Eine Frau sitzt auf Trümmern in Kahramanmaras
Reuters/Nir Elias
Drei Menschen noch gerettet

Hoffnung auf Überlebende schwindet

Mehr als eine Woche nach den verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist die Hoffnung gering, weitere Überlebende zu finden. „Die Rettungsphase, bei der Menschen lebend aus den Trümmern gezogen (…) werden, neigt sich dem Ende zu“, sagte UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths am Montag in Aleppo. Acht Tage nach dem verheerenden Erdbeben gab es am Dienstag laut türkischen Medienberichten noch mehrere Bergungen lebender Menschen aus den Trümmern.

In der Provinz Kahramanmaras in der Türkei hätten Helfer am Dienstagmorgen zwei 17 und 21 Jahre alte Brüder gerettet, berichteten die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu und der Sender CNN Türk. Sie seien 198 Stunden unter den Trümmern gelegen. In der Provinz Adiyaman sei ein 18-Jähriger, der ebenfalls 198 Stunden verschüttet war, gerettet worden.

In der Provinz Hatay wurde Anadolu zufolge eine 26 Jahre alte Frau nach 201 Stunden unter den Trümmern lebend gerettet. Unabhängig überprüfen ließen sich die Angaben nicht. Helfer hatten auch am Montag noch einzelne lebende Verschüttete gerettet, hieß es weiter.

Überlebende, die jetzt noch gefunden werden, müssen Zugang zu Flüssigkeit gehabt haben – etwa zu Regenwasser, Schnee oder anderen Quellen. Normalerweise kann ein Mensch etwa 72 Stunden, also drei Tage, ohne Wasser auskommen, danach wird es lebensbedrohlich. Dieser Zeitraum ist bereits weit überschritten.

Zerstörtes Haus in Kahramanmaras
Reuters/Nir Elias
Zerstörtes Haus in der türkischen Provinz Kahramanmaras

Tausende werden weiter vermisst

Die Zahl der bestätigten Toten lag bis Dienstagfrüh bei mehr als 37.500, mehr als 80.000 Menschen wurden verletzt. Tausende werden weiter vermisst. Unzählige Gebäude und Teile der Infrastruktur wurden zerstört. Ein Bericht des türkischen Unternehmens- und Geschäftsverbands Türkonfed schätzt den Schaden nach den Beben auf etwa 84 Milliarden Dollar (rund 79 Milliarden Euro).

Das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) warnte unterdessen vor der katastrophalen Lage für Millionen Kinder, die dringend humanitäre Hilfe brauchen. Die Gesamtzahl der betroffenen Buben und Mädchen bleibe unklar, jedoch leben laut UNICEF in den zehn von den Erdbeben betroffenen Provinzen der Türkei 4,6 Millionen Kinder. In Syrien sind mehr als 2,5 Millionen Kinder betroffen.

Rettungskräfte in Hatay
Reuters/Clodagh Kilcoyne
Rettungskräfte in der Provinz Hatay in der Türkei

„Leichengeruch wird stärker“

Die Situation in den Krisengebieten bleibt weiter schwierig. „Das Leid der Menschen ist unbeschreiblich“, berichtete der Koordinator für Humanitäre Hilfe von Hilfswerk International, Heinz Wegerer, am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Er kehrte erst am Montag aus der Türkei nach Österreich zurück. „Der Leichengeruch wird immer stärker“, sagte der Nothelfer. Die österreichische Organisation Hilfswerk International leistet in der schwer betroffenen Provinz Hatay Nothilfe.

Wegerer war seit Donnerstag in der türkischen Küstenstadt Iskenderun tätig. „Was ich dort gesehen habe, was ich dort miterlebt habe, ist schwer oder gar nicht in Worte zu fassen“, berichtete er betroffen bei einer Pressekonferenz in Wien. Der erfahrene Helfer war bereits im Jemen, dem Irak und auch der Ostukraine im Einsatz. Die verzweifelte Situation der Bevölkerung im Erdbebengebiet gehe ihm sehr nahe.

In Iskenderun gebe es beispielsweise „vier parallele Straßenzüge, wo links und rechts sämtliche Gebäude zerstört sind“, erzählte Wegerer. Nach wie vor liegen zahlreiche Vermisste unter den Trümmern, „vor den zerstörten Gebäuden sitzen Menschen und harren seit vergangenem Montag aus, sie hoffen auf ein Wunder“, sagte er.

Syrien: Assad öffnet weitere Grenzübergänge

Zur Verbesserung der humanitären Hilfe in schwer zugänglichen Erdbebengebieten Syriens erklärte sich Machthaber Baschar al-Assad bereit, zwei weitere Grenzübergänge zur Türkei öffnen. Bab al-Salam und al-Rai sollten für drei Monate geöffnet werden, berichtete der UNO-Nothilfekoordinator dem Sicherheitsrat am Montag mehreren Diplomaten zufolge.

Über Bab al-Salam konnte am Dienstag bereits ein Hilfskonvoi der UNO einreisen. Ein AFP-Korrespondent beobachtete den Konvoi beim Grenzübertritt von der Türkei nach Syrien.

Hilfsgüter werden in Aleppo abgeladen
Reuters/Firas Makdesi
Hilfsgüter werden in Aleppo in Syrien abgeladen

Zuvor konnten die Vereinten Nationen nur über einen Grenzübergang, den Übergang Bab al-Hawa, Hilfe in Gebiete liefern, die nicht von der Regierung kontrolliert werden. Der Nordwesten Syriens wird von verschiedenen Rebellengruppen kontrolliert.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres begrüßte die Entscheidung Assads. „Die Öffnung dieser Grenzübergänge – zusammen mit der Erleichterung des humanitären Zugangs, der Beschleunigung der Visagenehmigungen und der Erleichterung des Reisens zwischen den Drehkreuzen – wird es ermöglichen, dass mehr Hilfe schneller eintrifft.“

Erstmals wieder Flugzeug aus Saudi-Arabien gelandet

Der syrische Machthaber hofft auf internationale Hilfe beim Wiederaufbau des Landes. Assad habe in einem Gespräch mit Griffiths am Montag „die Bedeutung internationaler Bemühungen“ hinsichtlich der Hilfe bei der „Wiederherstellung der Infrastruktur in Syrien“ betont, hieß es in einer von der syrischen Präsidentschaft veröffentlichten Erklärung.

Wegen des verheerenden Erdbebens im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist in Syrien erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt ein Flugzeug aus Saudi-Arabien gelandet. Die Maschine brachte am Dienstag 35 Tonnen Lebensmittel für die Erdbebenopfer nach Aleppo, berichtete die staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA. Die Großstadt im Nordwesten Syriens steht unter der Kontrolle der Regierung in Damaskus. Die bisher letzte Landung hatte laut den Angaben im Februar 2012 stattgefunden. Für Mittwoch und Donnerstag sei die Landung von zwei weiteren saudi-arabischen Flugzeugen in Syrien geplant, sagte Suleiman Chalil, der für das Verkehrsministerium in Damaskus arbeitet, der AFP.

Eine Frau sitzt in einem zerstörten Haus in Aleppo
Reuters/Firas Makdesi
Ein zerstörtes Haus mit einer Familie in Aleppo

Regierung international geächtet

Die syrische Regierung unter Assad ist wegen des seit zwölf Jahren andauernden Bürgerkriegs international geächtet. Die Arabische Liga hatte Syriens Mitgliedschaft bereits 2011 ausgesetzt. Saudi-Arabien und mehrere weitere arabische Länder haben ihre diplomatischen Beziehungen zu Syrien abgebrochen.

Die Regierung in Riad, die zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs Rebellen unterstützt hatte, hat zugesagt, Hilfe für die Erdbebenopfer sowohl in Rebellengebiete als auch in von der Regierung in Damaskus kontrollierte Gebiete zu liefern. Am Samstag schickte Riad laut der saudi-arabischen Nachrichtenagentur SPA elf Lastwagen mit 104 Tonnen Lebensmitteln und Zeltplanen in Rebellengebiete im Nordwesten Syriens.

Grenzübergänge nach Syrien werden geöffnet

Am achten Tag nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei soll nun endlich auch im ebenso betroffenen Syrien mehr Hilfe ankommen. Über zwei weitere Grenzübergänge zur Türkei wird der Zugang erleichtert.

Erhebliche Absenkungen in Iskenderun

Am frühen Morgen des 6. Februar hatte das erste Beben der Stärke 7,8 das türkisch-syrische Grenzgebiet erschüttert, Stunden später folgte ein zweites Beben der Stärke 7,6. Seitdem gab es mehr als 2.400 Nachbeben. In der Türkei sind zehn Provinzen betroffen – dort gilt inzwischen ein dreimonatiger Ausnahmezustand. Mehr als hunderttausend Freiwillige reisten in die Erdbebenregion, um zu helfen. Einige von ihnen kehrten mittlerweile in ihre Heimat zurück.

Die schweren Beben haben nach Daten von Satelliten womöglich auch langfristige geologische Folgen. „In der (türkischen Anm.) Küstenstadt Iskenderun scheint es erhebliche Absenkungen gegeben zu haben, die zu Überschwemmungen geführt haben, während das Beben viele Hügel im ganzen Land einem ernsthaften Erdrutschrisiko ausgesetzt hat“, hieß es von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Der Sender NTV hatte in der vergangenen Woche berichtet, dass Gebäude in der türkischen Küstenstadt wegen überfluteter Straßen evakuiert werden musste.