Starlink-Satelliten im Weltraum
SpaceX
Krieg als Faktor

EU baut Starlink-Alternative auf

Schon bald will die EU ein eigenes Satellitensystem für verschlüsseltes Internet anbieten – für staatliche wie kommerzielle Zwecke. Bis zu 170 Satelliten sollen in den kommenden vier Jahren ins All geschickt werden. Ziel ist es, die Autonomie der Union im Weltraum zu stärken und von privaten Diensten wie Starlink und Co. unabhängig zu werden. Wie wichtig das ist, machte zuletzt auch der Ukraine-Krieg deutlich.

„Europa als Weltraummacht, Wirtschaftsmacht und bald auch Verteidigungsmacht kann es sich nicht erlauben, von anderen abhängig zu sein“, sagte EU-Industriekommissar Thierry Breton in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem liberalen Politiker Christophe Grudler. Die beiden freuten sich über das „historische“ Ergebnis im EU-Parlament, wo die Pläne für den neuen Satellitendienst kürzlich grünes Licht erhalten hatten. Gegenstimmen gab es kaum.

Die Bedeutung der Unabhängigkeit auf dem Gebiet der Konnektivität zeige sich in der Ukraine, hoben sie hervor. Sie spielen dabei auf die Rolle des US-Satellitendienstes Starlink des Milliardärs Elon Musk an. Militär und Bevölkerung der Ukraine benötigen Starlink, um infolge russischer Angriffe weiterhin miteinander kommunizieren zu können. Sie sind damit vom guten Willen des Unternehmens abhängig – und Musk ist bekannt dafür, sprunghaft zu agieren.

EU-Bekenntnis zur Unabhängigkeit

Kürzlich kündigte Branchenprimus SpaceX etwa an, die militärische Nutzung seiner Starlink-Terminals durch das ukrainische Heer einzuschränken. Die Ukraine würde Starlink nun zur Steuerung von Drohnen nutzen, was SpaceX ablehnt. Im Herbst wollte Musk zwischenzeitlich auch die Kosten für Starlink-Terminals in der Ukraine nicht mehr tragen, schwenkte dann aber um. Finanziert wird der Dienst von westlichen Staaten und der Ukraine selbst.

„Es wird kein fremdes Land und kein anderes Unternehmen geben, das unsere Nutzungsmöglichkeiten kontrollieren wird“, hielt Grudler hinsichtlich der europäischen Bestrebungen fest. Die EU meint es ernst, wurden die Pläne doch überhaupt erst vor weniger als einem Jahr erstmals präsentiert.

Elon Musk
Reuters/Jonathan Ernst
Die EU will von privaten Anbietern – etwa Elon Musks Raumfahrtunternehmen SpaceX – unabhängig sein

Was IRIS2 können soll

Das in Windeseile geplante System der EU firmiert unter dem Namen IRIS2 – also „Infrastruktur für Resilienz, Interkonnektivität und Sicherheit per Satellit“. IRIS2 soll vor allem die Widerstandsfähigkeit der EU-Systeme – auch zum Schutz von kritischer Infrastruktur wie Energienetzen oder der Gesundheitsversorgung – sowie den Zugang zu schnellem Internet sichern.

Es sollen nicht nur in Europa Funklöcher beim Highspeed-Internet gestopft werden, sondern die Anbindung soll auch in strategischen Regionen wie Afrika und der Arktis ermöglicht werden. Die EU füge damit ihrer strategischen Weltrauminfrastruktur eine dritte Komponente hinzu – zum Satellitennavigationssystem Galileo und Kopernikus, welches zur Erdbeobachtung eingesetzt wird, betonte Grudler.

Kosten in Milliardenhöhe veranschlagt

Bis 2024 sollen die Arbeiten an der Boden- und Rauminfrastruktur abgeschlossen und staatliche Dienste verfügbar sein. Bis 2027 soll das System um kommerzielle Dienste erweitert werden. Sechs Milliarden Euro wurden für das Projekt eingeplant. Davon kommen 2,4 Milliarden aus dem EU-Weltraumprogramm und weiteren Fördertöpfen. Den größeren Betrag von rund 3,6 Mrd. Euro sollen private Unternehmen stemmen. Als europäische Konzernpartner könnten Arianespace, Eutelsat oder auch Thales Alenia Space dienen.

Zentrale Rolle bei der Entwicklung kommt freilich der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) zu. Europas unabhängiger Zugang zum Weltraum sei in Zeiten wie diesen entscheidend, um die „Vorteile zu sichern, die der Weltraum dem Leben auf der Erde bringt – einschließlich der Überwachung und Eindämmung des Klimawandels, sicherer Kommunikation und Navigation unter europäischer Kontrolle sowie schneller und belastbarer Reaktionen auf Krisen“, heißt es in einem Statement von ESA-Chef Josef Aschbacher.

Experte: „Sportlicher“ Zeitplan

Doch was ist mit dem Schlagwort Sicherheit gemeint? „Sicherheit meint in dem Kontext zweierlei“, erklärte Wilfried Gappmair, Professor am Institut für Kommunikationsnetze und Satellitenkommunikation der TU Graz, gegenüber ORF.at. Einerseits gehe es um die „Ausfallsicherheit“. Wenn etwa terrestrische (also erdgebundene) Infrastruktur im großen Maßstab beispielsweise durch Umweltkatastrophen oder Kriege ausfalle oder zerstört werde, dann könne auf Satelliteninfrastruktur zurückgegriffen werden.

„Der zweite Begriff von Sicherheit in dem Kontext ist Datensicherheit“, erklärte er weiter. „Da gibt es natürlich entsprechende Verfahren, kryptografische Verfahren.“ Das Ziel sei letzten Endes die „höchste Form der Datensicherheit“ – die Quantenkryptografie. Unter Quantenkryptografie wird die Verschlüsselung von Daten mit Hilfe von Quanteneffekten verstanden.

Die europäische Forschung hätte in dem Bereich einige Trümpfe im Ärmel, sagte der Experte auch mit Verweis auf die Forschung des österreichischen Quantenphysikers und Nobelpreisträgers Anton Zeilinger. Den Zeitplan zur Umsetzung des Systems bezeichnete der Experte als „sportlich, aber machbar“.

IRIS2 soll UFOs identifizieren können

Das System soll aber noch mehr leisten: Gegenüber ORF.at bestätigt die EU, dass mit dem Satellitengeflecht künftig auch unidentifizierte Flugobjekte festgestellt und identifiziert werden könnten. Das ist schon allein deshalb der Fall, weil Satellitenkommunikationsdienste ihre Umgebung beobachten müssen, um Störungen zu vermeiden. Seit die USA einen chinesischen Ballon sowie weitere mysteriöse Flugobjekte im Luftraum abgeschossen haben, steht das Thema Spionage im medialen Rampenlicht.

Infografik zum Satellitenorbit
ORF/Sandra Schober

Und wo konkret sollen sich die Satelliten befinden? Kurz: in eine niedrige Erdumlaufbahn (Low Earth Orbit, LEO). Das heißt in einem „Bereich von 500 bis 600 Kilometern“, wie Gappmair sagte. Anders als GEO-Satelliten, die sich in etwa 36.000 Kilometern Höhe befinden, brauchten LEO-Satelliten eine wesentlich geringere Sende- und Empfangsleistung zur Gewährleistung guter Qualität, so Gappmair weiter.

Weltraumschrott sorgt für Bedenken

Der Experte äußerte aber auch vorsichtige Bedenken: „Der Punkt ist der: Ich habe da diese Wolken, diese Megakonstellationen von Hunderten, wenn nicht Tausenden Satelliten. Die werden früher oder später zu Weltraumschrott“, sagte er und fragte zugleich: „Was mache ich damit? Ich vermülle dann sukzessive den erdnahen Weltraum, mit allen möglichen Folgen.“

Infografik zu den Schichten der Erdatmosphäre sowie Flugobjekten nach Flughöhe
ORF/Sandra Schober

Seitens der EU wurde betont, dass es „sehr strenge Umweltkriterien“ geben werde. IRIS2 soll nach den Worten des französischen Politikers Grudler ein „weltweites Beispiel dafür sein, was man im Weltraum bei Umweltschutz machen kann.“

Die Rede ist von einem „Gegenentwurf“ zu Megakonstellationen privater Unternehmen, die teils Tausende Satelliten im All kreisen lassen. Grudler versprach: „Wir werden Satelliten in unterschiedlichen Höhen haben, deswegen brauchen wir weniger Satelliten, und weniger Satelliten bedeutet auch weniger Weltraummüll.“