Abgeholzte Bäume im Wald
IMAGO/NurPhoto/Michal Fludra
Falsche Zertifikate

Illegale Abholzung mit grünem Anstrich

Von Teakholzmöbeln über Pappbecher bis hin zu Zuckerlpapier – auf Produkten wie diesen lassen sich heutzutage meist überall kleine grüne Logos von Zertifikaten finden, mit Versprechungen, die von „nachhaltige Forstwirtschaft“ bis zum „Schutz der Wälder der Welt“ reichen. Am Mittwoch durch das Recherchenetzwerk International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) veröffentlichte Dokumente zeigen aber: Viele der Siegel sind aus gänzlich anderem Holz geschnitzt als sie vorgeben – mit „verheerenden“ Folgen.

140 Journalisten und Journalistinnen von rund 40 Medienunternehmen, darunter ORF und „profil“, untersuchten im Zuge des Rechercheprojekts „Deforestation Inc.“ über neun Monate die Taktiken der vermeintlich nachhaltigen Holzindustrie. Sie folgten den Spuren der Holzfäller in kahlgeschlagene Waldschutzgebiete, sprachen mit Mitgliedern indigener Gemeinschaften, Naturschutz-NGOs, Forstwirtschaftsprüfungsunternehmen und Brancheninsidern. Sie untersuchten Hunderte von Gerichtsakten, Inspektionsberichte und geleakte Dokumente in unzähligen Sprachen.

„Das Projekt umspannte die ganze Welt“, heißt es in den ICIJ-Dokumenten, die ORF.at vorliegen. Die Recherche erstreckte sich von den Tiefen des Amazonas-Regenwalds in Brasilien über Indigenengebiete in den USA und Kanada bis hin zu den dichten Wäldern Europas, etwa in Finnland, Rumänien und Kroatien, weiter zu tropischen Urwäldern Indonesiens und Naturschutzregionen Südkoreas.

„Unter dem Banner der Nachhaltigkeit“

Das Ergebnis der Analyse: Seit 1998 wurden rund 340 Holzunternehmen der Umweltverbrechen bezichtigt. Und: 48 Umweltprüfungsunternehmen wie das Deutsche TÜV und das Schweizer SGS hätten die Forstunternehmen trotz großer Versäumnisse als nachhaltig zertifiziert.

„Die Ergebnisse des ICIJ zeigen, wie einige Unternehmen ihr Engagement für die Beendigung der globalen Klimakrise falsch darstellen, während sie unter dem Banner der Nachhaltigkeit wertvolle natürliche Ressourcen ausbeuten“, heißt es in dem Bericht.

FSC-Zertifikat in Wald
IMAGO/Mike Schmidt
„FSC steht für ökologische und sozial gerechte Waldwirtschaft weltweit“, doch Fachleute kritisieren die Standards als zu niedrig

„Das ganze System funktioniert nicht“

Die Palette der Vorwürfe, die sich gegen die Unternehmen richten, ist breit: illegale Abholzung in geschützten Wäldern – teils auch in indigenen Gebieten, Fälschen von Genehmigungen zur Ausfuhr des Holzes, Menschenrechtsverletzungen, Ausbeutung von Arbeitern, Täuschung von Shareholdern sowie Kunden und Kundinnen. Vor allem aber geht es um die Nachhaltigkeitszertifikate, die oftmals, so legen es die Dokumente nahe, mehr Schaden als Nutzen anrichten. Ein Schaden, der „verheerend und dauerhaft“ sein kann.

Das zwielichtige Geschäft mit Holz

Vom International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) veröffentlichte Dokumente zeigen, dass viele der Holzgütesiegel nicht halten, was sie versprechen.

Gregoire Jacob, ein in der Forstindustrie tätiger Berater, fällt gegenüber ICIJ-Partner Radio France ein vernichtendes Urteil: „Wir verlassen uns auf Zertifizierungen. Doch das ganze System funktioniert nicht. Wir werden im Glauben gelassen, dass es sich um gute Produkte handelt. Manchmal ist das wahr. Manchmal aber auch falsch.“

Ähnlich äußert sich der kanadische Biologe Bob Bancroft: Viele Konsumenten und Konsumentinnen fühlten sich angesichts der enormen Waldzerstörung erleichtert, wenn sie ein grünes Label auf einem Produkt sehen würden. „Sie denken dann, alles wäre in Ordnung, und sie könnten beim Kauf ein reines Gewissen haben. Und genau das ist das Falsche, das hier passiert.“

Amazonas Regenwald, Vogelperspektive
AP/Edmar Barros
Vom Amazonas-Regenwald über Kroatien bis Südkorea: Das ICIJ-Rechercheprojekt „Deforestation Inc.“ umspannt die ganze Welt

Antwort auf laxe Gesetze

Dabei war das Konzept, Waldwirtschaft auf freiwilliger Basis nachhaltig zu gestalten und als solche auszuweisen, einst genau als Gegenteil ins Leben gerufen worden – nämlich als Antwort auf zu laxe Gesetze und Regulierungen seitens der Regierungen und Staaten.

So meint auch der Direktor der Organisation Forest Stewardship Council (FSC), Kim Carstensen: „In einer idealen Welt würden die Regierungen eine größere Rolle beim Schutz der Wälder spielen. Aber die Realität ist: Wir leben nicht in einer idealen Welt.“

In den ICIJ-Recherchen heißt es dazu: „In Ländern, in denen der illegale Holzeinschlag weit verbreitet ist und die Forstwirtschaft lax gehandhabt wird, halten Experten diese freiwilligen Systeme für besser als gar keine Überwachung.“

TV-Hinweis

„Eco“ berichtet am Donnerstag um 22.30 in ORF2 über die Abholzung in einem Naturschutzgebiet in Kroatien – mehr dazu in tv.ORF.at.

Unfreiwillig freiwillig

Weiter ist zu lesen: „Nachhaltigkeitszertifizierungen privater Einrichtungen sind zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben, aber sie sind für Unternehmen, die mit Holz und anderen mit der Abholzung verbundenen Rohstoffen handeln, diese produzieren oder verwenden, praktisch ein Muss.“

In Zeiten des zunehmenden Klimabewusstseins hätten in den vergangenen zwei Jahrzehnten Unternehmen ihre Beteiligung an freiwilligen Forstzertifizierungssystemen vor allem dafür genutzt, um Kunden und Aktionärinnen zu zeigen, dass sie sich zu „Umwelt-, Sozial- und Governance“-Richtlinien (ESG) verpflichtet haben und dass ihre Praktiken die Umwelt nicht schädigen.

FSC Zertifikat auf Weihnachtsbaum
IMAGO/Sämmer/Stefan F.
„Wälder für immer, für alle“: Manchmal steht hinter Versprechungen lediglich Greenwashing

„Unregulierte“ Branche in Milliardenhöhe

Doch Fachleute kritisieren die Standards der Zertifizierungen als inadäquat und die Prozeduren als ineffektiv. „Zertifizierungen sind nach wie vor ein probates Mittel zur Risikominderung“, so der brasilianische Forstwirtschaftsprüfer Marcos Planello. „Aber wenn ein Unternehmen etwas falsch machen will, kann es das auch tun.“

Holz im Zwielicht

Zehn Milliarden Dollar werden jährlich mit Gütesiegeln für Holz weltweit umgesetzt, doch an der Arbeit dieser Zertifizierungsstellen gibt es erhebliche Zweifel.

Denn im Gegensatz zu ihrem streng regulierten Gegenstück der Finanzprüfung unterliege die Umweltprüfung „weit weniger Regeln und Richtlinien“. In der Tat sei die Umweltprüfung weitgehend unreguliert, meint auch Jonathan White, Anwalt bei ClientEarth und Experte für Unternehmensverantwortung und Klimarisiken. Und das, obwohl es sich laut ICIJ dabei um eine „wachsende Zehn-Milliarden-Dollar-Branche“ handelt.

FSC bis PEFC mit Unterstützung von KPMG bis PwC

Das Herzstück dieses „selbstregulierenden Systems“ seien ICIJ zufolge internationale Organisationen wie FSC, das Programme for the Endorsement of Forest Certification (PEFC) und der Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO). Diese Organisationen würden sich wiederum auf Wirtschaftsprüfungsunternehmen wie KPMG, PwC, E&Y und Deloitte stützen.

In den ICIJ-Dokumenten ist zu lesen: „Die Prüfer führen in der Regel Risikobewertungen für ihre Kunden durch, inspizieren Fabriken, befragen die Förster des Unternehmens und stellen sicher, dass Betrieb und Produkte mit den von privaten Zertifizierungsorganisationen entwickelten freiwilligen Umweltstandards übereinstimmen.“

Waldflächen in Größe der EU verschwunden

Doch wie mittlerweile auch in vielen Wäldern klafft hier zwischen Theorie und Praxis eine große Lücke. Ein Blick auf die Zahlen zeigt nämlich: Seit 1990 sind Waldflächen verschwunden, deren Ausdehnung jene der gesamten EU überschreitet. „Und immer mehr Wälder verschwinden aufgrund fälschlich zertifizierter Holzprodukte“, wie im ICIJ-Bericht zu lesen ist.

So rühmen sich die Organisationen FSC und PEFC etwa damit, 790 Millionen Hektar Wald und Tausende Produkte auf der ganzen Welt als nachhaltig klassifiziert zu haben, doch Fachleute kritisieren auch hier die zu niedrigen Standards.

Blick auf Wald im Winter, Vogelperspektive
ORF
„Das, was hier passiert ist skandalös, denn wir sind in einem geschützten Gebiet", so die NGO Green Squat über die Abholzung kroatischer Wälder
Auch auf Satellitenbildern sind die Abholzungen im kroatischen Naturschutzgebiet Crna Mlaka von Juli 2022 bis Februar 2023 (siehe auch Bild oben) zu sehen. Die verschiedenen Bilder können nach Aufnahmezeitpunkt rechts oben ausgewählt werden.

„Skandalöser“ Kahlschlag in Kroatien

Was das konkret für die Wälder bedeutet, zeigt sich etwa auch in Kroatien. Ein Lokalaugenschein von ORF-Journalistinnen bringt ein fragliches Bild zutage. So stehen in einem Naturschutzgebiet südwestlich von Zagreb Waldflächen zwar unter dem Schutz von Natura 2000 – laut der NGO Green Squat konnten aber selbst hier Abholzungen im großen Ausmaß dokumentiert werden: „Das, was hier passiert, ist skandalös“, meint etwa Vesna Gregic von der NGO. Satellitenaufnahmen zeigen, dass allein im vergangenen halben Jahr 60 Hektar Wald verschwunden sind.

Die Kroatien Forste, in dessen Besitz ein Großteil der Flächen sind, weisen die Vorwürfe zurück. Es handle sich nicht um Entwaldung, sondern lediglich um „Regeneration“, bei der der reife Bestand nach und nach durch jungen Wald ersetzt werde und die „Kontinuität des Waldes gewährleistet wird“.

Dass das Vorgehen legal ist, bestätigen auch die Zertifizierer von FSC. Seitens der Organisation heißt es: „Während unserer über 20-jährigen FSC-Auditierung in Kroatien habe man keine Entwaldung in den Wäldern feststellen können.“

Luftaufnahme des Naturschutzgebiets Varoski Lug 2011
Luftaufnahme des Naturschutzgebiets Varoski Lug 2022
Google Earth/Natura2000 Google Earth/Natura2000
Die Abholzungen (orange umrandet) im Natura-2000-Schutzgebiet (gelb umrandet) Varoski Lug sind auch auf Satellitenbildern sichtbar. Zum Vergleichen den blauen Button nach links und rechts bewegen.

Razzien bei Holzindustrie mit Österreich-Bezug

Auch Österreichs Unternehmen kamen in der Vergangenheit immer wieder ins Visier investigativer Medien. Die drei Holzunternehmen HS Timber, Egger und Kronospan wurden mit Vorwürfen konfrontiert, über zahlreiche Zwischenhändler auch illegal geschlägertes Holz bezogen zu haben. Zuletzt fand etwa im September vergangenen Jahres eine Razzia in Rumänien statt. Besucht wurden nach Recherchen von ORF, „profil“ und „Spiegel“ auch rumänische Ableger von Egger.

Auf die Frage von ORF.at nach dem Stand der Ermittlungen verweist man seitens des Unternehmens auf die Tatsache, dass Egger „kein Beschuldigter“ ist. Und: „Auch für unsere Lieferanten und Zulieferbetriebe hat die Unschuldsvermutung zu gelten, die behördlichen Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.“ Egger vertrete eine „Null-Toleranz-Politik“ bei illegalem Holzeinschlag, die mit „strengen Kontrollen“ sowie dem Überwachungsabkommen mit der SGS sichergestellt werde.

Für HS Timber stelle eine Zertifizierung „nur einen Bestandteil“ dar, um den Holzbezug aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern sicherzustellen. Zudem gebe es noch interne Prüfsysteme und ein weiteres Sicherheitsnetz, das mit einem GPS-Trackingsystem operiere, wie es gegenüber ORF.at heißt. Von Kronospan gab es keine Stellungnahme.

Bärenfamilie neben abgeholztem Waldstück
Getty Images/Staffan Widstrand
Mit der Abholzung der Wälder geht auch die Zerstörung des Lebensraums der Wildtiere einher

Rodungen als Brandbeschleuniger für Klimakrise

Die Rodung von Wäldern, egal ob für landwirtschaftliche Zwecke, Infrastrukturprojekte wie Straßenbau oder eben für die Nutzung für industrielle Produkte würden Fachleuten zufolge zu den Hauptursachen der Klimakrise zählen. Die Wissenschaft schätzt, dass diese Praktiken für mehr als zehn Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind.

Zudem verschlimmert die Zerstörung von Wäldern Überschwemmungen und Dürren, trägt zum Verlust des Lebensraums für Wildtiere und der Artenvielfalt bei und erhöht die Möglichkeiten für das Auftreten von Infektionskrankheiten – von die nicht zuletzt auch der Mensch betroffen sein könnte.

Verheerende Verluste

Danial Dian Prawardani, indonesischer Forscher im Bereich der Waldüberwachung, meint dazu: „Selbst wenn die Täter bestraft werden, können die Strafen die Zerstörung von Wäldern, Lebensräumen für Wildtiere und Land der indigenen Völker nicht ausgleichen.“ Denn: „Die tatsächlichen Verluste übersteigen bei Weitem die materiellen Bußgelder, da die tatsächlich ökologischen Schäden und die sozialen Auswirkungen niemals gemessen werden können.“

Nach und nach würden, so ICIJ, die Regierungen der Welt aufwachen und den falschen Behauptungen der Unternehmen stärker Beachtung schenken würden. Doch bisher hätten nur einige wenige Länder konkrete Maßnahmen ergriffen – darunter etwa Großbritannien, die Niederlande und Australien.

Auch die EU will Greenwashing in Zukunft stärker sanktionieren. Auf dem Klimagipfel im schottischen Glasgow verpflichteten sich bereits mehr als 100 Staaten dazu, die Zerstörung von Wäldern bis 2030 zu beenden. Bis es tatsächlich so weit ist, dürften jedoch noch viele Hektar Wald abgeholzt und grün angestrichen werden.