EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen
Reuters/Johanna Geron
EU-Parlament

Von der Leyen von eigener Fraktion blamiert

Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss eine Blamage im EU-Parlament einstecken. Eine Resolution, die den „grünen Industrieplan“ der Kommission stützt, wurde in Straßburg ausgerechnet von Parlamentariern der Europäischen Volkspartei (EVP) und damit der Parteienfamilie von der Leyens abgelehnt. Spekuliert wird, dass EVP-Chef Manfred Weber die deutsche Politikerin vor der Europawahl 2024 schwächen will.

Angenommen wurde die Resolution zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie dennoch – allerdings mit den Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion (S&D), der Fraktion der Grünen (EFA/European Free Alliance), der Liberalen von Renew Europe und einigen anderen (darunter auch einige EVP-Abgeordnete).

Dass ein Gros der konservativen Fraktion nicht mit von der Partie ist, irritierte manche Abgeordnete auch deshalb, weil die Konservativen maßgeblich an der Resolution mitgearbeitet hätten. Von der Leyen hatte den „Green Deal“-Industrieplan erst im Jänner präsentiert. Die EU fürchtet angesichts milliardenschwerer Staatshilfen in den USA und China um die heimische Wirtschaft.

„Ungeheuerliches Spektakel“

Die Tatsache, dass von der Leyen von ihren eigenen Fraktionskolleginnen und -kollegen torpediert wird, sorgte in Straßburg für Häme und Empörung. Die EVP wolle die „eigene Kommissionspräsidentin“ abschießen und mit der „Postfaschistin Georgia Meloni nach rechts rücken“, kritisierte die deutsche EU-Abgeordnete Alexandra Geese (Grüne) via Twitter.

Sie spielte auf die Annäherungen der EVP an Meloni an. Weber sei bereit, „den Einfluss Deutschlands in der EU zu opfern und die CDU zu beschädigen“, sagt sie auch.

Die liberale Parlamentarierin Valerie Hayer spricht von einer Niederlage für Weber und all jene auf der Rechten, die beim Versuch, von der Leyen auszuschalten, „unsere Industrien, unsere Arbeitsplätze und unsere Souveränität opfern wollten“, schrieb sie auf Twitter. „Die Europäer verdienen etwas Besseres als dieses ungeheuerliche Spektakel.“

Gemischte Signale

Die EVP sandte gemischte Signale. EVP-Chef Weber teilte in sozialen Netzwerken beinahe zeitgleich zur Abstimmung ein Foto, das ihn und von der Leyen beim Händeschütteln zeigt. „Unsere Mission geht weiter, zusammen, für die Menschen Europas und eine bessere Zukunft unserer Kinder“, heißt es dazu. Auf den ersten Blick scheint es wie ein Bekenntnis zur Kommissionspräsidentin.

EVP-Kollege Christian Ehler – ebenso ein deutscher Politiker – erklärte allerdings kurz nach der Abstimmung im Parlament, dass die EU ihre Industrie infolge des Subventionsstreits mit den USA – Stichwort: Inflation Reduction Act (IRA) – im Stich lasse.

Der „Green Deal“ werde nicht als „die versprochene Wachstumsstrategie“ umgesetzt, sondern als eine „auf dem Papier geplante ideologische Transformation ohne realistische Wahrnehmung der realen Welt“. Die Kommission müsse die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft ernst nehmen, betonte er schon davor.

Deutscher Zwist?

Die Haltung der EVP spiegle vor allem die deutsche Linie wider, schilderten im Vorfeld des Votums mehrere nicht namentlich erwähnte EVP-Parlamentarier gegenüber „Politico“. Andere Anhänger der Fraktion – etwa aus Spanien oder Portugal – seien dagegen gewesen, die Resolution zu torpedieren. Die deutsche Delegation gilt innerhalb der EVP immer noch als mächtigste.

Und in Deutschland reißt der Unmut über das vom EU-Parlament beschlossene Verbrenner-Aus ab 2035 nicht ab: Das Verbot schade „dem Industriestandort Bayern und den Beschäftigten der Autobranche“, monierte Markus Söder, Ministerpräsident Bayerns (CSU), via Twitter. Bayern, das Heimatbundesland von Weber und Ehler, beherbergt immerhin eine gewichtige Automobilindustrie. Auch Weber äußerte sich über das Verbrennerverbot verärgert.

Schielen auf Europawahl

Nicht zuletzt schielt die EVP unter deren Chef Weber schon auf die bevorstehende Europawahl 2024. Gerüchte darüber, wen die EVP als Spitzenkandidaten oder Spitzenkandidatin nominieren könnte, machen zunehmend die Runde. Ob von der Leyen bei der Wahl antreten wird, ließ sie bisher offen.

Berichten zufolge soll Weber ohnehin eine andere EU-Politikerin als Spitzenkandidatin im Auge haben: die derzeitige EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Weber „verwandelt die EVP bereits in eine Maschine für den Wahlkampf von Roberta Metsola“, sagte ein anonymer Abgeordneter „Politico“.

Wirbel um Bündnis mit Meloni-Fraktion

Derzeit ist die EVP in Kommission und Parlament noch mächtigste Fraktion. Um weiterhin einflussreich zu bleiben, betreibt die EVP aktuell eine Öffnung nach rechts. In der Fraktion liebäugeln einige mit einem Bündnis mit der Fraktion Europäische Konservative und Reformer (ECR), deren Vorsitzende die Postfaschistin Meloni ist.

Als Partei- und Fraktionschef habe er natürlich die Ambition, dass die EVP nach der Europawahl 2024 stärkste Kraft bleibe, sagte Weber den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er teile die Sorge, was die Geschichte von Melonis postfaschistischer Partei angehe.

Aber ganz grundsätzlich gebe es drei fundamentale Prinzipien in der EVP: pro Rechtsstaat, pro Europa, pro Ukraine – „Meloni ist bei Europa konstruktiv, steht an der Seite der Ukraine, und beim Rechtsstaat gibt es in Italien keine Probleme.“ Einigkeit herrscht unter den Konservativen in der Frage aber noch nicht.