Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon
Reuters/Russell Cheyne
Nach Sturgeons Rücktritt

Schottlands Unabhängigkeit in weiter Ferne

Nach acht Jahren ist die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon am Mittwoch überraschend zurückgetreten. Völlig offen ist, wer in ihre Fußstapfen treten könnte. Die meisten möglichen Bewerber und Bewerberinnen rangieren in den Umfragen weit hinten. Auch ihr großes Ziel, die schottische Unabhängigkeit, könnte nun in weite Ferne gerückt sein.

Am Donnerstag wollte das Exekutivkomitee von Sturgeons Schottischer Nationalpartei (SNP) einen Zeitplan festlegen. Mit einer Entscheidung über die Nachfolge wird frühestens Ende März gerechnet. Bis zur Kür des oder der Neuen will die beliebte Politikerin noch im Amt bleiben.

Das Gerangel um ihren Platz hat aber bereits begonnen. Parteinterne Konflikte könnten nun wieder stärker an die Oberfläche gelangen. Als mögliche Bewerber gelten SNP-Vize Keith Brown, Finanzministerin Kate Forbes, Gesundheitsminister Humza Yousaf, Verfassungsminister Angus Robertson und Vizeregierungschef John Swinney. Sie erreichen in den Umfragen allerdings nur einstellige Werte. Es werde schwer werden, Sturgeon zu folgen, so Meinungsforscher.

Auch nicht ganz ernst gemeinte Bewerbungsangebote tauchten auf. So twitterte etwa der schottische Tennisstar Andy Murray von einer „interessanten freien Stelle“. „Habe geplant, in die Politik zu gehen, wenn ich mit dem Spielen aufhöre“, schrieb er augenzwinkernd.

„Ohne Strategie zurückgelassen“

Kritik kam auch von einem ehemaligen Weggefährten Sturgeons. „Die Bewegung wurde ohne eine klare Strategie für die Unabhängigkeit zurückgelassen“, sagte Sturgeons Mentor und späterer politischer Rivale Alex Salmond. Sturgeon hatte gesagt, dass eine neue SNP-Führung die Unterstützung für die Unabhängigkeit erhöhen könnte. Sie plante die nächste Parlamentswahl in Großbritannien als De-facto-Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands abzuhalten.

Das löste aber innerhalb der SNP eine Kontroverse aus. Es sei eine Angelegenheit, die diskutiert werden müsse, hieß es von hochrangigen SNP-Parteivertretern, berichtete die BBC.

Alex Salmond
Reuters/ Andy Buchanan
Salmond war schottischer Regierungschef bis zum ersten Unabhängigkeitsreferendum 2014

Bevölkerung gespalten

Fraglich ist, wie es mit ihrem großen Ziel weitergeht. Der Kampf für die Unabhängigkeit Schottlands könne noch gewonnen werden, sagte Sturgeon bei ihrer Pressekonferenz am Mittwoch. Er befinde sich in der „finalen Phase“. Sie sei der „festen Überzeugung, dass die Unabhängigkeit in Schottland inzwischen mehrheitlich befürwortet wird“.

Sturgeon gibt Rücktritt bekannt

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon hat ihren Rücktritt bekanntgegeben. Die 52-Jährige hatte als erste Frau ihr Amt als „First Minister“ in Schottland seit 2014 ausgeübt. Auch wenn diese Entscheidung für viele überraschend und für manche zu früh komme, wisse sie „mit meinem Herzen und meinem Verstand, dass dies der richtige Zeitpunkt“ sei. Sie wolle als „First Minister“ und Chefin der Schottischen Nationalpartei (SNP) im Amt bleiben, bis ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin gefunden sei.

Die Stimmung sei aber gespalten, hieß es von Ipsos Scotland. Zuletzt sank die Zustimmung zur Unabhängigkeit wieder. Bereits Mittwochabend feierten Dutzende Anhänger und Anhängerinnen der Union mit dem Vereinigten Königreich Sturgeons Rückzug.

Londoner Veto für neues Referendum

Sturgeons Kampf um die Unabhängigkeit wurde zuletzt gebremst. Von London gab es ein Veto gegen ein neues, für Oktober 2023 geplantes Referendum über die Unabhängigkeit. Für das erneute Votum war Sturgeon mit der Argumentation eingetreten, dass sich eine deutliche Mehrheit der Schotten gegen den Brexit ausgesprochen hatte. Das erste Unabhängigkeitsreferendum 2014 war mit 55 zu 45 Prozent abgelehnt worden.

Zudem entschied der britische Oberste Gerichtshof im vergangenen Jahr, dass Schottland ohne Zustimmung des Londoner Parlaments kein Referendum abhalten dürfe. Sturgeon reagierte enttäuscht auf die Entscheidung, akzeptierte sie aber. Die Unabhängigkeit müsse auf legalem und demokratischem Wege erreicht werden, Sturgeon.

Labour könnte profitieren

Von dem entstandenen Vakuum und einem möglichen Führungsstreit der SNP könnte die Labour-Partei, größte Opposition im britischen Unterhaus, profitieren. Sie verlor in den vergangenen Jahren in Schottland viele Stimmen an die SNP mit ähnlichen sozialdemokratischen Positionen. Labour ist gegen die Unabhängigkeit Schottlands.

„Die SNP hat wie eine sehr kompetente Regierungspartei gewirkt“, sagte Anthony Wells, Leiter der europäischen Politik- und Sozialforschung beim Meinungsforschungsinstitut YouGov UK, gegenüber Reuters: „Wenn das nicht mehr der Fall ist, dann könnte sie das wirklich zurückwerfen und der Sache der schottischen Unabhängigkeit wirklich schaden.“