Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Beate Meinl-Reisinger (NEOS)
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Ukraine-Sitzung

Hitzige Neutralitätsdebatte im Nationalrat

Die Neutralität hat bei der Sondersitzung des Nationalrats anlässlich des Jahrestages der russischen Invasion in der Ukraine eine zentrale Rolle gespielt. Während NEOS eine Abkehr von der bisherigen Haltung forderte, bekannten sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), SPÖ-Obfrau Pamela Rendi-Wagner und FPÖ-Obmann Herbert Kickl zur Neutralität. Kritik gab es an Kickl, der die Kriegsverantwortung auf „beiden Seiten“ sah. Auch Reaktionen von Helmut Brandstätter (NEOS) und Reinhold Lopatka (ÖVP) hatten Ordnungsrufe zur Folge.

Der Sitzung wohnten auch die ukrainische Delegation der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der ukrainische Botschafter in Österreich, Vasyl Kymynez, und die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja bei. NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger, die eine gelb-blaue Schleife angelegt hatte, verurteilte einmal mehr die russische Aggression. Sie sprach von einem „ungeheuerlichen Krieg“ und forderte: „Putin muss in der Ukraine gestoppt werden, um nachhaltig Freiheit und Frieden zu sichern.“

Brandstätter verlangte mehr Unterstützung für die Ukraine. Es gehe darum, dass Menschen in Freiheit und nicht in der „Diktatur eines Kriegsverbrechers“ leben wollen. Trotz hoher Inflation in Europa und Österreich habe der Westen richtig gehandelt, indem er sich dem Aggressor geeint entgegenstellte, meinte Lopatka.

Auch Rendi-Wagner lobte die Reaktion der EU und Österreichs und plädierte für humanitäre Hilfe sowie dafür, ukrainischen Flüchtlingen hierzulande Schutz zu gewähren. Bedingungen für Frieden müssten in der Hand der Ukraine liegen.

Kickl sieht Schuld für Krieg „auf beiden Seiten“

Für Kickl stellt die Politik der Regierung gegenüber Russland und der Ukraine wie deren Coronavirus-Politik allerdings die „völlig falsche Strategie“ dar, wie er im Nationalrat ausführte. Der Schaden für alle Österreicher werde maximiert, kam er auf die Teuerung zu sprechen. Beide Seiten hätten Schuld, dem Angriffskrieg sei eine lange Vorgeschichte von Provokationen der USA und der NATO vorangegangen, so Kickl, der sich für Frieden aussprach.

FPÖ-Chef Herbert Kickl und Bundeskanzler Karl Nehammer
APA/Robert Jaeger
Kickl sprach in Bezug auf den Ukraine-Krieg von einer „völlig falschen Strategie“ Österreichs

Für diese Haltung erhielt die FPÖ viel Kritik: Kickl vertrete die Interessen des Kreml im österreichischen Parlament, kommentierte die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer. Nicht die Sanktionen seien der Grund für die Inflation, sondern der Krieg. Die Verantwortung dafür, dass Menschen in Österreich darunter leiden, sei bei Putin zu finden, so Maurer.

„Was macht die Kickl-FPÖ? Sie applaudiert Putin!“, meinte auch Lopatka, für den der Obmann der Freiheitlichen der „verlängerte Arm Putins“ ist. Ordnungsrufe erhielten nach einer Sitzungsunterbrechung schließlich Brandstätter, der Kickls Argumentation mit Hitler, und Lopatka, der diesen mit dem tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow verglich. Kickl kassierte einen für eine beleidigende Äußerung.

NR: Hitzige Debatte und Ordnungsrufe

Im Hohen Haus haben Vergleiche und Zwischenrufe zu einer hitzigen Debatte während der Nationalratssondersitzung anlässlich des Jahrestages der russischen Invasion in der Ukraine geführt. Nach einer längeren Unterbrechung, die zur Durchsicht der Protokolle genutzt wurde, erhielten schließlich die Abgeordneten Reinhold Lopatka (ÖVP), Herbert Kickl (FPÖ), Dagmar Berlakowitsch (FPÖ) und Helmut Brandstätter (NEOS) Ordnungsrufe von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP).

Disput zwischen Kogler und Bures

Einen Disput gab es in der hitzigen Sitzung noch zwischen Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ). Der Grünen-Chef hatte bei der FPÖ „perverse Putin-Propaganda“ geortet, was die gerade amtierende Präsidentin für nicht angemessen hielt. Als Kogler sich nicht von der Aussage distanzierte, sondern sie de facto wiederholte, hielt ihm Bures eine Art Standpauke aus parlamentarischer Sicht. „Ich lasse mir das Wort nicht verbieten“, so der Vizekanzler und langjährige Abgeordnete daraufhin.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne)
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Kogler warf der FPÖ „perverse Putin-Propaganda“ vor

Nehammer: Bekenntnis zu Neutralität

Man sei nur in einem Verbund geschützt, plädierte Meinl-Reisinger mit Blick auf Österreich. Finnland und Schweden hätten bereits erkannt, dass die Neutralität alleine nicht helfe. Die NEOS-Klubobfrau verlangte ein Bekenntnis zu einer europäischen Sicherheitssäule und die Erarbeitung einer neuen Sicherheitsstrategie, da die geltende Russland noch auf dieselbe Stufe wie die USA stelle: „Das ist doch fahrlässig.“

Nehammer bekannte sich in seiner Replik klar zur Neutralität. Sie sei in vielen Bereichen gar nicht hoch genug einzuschätzen. Der Kanzler verwies auf internationale Organisationen von der UNO abwärts, die sich gerade deswegen in Österreich angesiedelt hätten und so die Möglichkeit böten, Gesprächskanäle offen zu halten. „Österreichs Neutralität ist gelebte Friedenspolitik.“ Auch in der EU habe niemand mit ihr Probleme.

Als neutraler Staat müsse Österreich sich für die Deeskalation einsetzen, so Lopatka. Auch SPÖ und FPÖ wollten sich nicht auf eine Neutralitätsdebatte einlassen. „Finger weg von unserer Neutralität“, meinte etwa Kickl. Diese sei das Zukunftsmodell, nicht die NATO. Ihre Fraktion werde niemals zustimmen, die Neutralität als sicherheitspolitisches Instrument, das sich seit Jahrzehnten für Österreich bewährt habe, einfach über Bord zu werfen, sagte zudem Rendi-Wagner.

Energieversorgung als Konfliktthema

Zweites Konfliktthema war die Energieversorgung. Während Rendi-Wagner und Meinl-Reisinger die Abhängigkeit von russischem Gas mit über 70 Prozent schilderten, liegt sie laut Nehammer im Jahresdurchschnitt nur noch bei 50 Prozent – nach 80 Prozent vor dem Krieg. Ein Ausstieg könne nicht von einem Tag auf den anderen erfolgen. Grund dafür seien sehr langfristige Lieferverträge, die bereits abgeschlossen seien, und die Kosten, die bereits durch die Schaffung der strategischen Gasreserve entstanden seien.

Jedes Windrad sei ein „Symbol unserer Freiheit“, so Maurer über den Ausbau erneuerbarer Energien. Meinl-Reisinger sah hingegen Österreich als eine „Gaskolonie der imperialistischen Politik Russlands“. Während Österreich der Ukraine mit 600 Millionen Euro geholfen habe, seien in den vergangenen Jahren sieben Milliarden nach Moskau geflossen, so die Kritik.

Zum Abschluss der Debatte fanden sich bei aller Unterschiedlichkeit zumindest vier Parteien für einen Entschließungsantrag zusammen, der unter anderem die unverzügliche Einstellung der Angriffe Russlands und die Wiederherstellung der territorialen Integrität und vollen Souveränität der Ukraine forderte. Nur die FPÖ schloss sich dem nicht an. Sie beantragte dagegen, „die neutralitätsverletzenden Zahlungen an die korruptionsanfällige Kriegspartei Ukraine“ einzustellen und die Sanktionen gegen Moskau zu beenden.