Leere Gemüseregale in Großbritannien
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Rüben statt Salat

Gemüsefiasko dürfte Briten länger begleiten

Die Bilder erinnern an Geschäfte im sowjetischen Kommunismus oder an leere Klopapierregale zu Pandemiebeginn: In Großbritannien sind es jedoch jetzt gerade die Gemüsekisten in den Supermärkten, in denen gähnende Leere herrscht. Die Tory-Regierung macht das Wetter in Spanien dafür verantwortlich und preist die Vorzüge heimisch gezogener Rüben. Dass das alles mit dem Brexit zu tun haben könnte, will man nicht eingestehen. Dabei dürfte das Gemüsefiasko länger andauern.

Schon seit mehreren Tagen machen die Bilder in den sozialen Netzwerken die Runde: leere Regale dort, wo sonst in den Supermärkten Paradeiser, Gurken und Salat angeboten wird. Einige Ketten rationieren mittlerweile Gemüse, wenn es denn vorhanden ist. Und Agrarministerin Therese Coffey von den Konservativen musste einräumen, dass sich das Problem noch zumindest einige Wochen ziehen werde.

Ihre Erklärung für die Misere: Ernteausfälle wegen des ungewöhnlich kalten Wetters in den Anbaugebieten Spanien und Marokko. „Wir können das Wetter in Spanien nicht kontrollieren“, sagte Ministerin Coffey auf der Jahrestagung des Bauernverbands NFU. Ernteausfälle würden einfach zur Natur der Landwirtschaft gehören. Das Wetter sei in der Tat ein Faktor, betonten hingegen Experten, aber in ganz Europa sei davon auch kaum etwas zu bemerken.

Warnung vor längerer Gemüsekrise

Britische Gemüse- und Obstproduzenten warnen angesichts von Lieferproblemen bei einigen Lebensmitteln vor einer langen Krise. Einige Produkte werden laut Erzeugerverband Lea Valley Growers Association (LVGA) erst ab Mai verfügbar sein. Grund sei vor allem extrem schlechtes Wetter in den Anbaugebieten. Hinzu kommen gestiegene Transportkosten angesichts hoher Energiepreise.

Torys für Konsumverzicht und Rüben

Überhaupt reagieren die Torys, die in ihrer Brexit-Kampagne noch bessere und billigere Lebensmittel versprochen hatten, für ihre ansonsten vertretenen Standpunkte eigenwillig und propagieren Konsumverzicht und Regionalität: Die konservative Abgeordnete Selaine Saxby schlug vor, im Jänner und Februar nicht mehr so viele importierte Lebensmittel wie Salat zu essen. „Die Supermärkte importieren immer noch viel zu viele Produkte für uns und … eigentlich sollten wir mehr saisonal essen und unsere eigenen britischen Bauern unterstützen“, sagte sie.

Coffey schloss sich dem an: „Es ist wichtig, dass wir die Spezialitäten, die wir in diesem Land haben, wertschätzen.“ Viele Leute würden jetzt Rüben essen und nicht unbedingt an Salat, Tomaten und Ähnliches denken. Und die Rationierung würde ohnehin nur einige wenige Obst- und Gemüsesorten betreffen.

„Lasst sie Rüben essen“, titelte die traditionell labournahe Zeitung „Daily Mirror“ am Freitag – in Anlehnung an das Brot-und-Kuchen-Zitat von Marie-Antoinette. Spätestens bei der Erklärung, dass die britische Lebensmittelversorgungskette „äußerst widerstandsfähig“ sei, könnte sie den Bogen aber überspannt haben.

„Eklatantes politisches Versagen“

Clive Black, Analyst bei Shore Capital, schrieb laut „Guardian“ in einem am Donnerstag veröffentlichten Text, dass der Mangel an Salat in den britischen Supermärkten darauf zurückzuführen sei, dass das Ministerium für Umwelt, Ernährung und ländliche Angelegenheiten „so gut wie nichts“ unternommen habe, um den heimischen Erzeugern zu helfen. Er sah ein „eklatantes politisches Versagen“.

So hatte die Regierung die Gemüseproduzenten trotz steigender Strom- und Gaspreise nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine von Energiesubventionen ausgeschlossen. Der Einsatz von Gewächshäusern zur Zucht etwa von Tomaten lohne sich deshalb im Winter nicht mehr. „Sie pflanzen hier nicht mehr so viele Sachen an, weil es unwirtschaftlich ist“, sagte Adam Leyland, Chefredakteur des Branchenblatts „The Grocer“, der BBC.

Fehlende Erntehelfer

Ein weiterer Grund sind fehlende Saisonarbeitskräfte, die sonst aus EU-Ländern wie Rumänien zur Ernte einreisten. Grund sind verschärfte Regeln für Arbeitskräfte nach dem EU-Austritt.

Auch Justin King, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Supermarktkette Sainsbury’s, sagte, das Land habe sich die Probleme selbst zuzuschreiben. „Wir sind zu dieser Jahreszeit in einzigartiger Weise von Importen abhängig. Es gibt eine echte Knappheit, aber wir haben uns dieses Problem selbst eingebrockt.“ Auch er verwies darauf, dass die britischen Gärtner im Stich gelassen worden seien. „Das ist ein Sektor, der durch den Brexit erheblich gestört wurde“, fügte er hinzu.

Nach Brexit als Markt weniger attraktiv für Hersteller

Nun muss Großbritannien im Winter rund 95 Prozent der Paradeiser importieren. Und sobald es eine Verknappung gibt, liefern die Produzenten eher an den großen EU-Wirtschaftsraum als an den vergleichsweise kleineren britischen Markt. Angesichts gestiegener Transportkosten seien auch längere Wege mittlerweile ein Faktor.

Auch wenn die Torys behaupten, die Engpässe hätten nichts mit dem Brexit zu tun: Einige Lieferanten gaben gegenüber britischen Medien an, dass die durch den Brexit verursachten höheren Kosten und die Bürokratie das Land bei Importen aus der EU und Marokko ins Hintertreffen gebracht haben.

Produzenten sehen längere Krise

Die Ankündigung von Ministerin Coffey, dass die Krise in zwei bis vier Wochen vorbei sein werde, sahen sie britische Gemüse- und Obstproduzenten skeptisch. Zumindest aus Großbritannien selbst könne der Engpass nicht schnell beseitigt werden. „Tomaten, Paprika und Melanzani werden erst im Mai in großen Mengen erhältlich sein, also wird es länger als ein paar Wochen dauern“, sagte Lee Stiles vom Erzeugerverband Lea Valley Growers Association (LVGA) laut BBC. Um den Mangel auszugleichen, hätten sie früher anpflanzen müssen, sagte Stiles.