Peter Weibel in seinem Büro in Karlsruhe
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1944–2023

Medienvordenker Peter Weibel ist tot

Der österreichische Medienkünstler, Theoretiker, Kurator und langjährige Chef des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) im deutschen Karlsruhe, Peter Weibel, ist tot. Weibel hatte eigentlich gerade das Großvorhaben, von Karlsruhe nach Wien zurückzuziehen – samt 120.000 Büchern im Gepäck, aus denen er eine „bewohnbare Bibliothek“ machen wollte, die eine Wohnung ersetzen sollte. Nicht nur für Österreich ist das Ableben dieses Vordenkers von Medienentwicklungen ein schwerer Schock.

Die Meldung, Weibel sei tot, verbreitete sich Donnerstagmittag wie eine Schocknachricht. Am Wochenende, am 5. März, sollte Weibel eigentlich seinen 79. Geburtstag begehen und seine endgültige Rückreise von Karlsruhe nach Wien antreten. Eben hatte das ZKM in Karlsruhe einen großen Teil seines Nachlasses erworben, den der niemals müde und immer schneller als der Rest der Welt sprechende Weibel in den letzten 25 Jahren auch in der badischen Stadt geschaffen hatte.

Radiohinweis

Ö1 sendet ein eigenes Special zum Thema „Peter Weibel und die Musik“ – mehr dazu in oe1.ORF.at.

Tief betroffen von Weibels Tod zeigte sich seine frühere Partnerin Valie Export. „Mit Freude und großer Sympathie haben wir beide weiteren Gesprächen in Wien entgegengeblickt“, so Export, die daran erinnerte, wie sehr sie sich beide seit den Aktionen der 1960er Jahre gegenseitig inspiriert hätten.

Jetzt ist Weibel nicht mehr. Wie sich die Botschaft von seinem Tod verbreitet hat, hätte niemand besser erklären können als Weibel selbst. Er war der Theoretiker und Vordenker von Medienrevolutionen, allen voran jener der Telegrafie und aller Folgen, die daraus entstanden sind. Weibel tat das immer ein bisschen atemlos – nicht, weil ihm das Thema zu groß war, sondern weil er immer wohl von der Ahnung getrieben war, das Leben sei zu kurz für alles, was zu sagen und zu denken ist.

Nachruf auf Künstler Peter Weibel

Der österreichische Künstler, Ausstellungskurator und Medientheoretiker und Mitbegründer des Wiener Aktionismus hat seit den 1960er Jahren an der Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst gearbeitet. Am Sonntag hätte er seinen 79. Geburtstag gefeiert.

Als Denker liebte Weibel die Kontroversen und war mit seinem Werk, das alle Medien einschließen wollte, schon in der Postmoderne unterwegs, als man den Begriff der Moderne in Österreich noch nicht einmal verdaut hatte. Die Art, wie Weibel Konventionen antastete, machte ihn zum gefragten Lektor – „von Kassel bis Halifax“, wie die APA süffisant schreibt.

Tabubrecher und Medienpädagoge

Weibel war ein Tabubrecher, nicht zuletzt mit den gemeinsamen Aktionen mit Valie Export, in denen die Frage des Verhältnisses der Geschlechterordnungen auf eine provokante und über die damals gesetzlich geltenden Rahmen auf den Punkt und in Performances gebracht werden sollte. Früh befasste er sich mit den Fragen von Video- und Computerkunst und virtuellen Räumen. Sein Werk ist bereits ab der Mitte der 1960er Jahre von interaktiven Praktiken gekennzeichnet, ab den 1990ern waren interaktive Computerinstallationen Teil von Weibels Handschrift.

TV-Hinweis

ORF III bringt am Freitag um 19.40 Uhr ein „kultur heute“,, das dem Gedenken an Peter Weibel gewidmet ist.

Weibel war nicht zuletzt auch ein Didakt, der die Menschen Medien „begreifen“ lassen wollte. So lieferte er für die Biennale in Venedig Mitte der 1990er Jahre als Konzept die Auslieferung schwerer Kataloge zur Wiener Gruppe aus, die im legendären österreichischen Pavillon in den Giardini auf Paletten lagen und weggetragen werden sollten.

Türschild des Büros von Peter Weibel
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Weibels Büro – die Anhäufung der Gedanken und Ideen als mediale Materialität, nicht Unordnung

Von Odessa nach Ried und dann nach Paris

Weibel, der 1944 als Kind einer Russlanddeutschen mit einem Wehrmachtsoffizier in Odessa geboren worden war, wuchs nach dem Krieg in Ried im Innkreis auf. Weibels Wirkungsstätte sollte zunächst Paris, danach Wien werden.

Nach der Schule studierte er für ein Jahr in Paris Französisch, Film und Komparatistik, begann 1964 in Wien zunächst ein Studium der Medizin und wechselte dann zur Mathematik mit dem Schwerpunkt Logik, das er jedoch nicht abgeschlossen hat.

Ausgehend von semiotischen und linguistischen Überlegungen entwickelte Weibel eine künstlerische Sprache, die ihn ab 1965 von der experimentellen Literatur zur Performance führte. Die Aktionen um das „erweiterte Kino“, inspiriert vom Expanded Cinema der USA, machten ihn ebenso über die Grenzen Österreichs bekannt wie die Kunstaktionen mit Valie Export im Rahmen des Wiener Aktionismus.

1968 war er maßgeblich an der Organisation der skandalumwitterten Aktion „Kunst und Revolution“ mit u. a. Günter Brus und Otto Mühl an der Uni Wien beteiligt. Zehn Jahre später wandte er sich der Musik zu und gründete zusammen mit Loys Egg die Band Hotel Morphila Orchester. Die Zuneigung zur Musik ging ihm nie ganz verloren. Noch 2013 gab er beim Kremser donaufestival ein „3D-Rausch-Konzert“, das natürlich multimedial ablief.

Peter Weibel in seinem Büro
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Genau so war Peter Weibel. In seinem Büro im ZKM.

Legendäre Aktionen auch im ORF

Mit seinen Fernsehaktionen, den teleaktionen, die der ORF 1972 im Rahmen der Sendung „Impulse“ ausstrahlte, überschritt er die Grenzen des Galerieraumes und untersuchte die Videotechnik in ihrer Anwendung im Massenmedium Fernsehen.

Weibel war langjähriger Leiter von Institutionen wie der Ars Electronica in Linz, dem Institut für Neue Medien in Frankfurt am Main und schließlich dem ZKM Karlsruhe, das zuletzt einen Teil seines Vorlasses erwarb.

Weibel wurde über die Jahre zum führenden Medienvordenker in Europa, lange bevor das Internet zur Alltagsanwendung wurde. Weibels Medienbegriff war stets ein erweiterter.

Weibel und der „offene Brief“ zur Ukraine

In der Öffentlichkeit umstritten war ein offener Brief gegen Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, den Weibel gemeinsam mit „Emma“-Gründerin Alice Schwarzer entscheidend initiiert hatte. Weibel verteidigte danach seine Beweggründe. „Von einer bedingungslosen Kapitulation der Ukraine kann nicht die Rede sein. Der Kompromiss wird darin bestehen, dass die Krim und die Teilrepubliken Donbas, Donezk sowie Luhansk anerkannt werden. Je früher man sich auf diesen Kompromiss einigt, umso weniger Gräueltaten werden verübt“, so Weibel im Vorjahr.

Hinzu fügte er: „Die Rhetorik, mit der die Unterzeichnerinnen des Briefes überschüttet werden, erinnert nicht an die freie Welt, sondern eher ans russische Staatsfernsehen, das auch die Gegner mit Spott und Hohn überschüttet.“

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Peter Weibel bei der gemeinsamen Aktion mit Valie Export „Underground Explosion“ im Volkshaus Zürich 1969
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Peter Weibel bei der gemeinsamen Aktion mit Valie Export „Underground Explosion“ im Volkshaus Zürich 1969
Wegen Pornographie und Verstoßes gegen das Schmutz- und Schundgesetz wurden Peter Weibel und Valie Export 1971 vor dem Wiener Jugendgericht
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Export und Weibel: Wegen Pornografie und Verstoßes gegen das Schmutz- und Schundgesetz vor dem Wiener Jugendgericht 1971
Peter Weibel bei einer Performance im Hotel Orient
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Weibel bei einer Performance im Hotel Orient
Peter Weibel bei einer Performance in der Galerie St. Stefan in Wien – links im Bild m. weissem Kopftuch Susanne Widl
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Weibel bei einer Performance in der Galerie St. Stefan in Wien

Traum von einer bewohnbaren Bibliothek

Ende März, nach fast einem Vierteljahrhundert, wollte Weibel Karlsruhe verlassen und mit seinen 120.000 Büchern nach Wien übersiedeln. Weibels großes Projekt hieß: die bewohnbare Bibliothek.

„In Wien will ich zwei Containertürme für meine Bücher bauen“, sagte Weibel. Der Clou war ein Aufzug in der Mitte. Er solle nicht zu einer Wohnung führen, sondern diese ersetzen. „Der Aufzug ist die Wohnung. Ich werde also in einem großen Lastenaufzug arbeiten, schreiben und schlafen“, sagte Weibel. Im Erdgeschoß sollte es ein Bad geben. Eine Küche brauche er nicht – zum Essen gehe er ins Restaurant.

„Weibels Tod trifft uns unerwartet“

„Mit Peter Weibel hat Österreich einen seiner vielfältigsten und inspirierendsten Künstler verloren“, zeigte sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen betroffen vom Ableben Weibels. Weibel hinterlasse ein Werk, das auch weiterhin eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration bleiben werde.

Einen großen Pionier mit weitreichendem Einfluss sieht Grünen-Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer in Weibel. „Mit Peter Weibel verlieren wir nicht nur einen herausragenden, einmaligen, künstlerischen Vordenker, sondern einen unglaublich sympathischen, klugen und warmherzigen Menschen. Es war eine beglückende Nachricht, er würde nun, in seinem Ruhestand, nach Österreich zurückkehren. Umso schmerzhafter ist nun die Gewissheit seines endgültigen Verlustes“, so Mayer.

Tief betroffen vom Tod Weibels zeigte sich SPÖ-Kultursprecherin Gabriele Heinisch-Hosek. „Peter Weibel war ein vielseitiger Künstler, Forscher, Wissenschaftler und Lehrer, sein Tod ist ein großer Verlust“, so Heinisch-Hosek, die daran erinnerte, dass Weibel nicht zuletzt auch ein Brückenbauer zwischen der Kunst und der Wissenschaft gewesen sei.

„Der Tod von Peter Weibel trifft uns völlig unerwartet. Unlängst haben wir noch seine Rückkehr nach Wien und seine Pläne für den nächsten Lebensabschnitt interessiert verfolgt. Umso brutaler ist nun die Nachricht seines Ablebens“, reagierte die Kultursprecherin der Grünen und Obfrau im Kulturausschuss, Eva Blimlinger. Weibel habe zu einer Zeit das Digitale forciert, „in der dies für viele noch ein vollkommen unbekanntes Feld war“, so Blimlinger.

Als Nomaden zwischen der Wissenschaft und der Kunst bezeichnete MAK-Chefin Lilli Hollein den Verstorbenen: Der von Weibel geprägte Ausdruck „Universalkünstler“ gelte für Weibel in besonderem Maße.

Ankauf des Archivs

Knapp vor seinem Umzug nach Wien hatten die Stadt Karlsruhe und das Land Baden-Württemberg Kunstwerke und Archivalien von Weibel für das ZKM angekauft. Für die ZKM-Sammlung erwarben sie zehn Medienkunstwerke und große Teile des Archivs des Medienkünstlers. Die Auswahl der Kunstwerke umfasst einen Zeitraum von 1968 bis 1993 und deckt entscheidende Phasen im Schaffen von Weibel ab: von den Performances und elektronischen Experimenten der 1960er Jahre über Videoinstallationen der frühen 1970er Jahre bis hin zu computerbasierten Installationen vom Anfang der 1990er Jahre.

Ausstellung im ZKM
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Weibels Welt: Das ZKM

Das Archiv besteht aus Fotografien, Zeichnungen, Manuskripten und Skizzen der 1960er und 1970er Jahre sowie aus etwa 300 Videos, Filmen und Tonaufzeichnungen aus den 1960er Jahren bis zur Gegenwart. Die Gesamtsumme des Ankaufs liegt laut Stadt bei 675.000 Euro, darunter ist eine Schenkung von Weibel in Höhe von 275.000 Euro. Karlsruhes Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) hatte sich über den Kunstankauf gefreut, der „eine einmalige Chance“ sei, „Meilensteine in der Medienkunstgeschichte“ zu sichern.

TV-Hinweis

Der „kulturMontag“ zeigt am Montag um 22.30 Uhr in ORF2 einen Nachruf auf den Medienkünstler.

Der Erwerb dokumentiert mit den Videos, Objekten und Installationen, die sich bereits im Besitz des ZKM befinden, die Entwicklung von Weibels Werk über 50 Jahre. Die Medienkunstsammlung des Zentrums wollte die Geschichte der Medienkunst des 20. und 21. Jahrhunderts für ein breites Publikum und künftige Generationen erfahrbar machen. Dass dieser Ankauf so rasch unter einem bitteren Stern stehen würde, hätte man im ZKM so wohl nicht gedacht.