der russische Präsident Wladimir Putin
Reuters/Sputnik
Atomwaffen

Putin kündigt New-START-Aussetzung an

Der russische Präsident Wladimir Putin hat in seiner Rede zur Lage der Nation ein Aussetzen des letzten großen Atomwaffen-Abrüstungsvertrags mit dem Westen (New START) angekündigt – auch wenn das Außenministerium in Moskau später betonte, dass Russland sich bis zum Ende der Laufzeit 2026 daran halten wolle. Auch sonst schoss sich Putin in seiner im TV gesendeten Ansprache vor den Vertretern der Föderalen Versammlung bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat verbal auf den Westen ein.

Der Westen sei schuld am Ukraine-Krieg, so Putin in mehrfachen Ausführungen. In Sachen New START sagte Putin, es handle sich nicht um einen Ausstieg, sondern um ein Aussetzen des New-START-Vertrags. Die russischen Behörden rief er auf, sich für „Atomwaffentests“ bereitzuhalten, falls Washington solche Tests zuerst ausführen sollte.

Putin warf den USA ein „Theater des Absurden“ vor – mit Blick darauf, dass Washington unlängst Moskau beschuldigt hatte, keine Experten zur Inspektion der atomaren Verteidigungsanlagen ins Land zu lassen. Wenn in Zeiten solcher Spannungen jemand im Westen ernsthaft erwarte, dass Russland diesen Zugang gewähre, sei das „Blödsinn“, so Putin. Zugleich bekräftigte er, dass Russland den US-Experten den Zugang nicht gewähre, weil auch russische Inspektoren angesichts westlicher Sanktionen keine Möglichkeit zur Einreise in die USA hätten.

Vladimir Putin
IMAGO/SNA
Putin bei seiner Rede im Veranstaltungszentrum Gostiny Dwor in Moskau

Putin gibt GB und Frankreich Schuld

Die Aussetzung von New START begründete Putin vor allem damit, dass etwa Frankreich und Großbritannien ihre Atomwaffenarsenale weiterentwickelten und die Nuklearpotenziale gegen Russland ausrichten würden. Putin wertete auch Äußerungen der NATO zu New START als Einmischung und Grund, den Vertrag zu überdenken.

Außenministerium: Halten uns vorerst an New START

Etwas anders klangen die Ausführungen des Außenministeriums Stunden nach Putins Rede. Russland werde sich demnach trotz der von Putin angekündigten Entscheidung zur Aussetzung weiterhin an die Begrenzung seines Atomwaffenarsenals im Rahmen des Abrüstungsabkommens halten. „Russland will einen verantwortungsvollen Ansatz beibehalten und wird sich während der Laufzeit des Vertrags weiterhin strikt an die quantitativen Begrenzungen für strategische Offensivwaffen halten“, wurde in Moskau erklärt.

Der Abrüstungsvertrag ist das einzige noch verbliebene große Abkommen zur Rüstungskontrolle zwischen den USA und Russland. Der Vertrag begrenzt die Atomwaffenarsenale beider Länder auf je 800 Trägersysteme und je 1.550 einsatzbereite Sprengköpfe. Zudem ist geregelt, dass Washington und Moskau Informationen über ihre strategischen Atomwaffenarsenale austauschen und bis zu 18 Verifikationsbesuche pro Jahr abhalten dürfen.

Grafik zu Abrüstungsverträgen USA – Russland
Grafik: APA/ORF; Quelle: FAS

Die NATO warf Russland zuletzt einen Bruch des Vertrags vor. Die Weigerung Russlands, Inspektionen der USA auf seinem Hoheitsgebiet zu ermöglichen, untergrabe die Zukunft des Vertrags, hieß es aus Brüssel Anfang Februar. Moskau wiederum wies diese Vorwürfe bereits damals zurück und schob die Schuld den USA zu.

Blick vom Rednerpult auf die Zuschauer
APA/AFP/Sputnik/Mikhail Metzel
Ein Blick aus der Perspektive Putins am Redenpult ins Publikum

Blinken: Unverantwortlich

US-Außenminister Antony Blinken kritisierte die russische Ankündigung scharf. „Die Ankündigung Russlands, seine Teilnahme an New START auszusetzen, ist äußerst bedauerlich und unverantwortlich“, sagte Blinken laut einer vom Außenministerium veröffentlichten Mitschrift am Dienstag in Athen. „Wir werden genau beobachten, was Russland tatsächlich tut“, fügte er hinzu.

Die USA würden in jedem Fall dafür sorgen, dass die eigene Sicherheit und die der Verbündeten gewährleistet sei. Der Abrüstungsvertrag sei zu Beginn der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden verlängert worden, weil er eindeutig im Sicherheitsinteresse der USA und Russlands gelegen sei. „Und das unterstreicht nur, wie unverantwortlich diese Aktion ist“, sagte Blinken. Trotzdem seien die USA weiterhin bereit, „jederzeit mit Russland über strategische Rüstungsbegrenzungen zu sprechen, unabhängig von allen anderen Ereignissen in der Welt oder in unseren Beziehungen“.

NATO „zunehmend besorgt“

Die NATO rief Putin zur Achtung von New START auf. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg appellierte am Dienstag in Brüssel an Putin, „seine Entscheidung zu überdenken und geltende Verträge zu achten“. Zugleich wies Stoltenberg den Vorwurf Putins zurück, der Westen wolle Russland „erledigen“: „Niemand greift Russland an, Russland ist der Aggressor“, betonte Stoltenberg bei dem gemeinsamen Auftritt mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba und EU-Chefdiplomat Josep Borrell in Brüssel.

Putin habe in seiner Rede klargemacht, dass er „einen fortgesetzten Krieg vorbereitet“, sagte der NATO-Generalsekretär. „Wir sind zunehmend besorgt, dass China planen könnte, tödliche Unterstützung für Russlands Krieg zu liefern“, sagte Stoltenberg weiter. US-Außenminister Antony Blinken hatte Peking solche Pläne vorgeworfen.

Putin kündigt Aussetzung des letzten Abrüstungsvertrags an

Russlands Präsident Wladimir Putin hat in seiner Rede zur Lage der Nation dem Westen die Schuld an dem Krieg gegeben. Russland versuche lediglich, die Kämpfe zu beenden, so Putin in seiner Ansprache. Zudem kündigte Putin an, den letzten großen atomaren Abrüstungsvertrag mit den USA auszusetzen.

Putin: „Militärische Spezialoperation“ wird fortgesetzt

„Sie haben den Krieg losgetreten“, sagte Putin mit Blick auf westliche Staaten. Russland versuche lediglich, die Kämpfe zu beenden, behauptete Putin. Erneut sagte der Kreml-Chef in seiner Rede im Veranstaltungszentrum Gostiny Dwor in Moskau, in der Ukraine sei ein „Neonazi-Regime“ an der Macht, ohne das näher zu begründen. Die „militärische Spezialoperation“, als die Moskau den Krieg bezeichnet, werde fortgesetzt. „Schritt für Schritt, sorgfältig und konsequent werden wir die vor uns liegenden Aufgaben lösen“, sagte der 70-Jährige.

Russland habe sich bemüht, das Problem im Donbas friedlich zu lösen, so der Kreml-Chef. Aber der Westen habe ein anderes Szenario vorbereitet, so Putin weiter. „Sie haben den Krieg begonnen. Wir haben alles getan, um ihn zu stoppen.“ Die USA seien einseitig aus Verträgen ausgestiegen. Schon vor Beginn des „militärischen Sondereinsatzes“ in der Ukraine habe die Regierung in Kiew mit dem Westen über Waffenlieferungen gesprochen, so Putin ohne nähere Erläuterung. Der Westen habe in zynischer Weise die eigene Bevölkerung betrogen.

ORF-Analysen zu Putins Vorwürfen

Die ORF-Korrespondentin Miriam Beller in Moskau und der ORF-Korrespondent Ernst Gelegs in Warschau erläutern die Reaktionen zu Putins Rede zur Lage der Nation und den Vorwürfen an den Westen, den Ukraine-Krieg begonnen zu haben.

„Unmöglich auf dem Schlachtfeld zu besiegen“

Am Freitag, 24. Februar, wird es ein Jahr her sein, dass Russland offiziell den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat. Putins Auftritt war seine 18. Rede zur Lage der Nation. Die vorherige ist knapp zwei Jahre her und fand im April 2021 statt. Im vergangenen Jahr gab es keine; der Kreml-Chef hatte das mit einer sehr hohen „Dynamik der Ereignisse“ erklärt.

Nach den Worten Putins steht die Existenz Russlands auf dem Spiel. Der Westen versuche, einen lokalen Konflikt in einen globalen zu verwandeln, sagte er vor dem Parlament. „Es ist unmöglich, unser Land auf dem Schlachtfeld zu besiegen“, so Putin weiter. Er zeigte sich überzeugt, dass die Mehrheit der russischen Bevölkerung das Vorgehen der Regierung bei der „Verteidigung des Donbas“ unterstütze. „Ich möchte den russischen Menschen für die Entschlossenheit und den Mut danken.“

Putin kündigte auch eine Modernisierung der russischen Armee an. „Der Ausstattungsgrad der nuklearen Abschreckungskräfte Russlands mit neuesten Systemen beträgt jetzt 91,3 Prozent“, so Putin. „Nun – unter Berücksichtigung unserer gesammelten Erfahrungen – müssen wir ein solch hohes Qualitätsniveau in allen Teilen der Streitkräfte erreichen“, fügte er hinzu.

Kampf für die „Zukunft“

Putin wirft dem Westen auch vor, nach „grenzenloser Macht“ zu streben. „Die Geldflüsse aus dem Westen in den Krieg nehmen nicht ab“, sagte er. Für den Westen stünden Billionen Dollar auf dem Spiel. Die westlichen Länder hätten schon vor langer Zeit begonnen, die Ukraine zu einer Art „Anti-Russland“ zu machen. „Der Westen hat den Geist aus der Flasche gelassen“, sagte Putin. „Die Verantwortung für die Eskalation in der Ukraine liegt bei den westlichen Eliten.“

Russlands Truppen in der Ukraine kämpfen nach den Worten Putins für die Zukunft und für die Wiederherstellung der historischen Gerechtigkeit. „Wir werden alles dafür tun, damit der Frieden wieder in unser Land einkehrt.“ Es sei die Pflicht des Staates, die Familien zu unterstützen, die Angehörige im Krieg verloren haben. Den Familien gefallener Soldaten und Kriegsveteranen versprach Putin finanzielle Unterstützung und kündigte zu diesem Zweck einen staatlichen Sonderfonds an.

In den „neuen Gebieten“ werde es mehr soziale Hilfsprogramme geben, sagte Putin mit Blick auf die annektierten vier ukrainischen Regionen. Diese Gebiete hätten die Wahl getroffen, bei Russland zu sein – trotz der Drohungen von „Nazis“. Putin bezeichnete damit wie bereits oft zuvor die ukrainische Führung.

„Der Westen hat unser Gold gestohlen“

Die russische Wirtschaft hat sich nach Darstellung Putins als weitaus stärker erwiesen als vom Westen erwartet. „Der Westen bekämpft uns an der Wirtschaftsfront“, sagte er weiter. Er werde aber keinen Erfolg haben. Der Westen habe Preiserhöhungen und Arbeitsplatzverluste provoziert, er habe Sanktionen verhängt, um das russische Volk leiden zu lassen. „Solche Humanisten sind das“, sagte Putin. „Sie wollen das Volk zum Leiden bringen, um so unsere Gesellschaft zu destabilisieren. Aber ihre Rechnung ist nicht aufgegangen“, sagte Putin weiter.

„Der Westen hat unser Gold und unsere Devisenreserven gestohlen“, sagte Putin mit Blick auf die westlichen Sanktionen: „Aber ihre Rechnung ist nicht aufgegangen. Die russische Wirtschaft und das Management haben sich als viel stärker erwiesen, als sie dachten.“

Zusammenarbeit „mit anderen Ländern“

Russland hat laut Putin alle finanziellen Ressourcen, die es benötigt, um trotz der westlichen Wirtschaftssanktionen seine nationale Sicherheit und Entwicklung zu gewährleisten. 2022 sei die russische Wirtschaft um 2,1 Prozent geschrumpft, so Putin weiter. Aber die Arbeitslosigkeit sei auf einem historisch niedrigen Niveau. Die russischen Firmen hätten ihre Lieferketten wieder aufgebaut.

Die russische Regierung arbeite mit anderen Ländern zusammen, um neue Zahlungssysteme und Finanzarchitekturen aufzubauen. Und nach dem Rückzug westlicher Firmen aus Russland habe man neue Nischen gefunden. Entscheidend sei die Strukturveränderung der russischen Wirtschaft, sagte Putin. „Unsere Aufgabe ist es, unsere Wirtschaft an neue Grenzen zu führen.“ Die Präsidentenwahl im kommenden Jahr wird nach den Worten von Amtsinhaber Putin fair ablaufen.

Kiew sieht Realitätsverlust Putins

Die Ukraine sieht in der Rede Putins einen Realitätsverlust des Kreml-Chefs. Nach Einschätzung von Mychailo Podoljak, dem Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, hat Putin den Bezug zur Realität verloren. „Er befindet sich in einer völlig anderen Realität, in der es keine Gelegenheit gibt, einen Dialog über Gerechtigkeit und Völkerrecht zu führen“, sagte Podoljak der Nachrichtenagentur Reuters. Russland stecke in einer Sackgasse, und alles, was es unternehme, verschlechtere seine Lage.