Leere Supermarktregale in London
APA/AFP/Daniel Leal
„Spitze des Eisbergs“

Großbritannien könnte auch Obst ausgehen

Nicht nur Salat, Gurken und Paradeiser werden in Großbritannien knapp, auch die Obstregale könnten bald leer bleiben: Die Landwirtinnen und Landwirte können schlicht nicht mehr wirtschaftlich produzieren. Der Mangel sei nur die „Spitze des Eisbergs“, so ein ranghoher Agrarfunktionär. Die Kritik an den Versäumnissen der Tory-Regierung, die das Versorgungsdebakel auf Ernteausfälle im Ausland schiebt, wird lauter.

Leere Supermarktregale bereiten vielen Britinnen und Briten derzeit eine bittere Erinnerung an den Beginn der Pandemie. Nun scheinen die Versorgungsprobleme allerdings hausgemacht – und sie werden mehr. Mehrere Einzelhändler wie Marktführer Tesco und der Discounter Aldi rationieren wegen Lieferschwierigkeiten bereits den Verkauf von Paradeisern und Gurken.

Nun könnten nach Einschätzung von Landwirten auch Äpfel und Birnen knapp werden. Die Knappheit einiger Obst- und Gemüsesorten sei nur die „Spitze des Eisbergs“, sagte der stellvertretende Präsident des Agrarverbandes NFU, Tom Bradshaw, am Samstag. „Einzelhändler tun alles, um die Kosten während dieser Krise der Lebenshaltungskosten gering zu halten.“ Aber Landwirte und Züchter könnten es sich nicht leisten, in die künftige Produktion zu investieren.

Nur ein Drittel Bäume gepflanzt

Der „Guardian“ hatte berichtet, dass Obstproduzenten nur ein Drittel der Apfel- und Birnbäume gepflanzt hätten, die nötig seien, um die 5.500 Hektar große Produktionsfläche in Großbritannien zu erhalten. Hauptgrund sind dem Apfel- und Birnenhandelsverband zufolge „Supermarktrenditen, die nicht nachhaltig sind“.

Am Freitag hatten britische Gemüse- und Obstproduzenten angesichts von Lieferproblemen bei einigen Lebensmitteln bereits vor einer langen Krise gewarnt. Als Grund für die Knappheit gelten ungünstiges Wetter in den Anbaugebieten sowie gestiegene Transportkosten und Energiepreise.

Warnung vor längerer Gemüsekrise

Britische Gemüse- und Obstproduzenten warnen angesichts von Lieferproblemen bei einigen Lebensmitteln vor einer langen Krise. Einige Produkte werden laut Erzeugerverband Lea Valley Growers Association (LVGA) erst ab Mai verfügbar sein. Grund sei vor allem extrem schlechtes Wetter in den Anbaugebieten. Hinzu kommen gestiegene Transportkosten angesichts hoher Energiepreise.

Regierung sieht Fehler anderswo

Die Tory-Regierung will vermeiden, dass die Engpässe auch dem Brexit angelastet werden, obwohl einiges dafürspricht, dass er zu den Ursachen zählt. Agrarministerin Therese Coffey betonte, dass Ernteausfälle wegen des ungewöhnlich kalten Wetters in den Anbaugebieten Spanien und Marokko schuld seien. „Wir können das Wetter in Spanien nicht kontrollieren“, sagte Ministerin Coffey auf der Jahrestagung des NFU. Dort musste sie sich allerdings das Argument anhören, dass es auf dem europäischen Festland dennoch keine Versorgungsengpässe gebe.

Überhaupt reagieren die Torys, die in ihrer Brexit-Kampagne noch bessere und billigere Lebensmittel versprochen hatten, für ihre ansonsten vertretenen Standpunkte eigenwillig und propagieren Konsumverzicht und Regionalität: Die konservative Abgeordnete Selaine Saxby schlug vor, im Jänner und Februar nicht mehr so viele importierte Lebensmittel wie Salat zu essen.

„Lasst sie Rüben essen“

„Die Supermärkte importieren immer noch viel zu viele Produkte für uns und … eigentlich sollten wir mehr saisonal essen und unsere eigenen britischen Bauern unterstützen“, sagte sie. Coffey schloss sich dem an: „Es ist wichtig, dass wir die Spezialitäten, die wir in diesem Land haben, wertschätzen.“ Viele Leute würden jetzt Rüben essen und nicht unbedingt an Salat, Tomaten und Ähnliches denken. „Lasst sie Rüben essen“, titelte die traditionell labournahe Zeitung „Daily Mirror“ am Freitag – in Anlehnung an das Brot-und-Kuchen-Zitat, das Marie-Antoinette zugeschrieben wird.

„Wenn man mir bloß vor meinem Votum für den Brexit gesagt hätte, dass dadurch Frost in Marokko ausgelöst wird – dann hätte ich mich anders entscheiden können“, spottete wiederum der konservative Abgeordnete Desmond Swayne.

„Eklatantes politisches Versagen“

Clive Black, Analyst bei Shore Capital, schrieb laut „Guardian“ in einem am Donnerstag veröffentlichten Text, dass der Mangel an Salat in den britischen Supermärkten darauf zurückzuführen sei, dass das Ministerium für Umwelt, Ernährung und ländliche Angelegenheiten „so gut wie nichts“ unternommen habe, um den heimischen Erzeugern zu helfen. Er sah ein „eklatantes politisches Versagen“.

So hatte die Regierung die Gemüseproduzenten trotz steigender Strom- und Gaspreise nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine von Energiesubventionen ausgeschlossen. Der Einsatz von Gewächshäusern zur Zucht etwa von Tomaten lohne sich deshalb im Winter nicht mehr. „Sie pflanzen hier nicht mehr so viele Sachen an, weil es unwirtschaftlich ist“, sagte Adam Leyland, Chefredakteur des Branchenblatts „The Grocer“, der BBC.

Fehlende Erntehelfer

Ein weiterer Grund sind fehlende Saisonarbeitskräfte, die sonst aus EU-Ländern wie Rumänien zur Ernte einreisten. Grund sind verschärfte Regeln für Arbeitskräfte nach dem EU-Austritt. Einige Lieferanten gaben gegenüber britischen Medien an, dass die durch den Brexit verursachten höheren Kosten und die Bürokratie das Land bei Importen aus der EU und Marokko ins Hintertreffen gebracht haben.