Konkret geht es um die mögliche Aufhebung der Regeln zur Verjährungshemmung im Strafgesetzbuch: Diese hatten die Anwälte von im BUWOG-Prozess erstinstanzlich Verurteilten angefochten. Sollte ihnen der VfGH recht geben und die Regeln ersatzlos fallen, könnte man die Verjährung von Straftaten von der ersten Einvernahme bis zur rechtskräftigen Verurteilung oder zum Freispruch nicht mehr stoppen.
Die Anwälte orten in der bestehenden Regelung eine Verfassungswidrigkeit, weil keine Verjährung eintritt – egal wie lange das Verfahren dauert. Sollte der VfGH die Verjährungshemmung kippen, dann wären die Verurteilungen etwa von Karl-Heinz Grasser und seinen Mitbeschuldigten nichtig, weil die BUWOG-Vorwürfe nach zehn Jahren verjährt gewesen wären, so die Hoffnung. Davon betroffen wäre nicht nur der Fall BUWOG, sondern auch andere Strafverfahren mit entsprechend langer Dauer.
Keine Einigung auf Stellungnahme
Die Bundesregierung hat die Möglichkeit, dem VfGH dazu eine gemeinsame Stellungnahme vorzulegen, doch die Einigung kommt nicht zustande. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) sprach sich am Mittwoch dafür aus, die bestehenden Regeln beizubehalten. Ansonsten sähe sie Probleme bei der Verfolgung von Korruptions- und Terrorbekämpfung sowie von organisierter Kriminalität. Seit Gründung der Zweiten Republik sein die Verjährungsfristen „ein Kernelement der Verbrechensbekämpfung“. In fast allen westlichen Demokratien gebe es ähnliche Regeln, so Zadic.
Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hingegen sah Reformbedarf: Aus ihrem Büro hieß es gegenüber dem Ö1-Radio, dass es 2021 eine Einigung zwischen ÖVP und Grünen gegeben habe, die Beschuldigtenrechte zu stärken und die oft lange Verfahrensdauer zu kürzen. Vor diesem Hintergrund sei es nicht sinnvoll, die aktuelle Rechtslage zur Verjährungshemmung zu verteidigen, wie es hieß. Das sei ein Punkt, an dem eine breiter angelegte Reform anknüpfen könnte.
Hier drängt Edtstadler schon seit Längerem auf Verbesserungen, etwa was Verfahrensdauer und Kostenersatz angeht. Klar sei dabei freilich, dass ein Entziehen aus dem Verfahren etwa durch ein Abtauchen ins Ausland nicht vor Verjährung schützen können dürfe. Vom Justizministerium verlangte Edtstadler nun Vorschläge. Denn eine entsprechende Willenskundgebung zum Ausbau der Beschuldigtenrechte (im Konnex mit dem Bundesstaatsanwalt) seitens der Regierung gebe es bereits seit 2021, und man sei seit damals keinen Millimeter weitergekommen.
Der VfGH sei imstande, selbst eine Entscheidung zu treffen. Bei der Sterbehilfe hatte sich die Regierung bei ihrer Stellungnahme für die geltende Regelung eingesetzt, dennoch sei sie gekippt worden, so Edtstadler laut APA.
SPÖ, NEOS auf Zadic-Linie
SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim meinte in einer Aussendung, sie sehe keine Veranlassung, die aktuelle Regelung aufzuheben: „Solange ermittelt wird, darf es auch keine Verjährung geben, das wäre völlig kontraproduktiv.“
Auch NEOS schloss sich inhaltlich Zadic an. Dem Ansinnen sei „mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten“, so Justizsprecher Johannes Margreiter. Die derzeitigen Verjährungsbestimmungen im Strafgesetzbuch haben sich seit dessen Inkrafttreten im Jahr 1972 durchaus bewährt. Das Manöver der ÖVP sei sehr durchschaubar – ihr wäre eine vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Verjährungshemmung natürlich sehr willkommen, schließlich seien es ihre Leute, die die Korruptionsermittler am meisten beschäftigten.
Staatsanwälte warnen
Die Staatsanwältevereinigung aber sieht wie Zadic keinen Änderungsbedarf. Ihr Vizepräsident Bernd Ziska meinte dazu: „Das kann man nicht wollen.“ Problematisch sei nur, wenn Straftaten gar nicht verjähren, meinte Ziska. Das würden sie aber ohnedies – die Verjährung werde durch Ermittlungsschritte der Behörden bzw. der Gerichte nur gehemmt. Er hoffe jedenfalls, dass es keinen Anlass für eine Aufhebung gibt. Sollte das doch geschehen und vor allem ohne Frist zur Reparatur, hätte das weitreichende Konsequenzen.
Schon derzeit seien die Verjährungsfristen für manche Delikte relativ kurz. Die Verjährungsfrist beginnt bereits mit dem Ende der Ausführung der Tat und wird erst mit Ermittlungsschritten wie der ersten Einvernahme des Beschuldigten oder dessen Ausschreibung zur Fahndung gehemmt. Da man aber im Regelfall anfangs gegen unbekannte Täter ermittelt, läuft die Frist zunächst.
Gerade im Vermögensbereich dauert es laut Ziska manchmal bereits einige Zeit, bis eine Tat bekanntwird und sich die Opfer an die Behörden wenden. Für Diebstahl (Strafdrohung sechs Monate bzw. Geldstrafe, Anm.) beträgt sie etwa ein Jahr. Daher sei man schon jetzt oft sehr knapp dran mit manchen Verjährungsfristen.
Verliere man nun auch noch die Möglichkeit, die Fristen mit bestimmten Ermittlungsfristen zu stoppen, würden die Täter straffrei ausgehen. Ziska konnte sich aber nur schwer vorstellen, dass das Höchstgericht den Paragrafen tatsächlich kippt. Der VfGH habe erst vor etwa zwei Jahren in einem Verfahren zur Verfahrensdauer bei Strafverfahren die Verjährungsbestimmungen geprüft.
Auch Expertin für Beibehaltung
Gegen eine Änderung der Verjährungsregeln sprach sich auch die stellvertretende Vorständin des Instituts für Strafrecht der Uni Wien, Ingeborg Zerbes, aus. Das halte sie nicht für angezeigt, meinte sie im Ö1-Mittagsjournal. In der Schweiz gebe es etwa absolute Verjährungsfristen, die unabhängig von Ermittlungsschritten der Behörden laufen.
Damit habe man zuletzt etwa das Verfahren im Umfeld der FIFA in den Sand gesetzt. „Aus meiner Sicht halte ich absolute Fristen für die undifferenzierte Methode. Wenn man eine differenzierte hat, sollte man diese lassen.“
Verjährung in Österreich
Im österreichischen Strafrecht verjähren die meisten strafbaren Handlungen nach einer gewissen Zeit. Lediglich ein Jahr beträgt die Verjährungsfrist bei Handlungen, die mit einer Freiheitsstrafe von höchstens sechs Monaten oder nur mit einer Geldstrafe bedroht sind (z. B. Diebstahl). Die Länge der Verjährungsfrist steigt dann mit der Schwere des Delikts, regelt das Strafgesetzbuch.
Am längsten (20 Jahre) ist sie bei Delikten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als zehn Jahren bedroht sind. Manche Delikte verjähren aber auch überhaupt nicht – und zwar alle, die mit lebenslanger Haft oder einer Freiheitsstrafe zwischen zehn und 20 Jahren belegt sind, also etwa Mord und bestimmte Formen des schweren Raubs. Ebenfalls von einer Verjährung ausgenommen sind Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord.
Die Verjährungsfrist beginnt mit Ende der Ausführung der Tat. Ist eine Tat verjährt, erlischt der Strafanspruch des Staates – bereits laufende Strafverfahren sind einzustellen bzw. mit einem Freispruch zu beenden. Rechtspolitisch wird das damit argumentiert, dass nach einer bestimmten Zeit kein staatliches Strafbedürfnis mehr besteht und der Beschuldigte durch das Wohlverhalten seit Begehung der Tat nicht mehr bestraft werden muss.
Gründe für eine Hemmung
Es gibt zahlreiche Gründe, durch die die Verjährung gehemmt bzw. die Verjährungsfrist verlängert werden kann. In der Praxis am wichtigsten sind dabei die erstmalige Einvernahme als Beschuldigter wegen der Tat, eine Ausschreibung zur Fahndung und die Androhung bzw. Anordnung von Zwangsmaßnahmen gegen den Täter wie etwa die Verhängung der U-Haft, gerichtlich bewilligte Sicherstellungen von Daten oder Hausdurchsuchungen.
Seltenere Fälle sind etwaige Immunitäten der Beschuldigten, wie das etwa bei Abgeordneten und Diplomaten der Fall ist. Diese dürfen während der Ausübung ihrer Funktion nicht verfolgt werden, in dieser Zeit läuft im Gegenzug die Verjährungsfrist nicht.