Eine junge Verkäuferin in einer Teehandlung
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Mehr Vollzeit

Geringfügige Jobs geraten in Fokus

In der Debatte über mehr Vollzeittätigkeit rücken zunehmend geringfügige Jobs ins Blickfeld. Denn wer weniger als 500 Euro verdient, zahlt keine Sozialabgaben und Steuern. Die langfristig schwerwiegenden Nachteile werden dabei gern ausgeblendet. Sowohl für Arbeitnehmerinnen und -nehmer als auch für Unternehmen hat Geringfügigkeit oft einen großen Reiz. Genau deshalb ist es aber politisch ein heißes Eisen.

AMS-Chef Johannes Kopf hatte zuletzt die Geringfügigkeit als mögliche Schraube im Bemühen, mehr Menschen zu Vollzeittätigkeit zu bewegen, ins Spiel gebracht. Er sprach sich für eine Änderung der Geringfügigkeitsgrenze – seit Jahresbeginn liegt diese bei 500 Euro – aus. Die steuerliche und abgabenmäßige Bevorzugung von nicht Vollzeitarbeit sollte überdacht werden, schlug der AMS-Chef in die gleiche Kerbe wie zuletzt ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher und viele Wirtschaftsvertreter. Als Variante schlug Kopf vor, schon darunter Sozialversicherungsbeiträge zu verlangen, und nannte als möglichen Betrag 70 Euro.

Damit hat die Debatte in gewisser Weise eine Zeitreise angetreten: Denn die Geringfügigkeit war erst im vergangenen Dezember einer der Hauptgründe dafür, dass die von ÖVP und Grünen fast fertig ausgehandelte Arbeitsmarktreform im Dezember scheiterte. Damals wollte die ÖVP die Zuverdienstgrenze für Arbeitslose streichen, was die Grünen strikt ablehnten. Sie sehen darin ein wichtiges Instrument für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt und um das Absinken in Armut zu vermeiden. Die ÖVP hatte ihrerseits eine Anhebung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe verweigert.

AMS-Chef Johannes Kopf über Arbeitszeitmodelle

Der Vorstand des Arbeitsmarktservice (AMS), Johannes Kopf, spricht über Vor- und Nachteile von verschiedenen Arbeitszeitmodellen.

Ganz unterschiedliche Lebenslagen

Geringfügig beschäftigt sind freilich nicht nur Arbeitslose. Volkswirtschaftlich lassen derzeit zwei Faktoren – die zusehends ältere Bevölkerung und die in vielen Branchen drastisch fehlenden Arbeitskräfte – eine Verringerung von Geringfügigkeit und Teilzeit und einen Ausbau der Vollzeittätigkeit für geboten erscheinen. Daneben geht es um die Frage der individuellen Freiheit und einem Bedeutungswandel von Arbeit, Stichwort: Work-Life-Balance.

Geringfügig beschäftigt sind überwiegend Frauen, die oft bei ihrem Mann mitversichert sind, und für eine Aufstockung des Haushaltseinkommens sorgen. Für viele ist es aber auch die Möglichkeit, sich mit einem zusätzlichen Nebenjob das Gehalt aufzubessern, das Studium mitzufinanzieren oder die Pension aufzubessern. Geringfügigkeit wird auch von gut situierten Menschen, viel öfter aber von finanziell Schwachen oder Armutsgefährdeten genutzt, um überhaupt über die Runden zu kommen.

Diese sehr unterschiedlichen Motive machen es freilich auch für die Politik schwer, hier sinnvoll einzugreifen, ohne vielleicht Menschen, sprich: Wählerinnen und Wähler – vor den Kopf zu stoßen.

60 Prozent Frauen

Um die Dimension des Phänomens etwas einzuordnen: Im Jänner waren fast 340.000 Menschen geringfügig beschäftigt – 60 Prozent davon Frauen. Zum Vergleich: Laut Beschäftigtenstatistik der Sozialversicherung waren im Jänner fast 3,9 Millionen Menschen in Beschäftigung. Geringfügig Beschäftigte sind darin nicht erfasst.

Klar ist: Geringfügige Beschäftigung hat für Betroffene gewichtige Nachteile, selbst im Vergleich zu Teilzeit: Betroffene sind nicht kranken- oder pensionsversichert, im Fall einer Kündigung bekommen sie kein Arbeitslosengeld. Die Pandemie zeigte besonders deutlich, dass geringfügig Beschäftigte als Erste von Kündigungen betroffen sind – und dann eben kein Sicherheitsnetz haben. Denn geringfügig Beschäftigte können zumindest freiwillig selbst in die Kranken- und Pensionsversicherung einzahlen. Bei der Arbeitslosenversicherung ist das nicht möglich.

Ganze Branchen profitieren

Geringfügigkeit ist auch für Unternehmen attraktiv – die Sozialabgaben betragen nur einen Bruchteil, und in vielen Branchen ergibt sich bei der Einteilung der Arbeit dadurch mehr Flexibilität. Wie die Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt in der Arbeiterkammer, Silvia Hofbauer, gegenüber ORF.at betonte, sei Geringfügigkeit vor allem in den Branchen Handel, Gastronomie und beim Taxigewerbe beliebt.

Hofbauer sieht durchaus Reformbedarf, warnt aber ausdrücklich vor einem Schnellschuss. Denn das Thema sei komplex, und eine Änderung habe Auswirkungen auf viele Bereiche – von den verschiedenen Sozialversicherungssystemen bis hin zum Arbeitsrecht.

AK: Arbeitgeber gefragt

Es sei wichtig, dass man alle Aspekte gemeinsam anschaue – und dazu sollte die Regierung idealerweise die Fachleute der Sozialpartner einbinden. Denn in der Sozialpartnerschaft sei eine Neuausrichtung schon länger Thema, bestätigte Hofbauer. Sie betonte zugleich, Veränderung dürfe man in der gesamten Arbeitszeitdebatte nicht nur von den Arbeitnehmern fordern, da seien die Arbeitgeberinnen mindestens ebenso gefragt.

WKO: In einem Punkt Reformbedarf

Die Wirtschaftskammer sieht laut eigenen Angaben nur in einem Punkt Reformbedarf – nämlich bei der Möglichkeit, „unbefristet neben dem Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe geringfügig hinzuzuverdienen“. Auch das AMS sehe das als „kontraproduktiv“. Diese Kombination stelle für die Betroffenen eine Armutsfalle dar. Die WKO fordert daher die Einschränkung der Zuverdienstmöglichkeit für Arbeitslosengeld- oder Notstandshilfeempfängerinnen und -empfänger.

Zur Erinnerung: Genau das Austarieren von geringfügiger Beschäftigung bei Arbeitslosen (Einschränkung oder Verbot) einerseits und die Neugestaltung des Arbeitslosen- und Notstandshilfebezugs (sprich: Anhebung) andererseits hatten sich bereits im Dezember als unüberwindliche Hürde erwiesen und die Arbeitsmarktreform zum Scheitern gebracht. Und an dieser Ausgangslage hat sich nichts Wesentliches geändert.