US-Präsident Biden bei NATO-Treffen in Polen
AP/Evan Vucci
Biden und Putin

Diplomatieduell vor Ukraine-Jahrestag

Am Dienstag haben sie beide große Reden gehalten, am Mittwoch sind nun hochrangige Treffen mit Verbündeten gefolgt: Russlands Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Joe Biden haben ihr Programm für die Tage vor dem Jahrestag des Angriffs auf die Ukraine sehr ähnlich gestaltet – ohne mit harscher Kritik aneinander zu sparen. Putin empfing den leitenden chinesischen Außenpolitiker Wang Yi, Biden sprach mit mehreren östlichen NATO-Partnern in Warschau.

Der US-Präsident sagte dabei den Staaten an der Ostflanke der NATO einmal mehr Beistand für den Fall eines Angriffes zu. „Artikel fünf ist eine heilige Verpflichtung, die die Vereinigten Staaten eingegangen sind. Wir werden buchstäblich jeden Zentimeter der NATO verteidigen.“ In Artikel fünf des NATO-Gründungsvertrages ist geregelt, dass sich die Bündnispartner verpflichten, bei einem bewaffneten Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen Beistand zu leisten.

An dem Treffen mit Biden in Warschau nahmen die Länder des „Bukarest 9“-Formats teil. Dazu gehören Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Tschechien, die Slowakei sowie die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Die Gruppe hatte sich auf Initiative Polens und Rumäniens gegründet, nach der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014.

Orban fehlte

Mit dem großangelegten Einmarsch Russlands in die Ukraine haben sich die Befürchtungen der Länder in Mittelosteuropa nur verstärkt. Sie zählen zu den entschiedensten Unterstützern der Ukraine. Eine Ausnahme ist Ungarn, das unter Ministerpräsident Viktor Orban weiter enge Kontakte nach Moskau unterhält. Orban reiste nicht zu dem Treffen nach Warschau – Ungarn war dort mit Staatspräsidentin Katalin Novak vertreten.

Biden betonte, als Ostflanke der Militärallianz seien die östlichen Länder die Frontlinie der gemeinsamen Verteidigung. „Sie wissen besser als jeder andere, was in diesem Konflikt auf dem Spiel steht – nicht nur für die Ukraine, sondern für die Freiheit der Demokratien in ganz Europa und in der Welt.“

Stoltenberg: „Kreislauf der Aggression durchbrechen“

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mahnte: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Russland weiter die europäische Sicherheit untergräbt.“ Man müsse den „Kreislauf der russischen Aggression durchbrechen“ und dafür sorgen, „dass sich die Geschichte nicht wiederholt“. Seit vielen Jahren zeige Russland ein aggressives Verhaltensmuster. Mit Blick auf den Ukraine-Krieg sagte der NATO-Generalsekretär, es sei nicht klar, wann dieser enden werde. Wie die NATO aus seiner Sicht den Kreislauf brechen könne, erörterte er nicht.

Polens Präsident Andrzej Duda sagte, die Aggression Russlands gegen die Ukraine habe die Geschichte dieses Teils von Europa verändert. Der rumänische Staatschef Klaus Johannis meinte, vor einem Jahr habe Russland versucht, die europäische und transatlantische Sicherheit zu zerstören. Präsidentin Zuzana Caputova aus der Slowakei sagte: „Dieses Jahr hat uns stärker gemacht und geeint.“

Moldawien nahm teil

Als politisches Signal nahm auch Moldawien an dem Treffen teil. Die Republik Moldau gehört nicht zur NATO, sie ist politisch zwischen proeuropäischen und prorussischen Kräften gespalten. In dem abgespaltenen Gebiet Transnistrien an der Grenze zur Ukraine stehen noch russische Truppen. Die moldawische Präsidentin Maia Sandu vertritt die proeuropäischen Kräfte in dem verarmten Land. Sie sieht Moldawien durch den russischen Krieg gegen die Ukraine bedroht. Kürzlich warnte sie vor einem Putsch, den Russland vorbereite.

Kritik am Ausstieg Russlands aus START-Vertrag

Biden kritisierte am Rande des Treffens den Schritt Russlands, die Teilnahme am zentralen Atomwaffenkontrollprogramm beider Länder auszusetzen. Putin habe damit „einen großen Fehler“ begangen, sagt Biden. Putin hatte am Vortag bei seiner großen Rede erklärt, Russlands Teilnahme am Neuen-START-Vertrag mit den USA („Strategic Arms Reduction Treaty“, Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen) werde ausgesetzt.

Der 2011 in Kraft getretene Vertrag wurde 2021 nach Bidens Amtsantritt um weitere fünf Jahre verlängert. Er begrenzt die Zahl der strategischen Atomsprengköpfe, die die USA und Russland stationieren können, sowie die Stationierung von land- und unterseegestützten Raketen und Bombern, um sie zu transportieren. Zusammen besitzen Russland und die USA rund 90 Prozent der weltweiten Atomsprengköpfe. Allerdings hatte Russland auch angekündigt, die Obergrenze für Atomsprengköpfe weiter einzuhalten. Das Aussetzen des Atomwaffenvertrags mache einen Atomkrieg nicht wahrscheinlicher, hieß es aus dem russischen Außenministerium.

Russland und China wollen Partnerschaft vertiefen

Putin lobte indes bei dem Treffen mit Wang die bilateralen Beziehungen zu China. Wang sagte, sein Land sei bereit, die strategische Zusammenarbeit mit Russland zu vertiefen. Der Kreml-Chef erklärte, die Beziehungen zwischen beiden Staaten entwickelten sich gut, die Partnerschaft mit China sei sehr wichtig. Der russische Staatschef wies auf die eskalierenden internationalen Spannungen hin und fügte hinzu, dass „in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit zwischen der Volksrepublik China und der Russischen Föderation auf der globalen Bühne besonders wichtig für die Stabilisierung der internationalen Lage ist“.

Wladimir Putin und Wang Yi in Mosco
Reuters/Sputnik
Andere Politiker hielt Putin bei Treffen auf Distanz – mit Wang zeigte er sich innig.

„Wir erreichen neue Horizonte“, sagte Putin und wies darauf hin, dass im Frühling ein Besuch des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in Moskau geplant sei. Der russische Präsident empfängt nur selten ausländische Amtsträgerinnen und -träger, die keine Staatsoberhäupter sind. Der Empfang von Wang unterstrich somit die Bedeutung, die der Kreml den Beziehungen zu Peking beimisst.

Wang: Beziehungen nicht von Drittland beeinflussbar

Wang sagte, dass „die chinesisch-russischen Beziehungen nicht gegen Drittländer gerichtet sind und sicherlich nicht von einem dritten Land bestimmt werden könnten“. Moskau und Peking würden beide die „Multipolarität und Demokratisierung der internationalen Beziehungen“ unterstützen. Die Krisen würden die Partnerschaft zwar beeinflussen, könnten aber zugleich eine Chance darstellen, so Wang.

Lawrow: Beziehungen „unbeirrt und dynamisch“

China gilt als enger Verbündeter Russlands. Zugleich hat sich Peking bisher weitgehend an die internationalen Sanktionen gegen Russland gehalten, um nicht selber zum Ziel von Strafmaßnahmen zu werden. Der russische Außenminister Sergej Lawrow, den Wang ebenfalls traf, sagte am Mittwoch, die russisch-chinesischen Beziehungen entwickelten sich „unbeirrt und dynamisch“.

Wang lobte auch bei seinem Treffen mit Lawrow die Beziehung zwischen den Ländern, die nach seinen Worten „keine Grenzen“ habe. Und: „Trotz der Unwägbarkeit der internationalen Situation bewahren China und Russland immer ihre strategische Entschlossenheit“, sagte Wang. Er hoffe auf weiteren Austausch und „neue Vereinbarungen“. Welche Vereinbarungen das genau sein könnten, ließ Wang jedoch offen.

Putin im Stadion

Putin widmete sich neben dem Wan-Besuch am Mittwoch auch einer patriotischen Großversammlung in Moskau. Dort bekräftigte er seine Ansicht, dass die russische Armee in der Ukraine für „historisch“ zu Russland gehörende Gebiete kämpfe. Russland kämpfe in der Ukraine für seine „historischen Gebiete“, sagte Putin bei der Konzertveranstaltung im Olympiastadion Luschniki.

Putin für Fortsetzung des Krieges

In einem voll besetzten Fußballstadion in Moskau hat Putin eine Rede gehalten. Kurz vor dem Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine schwört er die Bevölkerung auf eine Fortsetzung des Krieges ein.

„Heute hat mir die (militärische) Hierarchie gesagt, dass Kämpfe für unser Volk im Herzen unserer historischen Gebiete im Gange sind“, sagte der Staatschef in seiner nur wenige Minuten dauernden Ansprache. Er pries die in der Ukraine eingesetzten russischen Soldaten für ihren „heroischen“ und „mutigen“ Kampf: „Wir sind stolz auf euch.“

Krisai (ORF) zur Putin-Show

ORF-Korrespondent Paul Krisai spricht zum Auftritt von Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Stadion und zu seinem Treffen mit dem chinesischen Außenpolitiker Wang Yi.

China will Friedensinitiative vorstellen

Zunächst keine offizielle Mitteilung gab es zu der Friedensinitiative, die China für die vor einem Jahr von Russland angegriffene Ukraine angekündigt hatte. Die russische Nachrichtenagentur TASS hatte gemeldet, Wang wolle sich in Moskau dazu mit Lawrow austauschen. Zum Jahrestag am Freitag will Xi das Positionspapier vorstellen, das bisher nur in Grundzügen bekannt ist.

Darin geht es unter anderem um „den Respekt der Souveränität und territorialen Integrität“, wie es aus dem Außenamt in Peking verlautete. Die Ukraine fordert als Grundvoraussetzung zu Gesprächen mit Moskau den vollständigen Abzug russischer Truppen von ihrem Staatsgebiet.

„Umfassende Partnerschaft“

Kurz vor dem russischen Einmarsch hatten Putin und Xi eine umfassende Partnerschaft verabredet. Die Annäherung der beiden Großmächte wird im Westen mit Skepsis beobachtet. Die USA haben China vor einer militärischen Unterstützung Russlands in der Ukraine gewarnt.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte zu Mittag auf die Frage von Medien, ob Russland für seinen Krieg gegen die Ukraine bei China um Militärhilfe gebeten habe, lediglich: „Sie (die chinesischen Vertreter, Anm.) haben diese Frage bereits beantwortet, sie entschieden verneint, und dazu gibt es nichts hinzuzufügen.“