er sei davon ausgegangen, dass sowohl das Drittpartnergeschäft als auch die Erlöse daraus „voll existent“ gewesen seien. „Ich hatte keine Kenntnis, dass diese Gelder veruntreut wurden.“

Eine Schlüsselrolle bei Wirecard spielte der seit 2020 untergetauchte Vertriebschef Jan Marsalek, ebenfalls ein Österreicher, so viel wurde bereits zu Beginn aus Brauns Ausführungen laut dpa, die den Prozess verfolgt, deutlich. „In der gesamten Gruppe waren viele talentierte junge Menschen, aber Marsalek ist wirklich herausgestochen“, so Braun. „Gefühlt war Marsalek damals ein Glücksgriff.“ Sie hätten Anfang der 2000er ein enges, freundschaftliches Verhältnis gehabt.

Weder mit Marsalek noch mit Bellenhaus habe er aber irgendeine Form von Bande geschlossen, sagte Braun. „Diesen inneren Kreis gab es nicht“. Er selbst habe erst kurz vor dem Kollaps des Unternehmens im Juni 2020 gemerkt, „dass es richtig eng ist“. Braun belastete allerdings auch Marsalek. Die Vorwürfe gegen Wirecard hätten den Zuständigkeitsbereich von Marsalek betroffen.

Schwere Anschuldigungen durch Kronzeugen

In dem Prozess steht Angeklagter gegen Angeklagten, da Bellenhaus eben als Kronzeuge auftritt. Er hatte Braun im bisherigen Prozessverlauf schwer beschuldigt. Bellenhaus zufolge war Braun ein alles dominierender Chef, der in den Milliardenbetrug voll eingebunden war und alles wusste.

Brauns Verteidiger hatten den Kronzeugen Bellenhaus nach dessen Aussage als „professionellen Lügner“ bezeichnet, der an Braun vorbei dreistellige Millionenbeträge veruntreut haben soll. Braun warf nun am Montag in seinem Statement Bellenhaus vor, in dem Verfahren falsche Aussagen gemacht zu haben. Der Prozess läuft seit Dezember. Ein Urteil ist aber noch lange nicht in Sicht, das Wirecard-Verfahren steht noch an seinem Beginn.