Straßenschild, dass auf dem Weg nach links Belfast anzeigt und auf dem Weg nach rechts Dublin
Reuters/Clodagh Kilcoyne
Brexit

Worum es beim Nordirland-Streit geht

Die Nordirland-Frage war von Anfang an das kniffligste Problem bei den Brexit-Verhandlungen. Auch drei Jahre nach Großbritanniens Austritt aus der EU belastet sie das Verhältnis zwischen London und Brüssel. Nach einer vom britischen Premier Rishi Sunak und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen verkündeten Einigung steht nun eine Lösung in diesem Konflikt im Raum.

Erweist sich die Vereinbarung als belastbar, wäre der Zank um den Brexit vielleicht endgültig beendet. Das Thema EU-Austritt wurde in den bald sieben Jahren seit dem knappen Ja der Britinnen und Briten in einer Volksabstimmung immer wieder als Instrument für Machtkämpfe in der konservativen Regierungspartei benutzt.

Sunak steht durch Vorvorgänger Boris Johnson unter Druck, der womöglich auf ein Comeback hofft, wenn er sich als Verfechter der reinen Brexit-Lehre präsentiert. Für Sunak geht es darum, das Gezänk hinter sich zu bringen, um sich dem maroden Gesundheitssystem und der schwächelnden Wirtschaft widmen zu können. Diese Themen interessieren die Wählerinnen und Wähler inzwischen sehr viel mehr als der Brexit. Ob er erfolgreich ist, hängt nun vor allem davon ab, ob die nordirische Protestantenpartei DUP die Einigung akzeptiert.

Wieso der Streit so lange dauerte

Eigentlich sollte die Frage längst geklärt sein. 2019 feierte der damalige Premier Johnson das „Nordirland-Protokoll“ mit der EU als großen Erfolg. Nach jahrelangem Gezerre war ein Austritt ohne Vertrag – ein „No-Deal-Brexit“ – abgewendet. Mit dem Slogan „Get Brexit Done“ fuhr Johnson einen großen Wahlsieg ein und führte sein Land aus der EU.

Einigung im Nordirland-Streit verkündet

Die britische Regierung und die EU-Kommission haben im jahrelangen Streit um das Nordirland-Protokoll eine Einigung erzielt. Das bestätigten der britische Premierminister Rishi Sunak und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz nach einem Treffen in Windsor westlich von London.

Bald aber stellte sich heraus, dass er wohl nie vorhatte, sich an das Protokoll zu halten. Großbritannien setzte die Abmachung schleppend um, forderte Nachverhandlungen und versuchte, sie per Gesetz im eigenen Land unwirksam zu machen. Zudem fehlte die Unterstützung der DUP. Sie blockiert bislang deshalb auch die Bildung einer Regionalregierung in Nordirland.

Warum ist Nordirland so ein heikles Thema?

Als Irland vor etwa 100 Jahren die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich erlangte, wurde die Insel in zwei Teile geteilt: Der überwiegend katholische Süden wurde zur Republik Irland, der Norden mit seiner protestantischen Mehrheit blieb Teil des Königreichs.

Die Protestanten dominierten dort Verwaltung und Wirtschaft, die katholische Minderheit war lange wirtschaftlich benachteiligt. Das führte zu einem Bürgerkrieg, in dem die katholisch-republikanische Gruppe IRA gewaltsam eine Vereinigung beider Teile durchsetzen wollte. Sicherheitskräfte, Armee und protestantische Milizen schlugen mit Härte zurück. Tausende verloren ihr Leben, bis das Karfreitagsabkommen 1998 einen Friedensschluss brachte.

Weiter wackeliger Frieden

Die Übergänge an der inneririschen Grenze waren früher stark gesichert, um zu verhindern, dass etwa IRA-Kämpfer sie überqueren. Gleichzeitig waren Grenzposten häufig Ziel von Anschlägen, weil die Befürworterinnen und Befürworter der Einheit sie als Symbol der Unterdrückung betrachteten. Die EU-Mitgliedschaften beider Länder machten Zollkontrollen dort später überflüssig.

Doch mit dem Brexit wurden wieder Zollgrenzen notwendig, damit Nordirland nicht die Hintertür von Schmugglerware in den EU-Binnenmarkt wird. Neue Schlagbäume wären aber mit großer Wahrscheinlichkeit Ziel der noch immer aktiven IRA-Splittergruppen geworden. Das sollte um jeden Preis vermieden werden. Der Frieden ist noch immer wackelig.

Was besagt das Nordirland-Protokoll?

Das Protokoll ist eine Alternative zu den „Backstop“-Plänen von Johnsons Vorgängerin Theresa May, nach denen das ganze Königreich weiterhin EU-Regeln folgen sollte. Ziel ist ein härterer Bruch mit der EU. Das Protokoll sieht vor, dass England, Schottland und Wales komplett von der EU abgenabelt werden. Nur Nordirland folgt den Regeln von EU-Binnenmarkt und Zollunion, damit es keine Kontrollen an der Landgrenze zu Irland gibt. Stattdessen soll nun kontrolliert werden, wenn Waren aus Großbritannien an den Häfen in Nordirland eintreffen. Deshalb wird auch von einer Zollgrenze in der Irischen See gesprochen.

Was waren die Folgen des Protokolls?

Nordirland hat damit einen Sonderstatus. Es ist sowohl Teil der Europäischen Zollunion als auch des britischen Zollgebiets. Für die Wirtschaft ist das ein klarer Vorteil gegenüber den anderen Landesteilen. Trotzdem gab es auch Schwierigkeiten, etwa beim Versand von Päckchen, bei der Lieferung von Medikamenten und beim Mitnehmen von Haustieren aus dem Königreich nach Nordirland. Insgesamt stärkten die neuen Regelungen die Handelsbeziehungen zwischen Irland und Nordirland und schwächten die zwischen Großbritannien und Nordirland. Anhängerinnen und Anhänger der Union fühlten sich zunehmend von Großbritannien abgeschnitten.