Robert Murray (Belshazzar), Schauspieler des MusikTheaters an der Wien, Arnold
Schoenberg Chor
Werner Kmetitsch
„Belshazzar“

Letzte Generation in Babylon

„The revolution will not be televised“, hieß es einmal, als noch der TV-Schirm den Ton angegeben hat. Wo heute ein Aufstand, da darf es mittlerweile keine Streaminglücke geben. Und so muss auch der alte Georg Friedrich Händel mit seinem Oratorium „Belshazzar“ über den Fall des gleichnamigen despotischen Babyloniers Bekanntschaft mit der neuen Zeit machen. Der Perserkönig Cyrus führt gegen den Despoten einen Klimaaufstand an – und tritt mit seiner Last Generation in das Feld eines Machtapparats, der jede Blähung seiner Herrschaft live an die Untertanen senden muss.

Bravo, Buh – und: „Wo ‚samma‘ denn“? Darf man aus einem Barockoratorium ein mehrstöckiges Videoprojektionsspektakel machen? Ja, ich darf, dachte sich die französische Regisseurin Marie Eve Signeyrole, die nach ihrem Sorbonne-Abschluss ihre Karriere an sehr freien Opernhäusern in den französischen Regionen machte – und Klassiker so angreift, dass sie mehr als nur einem eingefleischten Liebhaberpublikum gefallen mögen.

Das passt zur neuen Handschrift des Theaters an der Wien im MuseumsQuartier, ist hier doch eine Bühne in einem besonderen Format zu bespielen: die Bühne sehr breit und der Zuschauerraum sehr tief. Wer hier filigran arbeiten will, was man ja gerade bei einer Barockoper musikalisch, darf, soll und muss, will bei der dramaturgischen Umsetzung wohl alle Bauchfleckgefahren umschiffen. Zumal es hier noch dazu um die Kampffrage der Wasserversorgung für die Welt gehen sollte.

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Robert Murray (Belshazzar), Schauspieler des MusikTheaters an der Wien, Arnold
Schoenberg Chor
Werner Kmetitsch
Die nicht zuletzt mediale Verteidigung der absoluten Macht: Robert Murray (Belshazzar), Schauspieler des MusikTheaters an der Wien, Arnold Schoenberg Chor
Robert Murray (Belshazzar), Schauspieler des MusikTheaters an der Wien
Werner Kmetitsch
Belshazzar und die Einsamkeit der Macht
Vivica Genaux (Cyrus), Eva Zaïcik, Arnold Schoenberg Chor
Werner Kmetitsch
Vivica Genaux (Cyrus) und der Aufstand aus der Ökokrise heraus
Robert Murray (Belshazzar), Schauspieler des MusikTheaters an der Wien, Arnold
Schoenberg Chor
Werner Kmetitsch
Endspiel am Badewannenrand: Der Ödipus kann die Mama nicht verstehen
Jeanine de Bique (Nitocris), Robert Murray (Belshazzar)
Werner Kmetitsch
Jeanine de Bique als Nitocris ist der Star des Abends: Die Mutter kann den Sohn nicht milde stimmen

Eine Herrschaft als Ökozid

Signeyrole liest die Herrschaft des babylonischen Despoten Belshazzar als Ökozid: Der Herrscher hat alle Quellen des vorderen Orients unter seine Herrschaft gebracht und regiert mit einer perfiden und nicht sehr nachhaltigen Form der Wasserkraft. Schon im Mythos ist ja angedeutet, dass der Perser Cyrus mit seinem Lager vor Babylon auf dem Trockenen liegt. Und dieses Indiz macht die Regie zum großen Stück über den Wasserverteilungskampf.

Mitten drinnen der Prophet Daniel, der hier ebenso wie Cyrus von einer Frau personifiziert ist. Und so sind es drei Frauen, die zu Beginn zu einer Art göttlichem Bund für mehr Menschlichkeit finden (es ist eben eine Barockoper – und Nachhaltigkeit nur unter einem sehr hohen Stern denkbar). Die dritte Frau im Bunde für das Gute und die Befreiung ist die Mutter des Belshazzar, Nitocris, die vergeblich versucht, ihren selbstsüchtigen und brutalen Sohn auf die Spur der Tugend zu führen.

Händel-Oratorium auf Opernbühne

Gestern Abend hatte Georg Friedrich Händels „Belshazzar“, die biblische Geschichte über einen machtbesessenen Despoten, Premiere im Musiktheater an der Wien.

Keine Einsicht in neue Zeiten

Die versklavten Jüdinnen und Juden rund um Daniel/Daniela sind hier nicht nur ein Volk. Sie sind auch die auserwählten Biotechnologinnen und -technologen, die aus den Bäumen den Saft des Lebens zu ziehen wissen – und das Gleichgewicht zwischen Himmel und Welt auch über die Prophetie, man könnte fast sagen, die Gabe der eigenen Weissagung, innehaben.

Eigentlich ist also die Herrschaft des Belshazzar abgelaufen – doch wie in der Gegenwart dauert es so seine Zeit, bis diese Erkenntnis beim König ankommt, der sich in den Schaumbadewannen der Macht räkelt und an jeder Ecke die kostbarsten Ressourcen verschwendet.

Über drei Akte zieht sich der Endkampf des Despoten hin. Von jeder Ecke wird seine Macht angezapft. Und andauernd schauen Videokameras zu und zeigen auf verschiedenen Projektionsflächen einer dauernd auf- und zugehenden Bühne die Selbstbespiegelung der Macht. Ein Schelm und eine Schelmin, wer hier an die Gegenwart denkt. Doch so fern von den Aktanten einer sehr bekannten Welt ist man nicht weg.

Hinweis

„Belshazzar“ ist noch bis 2. März im MusikTheater an der Wien im MuseumsQuartier zu erleben.

Ein Mutter-Sohn-Drama

In den Aufstand gegen den ungerechten Verbrauch der Ressourcen schiebt die Regisseurin aber das Drama zwischen Mutter und Sohn, das auf der Seite des Sohnes nicht frei von ödipalen Ausritten ist. Jeannine de Blique ist die gefeierte Heldin des Abends, die brillant wie einfühlsam die Rolle der Mutter meistert. Vivica Genaux ist als Cyrus eine Anführerin der Revolte, die sich mitunter fast ein bisschen zu viel zurücknimmt – wohl aber auch als Trägerin eines Kollektivs erscheinen soll.

Stark und brillant ist Eva Zaicik als Daniel, die gerade auf die musikalischen Wiederholungsmomente bei Händel einen tiefen, fast schwermütigen sängerischen Ausdruck bringt. Robert Murry als Belshazzar ist als Native dem Text am nächsten. Seine Performance ist nicht nur sängerisch, sondern auch in der ganzen Modellierung der Person des Ekelherrschers ein Erlebnis und verhindert, dass diese Oper nicht in der Elegie der Reflexionen untergeht.

Musikalisch ist die Umsetzung ein Hochgenuss. Christine Pluhar leitet das L’Arpeggiata-Ensemble mit Leidenschaft, Erfahrung und eben Kennerinnenschaft für das Material. Der Arnold Schoenberg Chor ist wie so oft eine Klasse für sich. Ohne diese Sängerinnen und Sänger, die auch darstellerisch ihre Wandlungsfähigkeit und -lust zelebrieren, würde man dieser Oper ihr Revolutionspotenzial schwer abnehmen – egal ob mit oder ohne Streaming.