Bild von Frau auf Handy mit und ohne Filter
ORF/Mona Harfmann
Neuer TikTok-Filter

Teenager in der Schönheitsfalle

Die Videoplattform TikTok gilt als eine der beliebtesten Social-Media-Anwendungen überhaupt – und sorgt wie kaum ein anderes soziales Netzwerk regelmäßig für Kontroversen. Besonders gespalten zeigen sich TikTok-User derzeit über einen Filter, der Gesichter „optimieren“ soll. Während die einen die vermeintliche Echtheit des „Bold Glamour“-Effekts loben, sehen andere einmal mehr die psychische Gesundheit und das Selbstwertgefühl jugendlicher Nutzerinnen und Nutzer in Gefahr.

Ganz neu ist das Filterphänomen nicht: In den letzten zehn Jahren haben sich zahlreiche Social-Media-Plattformen regelmäßig mit überzeichneten und schrillen Filtern wie Hundeschnauzen und Katzenohren überboten. Die interaktiven, KI-programmierten Masken, die auf bestimmten Apps über die Frontkamera eines Smartphones aufgerufen werden können, haben sich in den letzten Jahren aber rasant weiterentwickelt, so die britische Nachrichtenplattform Independent. Sie seien präziser geworden und würden immer besser trainiert werden, um die Gesichter von Menschen in Echtzeit zu verändern.

Dienten sie früher noch zu Spaßzwecken – etwa, um sich auf einem Foto in ein Tier zu verwandeln oder eine Blumenkrone aufzusetzen – geht es mittlerweile vor allem darum, das eigene Gesicht zu optimieren: Indem, etwa mit Hilfe des „Bold Glamour“-Filters, Falten geglättet, Lippen vergrößert, Wangen geschmälert und Wimpern verlängert werden. „Die Tage von Blumenkronen und Welpenfiltern sind vorbei“, schreibt eine Userin dazu auf Twitter. „TikTok ist voll im Krisenmodus wegen des ‚Bold Glamour‘-Filters.“

Tiktok-Video einer Person mit und ohne KI-Filter auf einem Smartphone
ORF
Der „Bold Glamour“-Filter beschert einem unter anderem dichtere Augenbrauen, härtere Konturen und glattere Haut

Dass der Effekt nicht einmal von einer Hand gestört wird, die über das Gesicht fährt, und somit umso realistischer wirkt, wird nicht von allen Userinnen und Usern positiv gesehen. „Das vermittelt den Eindruck von Körperdysmorphophobie“, schreibt eine weitere Userin. „Ich weiß wirklich nicht, wie sich unsere jungen Leute mit solchen Schönheitsfiltern in ihrem Aussehen wohlfühlen können“, schreibt eine andere. „Sie fördern eine völlig unrealistische Erwartung an Schönheit.“

Unrealistische Erwartungen an eigenen Körper

Gerade im Hinblick auf das Alter der jungen Nutzerinnen und Nutzer werden zunehmend Bedenken laut, welchen Effekt die Filter auf das Selbstwertgefühl der Teenager haben können. Weltweit hat TikTok Berichten zufolge über eine Milliarde aktive monatliche Nutzerinnen und Nutzer – die meisten von ihnen sind unter 30 bzw. im Teenageralter. Allein in Österreich nutzen etwa 70 Prozent der elf- bis 15-jährigen Kinder und Jugendlichen die Onlineplattform.

Seien insbesondere Mädchen und junge Frauen um die Zweitausenderwende noch dem „Size Zero“-Schönheitsideal ausgesetzt gewesen, so seien es inzwischen Gesichtsfilter, die die Generation Z dazu bringen würden, völlig unrealistische Erwartungen an ihren Körper und ihr Gesicht zu haben, schreibt die Zeitschrift „Grazia“.

Auf der einen Seite seien die Entwicklungen der KI aufregend – denn die Filter sehen mittlerweile täuschend echt aus. Wenn man bei Videos in sozialen Netzwerken nicht mehr unterscheiden könne, was Realität ist und was digital verbessert wurde, öffne sich jedoch „ein gefährliches Wespennest“.

Teenage-Face-Filter „besorgniserregend“

Aber nicht nur bei Teenagern sorgen Filtertrends derzeit für Kontroversen. Der Teenage-Face-Filter, der das Gesicht von Erwachsenen so verändert, dass es vermeintlich wieder jugendlich aussieht, wurde vor allem bei älteren Userinnen und Usern bereits über eine Million Mal angewandt.

„Dieser neue Teenage-Face-Filter ist so besorgniserregend – und er ist bereits unglaublich populär“, schreibt dazu die Körperbewusstseins-Influencerin Danae Mercer Ricci auf Instagram. „Dieses Zeug macht mir mit seinen Implikationen Sorgen. Das Gesicht eines jungen Mädchens auf dem Körper einer Frau hat etwas Unheimliches, aber auch Gefährliches an sich.“

Ein User teilte die Sorge und schrieb unter das Video, dass es einfacher sei, sich mit dem Filter als Jugendlicher im Internet auszugeben. „Ich verstehe einfach nicht, warum sie das Teenager-Gesicht nennen? Mein Teenager-Gesicht hatte Pickel, eine kleine Stirn und volle Wangen“, schrieb ein anderer unter den Beitrag. „Das sieht für mich wie ein Kleinkindgesicht aus.“

Anstieg bei Schönheitsoperationen

Laut dem Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) zeigt der Trend zu bearbeiteten Bildern und Videos in sozialen Netzwerken auch im echten Leben bereits Folgen. Social Media würde bei vielen Jugendlichen zu einem steigenden Realitätsverlust führen und sie unter Druck setzen, so aussehen zu müssen wie die bearbeiteten Selfies, heißt es.

Das Phänomen namens „Snapchat-Dysmorphophobie“ – benannt nach der App Snapchat, die zu den ersten gehörte, die Filterfunktionen anbot – würden bereits mehr als die Hälfte der plastischen Chirurginnen und Chirurgen in den USA beobachten. In Deutschland gaben im Jahr 2022 von 1.636 Schönheits-OP-Patienten 10,6 Prozent an, dass Postings auf Social Media sie in ihrer Entscheidung beeinflussten – 2021 waren es noch vier Prozent. Bei Patientinnen und Patienten unter 30 Jahren steigerte sich die Zahl noch stärker, von neun Prozent (2021) auf 20,9 Prozent (2022).

In Österreich wird laut IMABE vor allem ein Anstieg bei Botoxspritzen verzeichnet, insbesondere bei der Altersgruppe der 19- bis 34-Jährigen. „Dieser Drang nach Perfektion, der auf Social Media vermittelt wird, verzerrt sowohl von Frauen als auch Männern das Bild – egal ob jung oder alt“, so der plastische Chirurg Rolf Bartsch, der sich in sozialen Netzwerken gegen gefährliche Beautytrends ausspricht, gegenüber ORF.at. Dass TikTok dabei zunehmend eine Rolle spiele, falle ihm erst seit einem Jahr auf. Generell stehe bei allen Behandlungen das Gesicht im Vordergrund, invasive Behandlungen seien auf dem Vormarsch.

Rufe nach mehr Aufklärung und Authentizität

Filter könnten durchaus auch Spaß machen, schreibt die deutsche „Cosmopolitan“ – sie würden aber auch deutlich machen, wie wichtig es sei, dass gerade bei jungen Menschen verstärkt auf digitale Aufklärung gesetzt wird. Gleichzeitig formiert sich auf TikTok und Instagram auch eine Gegenbewegung, die den Filter anwendet, um auf seine Gefahren hinzuweisen – und bewusst unbearbeitete Anti-Hochglanz-Videos von sich teilt.

„Ich bin gerade aufgewacht. So sehe ich jetzt nicht aus. Dieser Filter sollte illegal sein. Hier ist mein wahres Ich“, sagt etwa eine TikTok-Nutzerin. Instagram-Accounts mit Namen wie „Embracing Reality“ vergleichen Bilder aus dem echten Leben mit gestellten Bildern aus sozialen Netzwerken – und sprechen damit Hunderttausende Follower an.

Inmitten einer politischen Kontroverse über Datenschutzbedenken hat TikTok kürzlich neue Sicherheitsfunktionen für Teenager angekündigt. Die Maßnahmen sollen die Anwenderinnen und Anwender in die Lage versetzen, die mit TikTok verbrachte Bildschirmzeit besser zu kontrollieren, erklärte das Unternehmen in Berlin. Außerdem sollen Eltern von Minderjährigen die TikTok-Nutzung ihrer Kinder besser im Blick haben können.