Ukrainische Soldaten im Kampf gegen russische Stellungen bei Bachmut
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Schwer umkämpft

Offenbar letzte Gefechte um Bachmut

Die Einnahme der ukrainischen Stadt Bachmut durch Russland könnte bald bevorstehen. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow schloss einen Fall der seit Monaten schwer umkämpften Stadt durch die russische Söldnertruppe Wagner in einem aktuellen Interview nicht aus. Die Bedeutung Bachmuts wird allerdings von der Ukraine und Russland höchst unterschiedlich bewertet.

Die ukrainische Führung hatte gesagt, Bachmut in der Region Donezk habe einen begrenzten strategischen Wert. Mit einer Einnahme erringe Russland nur „einen kleinen Sieg“, sagte Resnikow in einem Interview mit der deutschen Boulevardzeitung „Bild“ (Freitag-Ausgabe) weiter. Natürlich will man allerdings durch die Einnahme keinen russischen Erfolg. Russland dagegen erhofft sich von einer Einnahme Bachmuts einen wichtigen Schritt hin zur Eroberung des Rests des umliegenden Industriegebiets Donbas, das aus den Regionen Donezk und Luhansk besteht.

„Der Feind ist weiterhin bemüht, die Stadt einzukreisen“, teilte der ukrainische Generalstab am Abend in seinem täglichen Lagebericht mit. Eine Serie von Angriffen an verschiedenen Schwerpunkten rund um Bachmut sei von den ukrainischen Verteidigern abgewehrt worden. Russische Truppen bedrängen die Stadt von drei Seiten und bemühen sich seit Wochen, sie einzukreisen.

Zerstörte Gebäude in Bachmut
IMAGO/SNA
Eine Siedlung in Bachmut liegt in Trümmern – hier ein Bild vom 26. Februar

Die Stadt werde weiter verteidigt. „Ja, es ist schwierig und hart, aber wir wissen, wie wir weiter vorgehen“, sagte der Sekretär des Sicherheitsrates, Olexij Danilow, dem Portal RBK-Ukraina. Einer ukrainischen Aufklärungseinheit, die mit Drohnen arbeitet, wurde unterdessen nach Angaben ihres Kommandeurs befohlen, sich zurückzuziehen. Wie es weiter mit einem Rückzug aussieht, ist unklar – er könnte laut Nachrichtenagenturen allerdings aus dem Ostteil der Stadt in vollem Gange sein.

Prigoschin in Video: Bachmut eingekesselt

Am Donnerstag war der russischen Söldnertruppe Wagner offenbar ein Vorstoß bis zum Fluss, der den Osten vom Westen der Stadt trennt, gelungen. Laut Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin ist die Stadt nun eingekesselt, wie er in einem am Freitag veröffentlichten Video mitteilte. Die ukrainischen Streitkräfte hätten nur eine Straße nach draußen. Prigoschin forderte den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf, seine Truppen aus der Stadt abzuziehen. Ein Wagner-Kämpfer berichtete der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti, die ukrainischen Truppen hätten bereits fast alle Brücken über den Fluss Bachmuzka gesprengt. Die Angaben waren nicht unabhängig überprüfbar.

Grafik zum Kampf um Bachmut
Grafik: APA/ORF; Quelle: ISW/WarMapper

Die Wagner-Söldner liefern sich seit Monaten einen erbitterten Kampf mit den ukrainischen Soldaten, die Bachmut verteidigen. In der Stadt, in der vor dem Krieg rund 70.000 Menschen lebten, harren noch immer einige Tausend Zivilistinnen und Zivilisten aus. Die Wagner-Söldner agieren weitgehend unabhängig vom russischen Militärkommando. Die russische Armee hat ihren Vormarsch auf Bachmut in den vergangenen Wochen verstärkt.

Zerstörte Gebäude in Bachmut
AP/Yevhen Titov
Ein zerstörtes Gebäude in Bachmut

Experte: Ukraine errichtet neue Stellungen

Mit dem Verlust von Bachmut müsste die Ukraine die Verteidigungslinie erneut nach hinten verlegen. „Man kann gut erkennen, dass die Ukrainer damit begonnen haben, auf den Höhen vier bis fünf Kilometer westlich von Bachmut neue Stellungen zu errichten“, sagte der Militäranalyst und Gardekommandant des Bundesheers, Markus Reisner, dem „Kurier“ (Donnerstag-Ausgabe). Die nächste große Verteidigungslinie liege ungefähr 20 Kilometer westlich von Bachmut, wo mehrere kleine Städte liegen, so Reisner.

Generalstab: 85 russische Angriffe abgewehrt

Im Gebiet Donezk wurden nach Angaben örtlicher Behörden von Freitagfrüh zwei Zivilisten durch russischen Beschuss getötet. Zur militärischen Lage teilte der ukrainische Generalstab mit, es gebe weiter schwere Gefechte besonders im Donbas im Osten des Landes. Im Lauf der vergangenen 24 Stunden seien 85 russische Angriffe abgewehrt worden. Diese Militärangaben konnten nicht unabhängig überprüft werden. Als Ort der Gefechte wurden weiterhin die Frontabschnitte Kupjansk, Liman, Bachmut, Awdijiwka und Wuhledar genannt.

Zerstörtes Gebäude in Zaporizhzhia
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Die Feuerwehr bei den Aufräumarbeiten nach dem russischen Raketeneinschlag

Selenskyj kündigt Vergeltung für Saporischschja an

Unterdessen kündigte Selenskyj Vergeltung ach dem russischen Raketenangriff auf die Stadt Saporischschja mit mindestens vier Toten an. „Auf den heutigen brutalen russischen Raketenangriff auf Saporischschja werden wir militärisch und rechtlich reagieren“, sagte Selenskyj am Donnerstag in seiner allabendlichen Videoansprache: „Der Besatzer wird unweigerlich unsere Stärke spüren, die Kraft der Gerechtigkeit im wahrsten Sinne des Wortes.“

Bei dem russischen Luftangriff in der Nacht auf Donnerstag war ein mehrstöckiges Wohngebäude in der südukrainischen Stadt von einer Rakete getroffen worden. Zwei Bewohner wurden getötet, hieß es in der Nacht. Bis Freitagfrüh wurden zwei weitere Leichname geborgen, wie der ukrainische Zivilschutz in der Früh mitteilte. Damit stieg die Zahl der Toten nach dem Angriff vom Donnerstag auf mindestens vier. Acht Menschen in dem mehrstöckigen Gebäude wurden verletzt. Weiterhin wurden mehrere Bewohner vermisst.

Zerstörtes Gebäude in Zaporizhzhia
APA/AFP/Katerina Klochko
Aufräumarbeiten nach dem Einschlag einer russischen Rakete in ein Haus in Saporischschja

Hoffen auf Kampfjets

Verteidigungsminister Resnikow zeigte sich zugleich zuversichtlich, was einen Sieg der Ukraine im heurigen Jahr betrifft. „Ich bin ein Optimist, ich sehe die Situation auf dem Schlachtfeld, ich sehe die Entwicklung der Unterstützung und ich sehe wirklich, dass es eine Chance gibt, diesen Krieg in diesem Jahr mit unserem Sieg zu beenden“, sagte er.

Es gehe dabei um „die Befreiung aller unserer zeitweilig besetzten Gebiete bis zu unseren international anerkannten Grenzen von 1991“. Forderungen nach Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wies er zurück. Resnikow zeigte sich in dem Interview auch zuversichtlich, dass sein Land schon bald westliche Kampfjets bekommen wird. „Ich bin mir sicher, dass wir zwei bis drei unterschiedliche Arten von Kampfjets bekommen werden“, sagte er.

Militäranalyst: Letzte Gefechte um Bachmut?

Die umkämpfte ukrainische Stadt Bachmut sei von den russischen Streitkräften „praktisch umzingelt“, sagt Russland. Dazu ist Militäranalyst Oberst Berthold Sandtner vom Bundesheer zu Gast.

Medwedew droht erneut

Der frühere Kreml-Chef und jetzige Vizesekretär des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, warnte die NATO davor, der Ukraine Kampfflugzeuge zur Verfügung zu stellen. Die Übergabe von NATO-Kampfflugzeugen und deren Wartung in Polen kämen einem direkten Kriegseintritt des westlichen Militärbündnisses gegen Russland gleich, schrieb Medwedew am Donnerstag auf Telegram.

„Und jeder, der über die Lieferung (Reparatur) solcher Ausrüstungen oder Zerstörungsmittel sowie über ausländische Söldner und Militärausbildner entscheidet, müsste als legitimes militärisches Ziel betrachtet werden“, so Medwedew.

Scholz bei Biden im Weißen Haus

US-Präsident Joe Biden und der deutsche Kanzler Olaf Scholz haben indes die gemeinsame Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen den Angreifer Russland betont. Beide Länder zögen an einem Strang und stärkten das NATO-Militärbündnis, sagte Biden am Freitag vor dem Treffen im Weißen Haus. Bei dem Termin im Oval Office dankte Biden Scholz für Deutschlands „starke und beständige Führung“ bei der Unterstützung für die Ukraine. Es sei sehr wichtig, die Botschaft zu vermitteln, dass die Verbündeten die Ukraine weiterhin unterstützen werden, betonte Scholz.

Bereits vor dem Treffen kündigte Washington ein 400 Millionen Dollar (rund 380 Mio. Euro) schweres Militärhilfspaket an. Das Paket umfasse vor allem Munition, etwa für die von den USA gelieferten Mehrfachraketenwerfer des Typs HIMARS und Haubitzen, teilte das US-Außenministerium heute mit. Auch Munition für Bradley-Schützenpanzer sei dabei.

Seit Kriegsbeginn summieren sich die US-Militärhilfen für die Ukraine nach jüngsten Angaben aus dem Pentagon auf mehr als 32 Mrd. Dollar, das neue Paket nicht einberechnet. Ende Jänner hatte die US-Regierung nach langem Hin und Her angekündigt, der Ukraine 31 Kampfpanzer des Typs M1 Abrams zu liefern. Es wird erwartet, dass ihre Bereitstellung aber einige Zeit in Anspruch nehmen wird.

Kreml warnt vor neuen Waffenlieferungen

Vor dem Treffen warnte der Kreml vor neuen westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine. Solche Lieferungen „werden keinen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Offensive haben“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Freitag in Moskau. Doch sei „klar, dass sie diesen Konflikt verlängern werden, mit traurigen Konsequenzen für das ukrainische Volk“.

„Wir stellen fest, dass die USA ihre Politik fortsetzen, Waffenlieferungen an die Ukraine zu erhöhen und ihre Schützlinge zu überreden, das Gleiche zu tun“, sagte Peskow. „Das stellt eine große Belastung für die Wirtschaft dieser Länder dar und hat negative Auswirkungen auf das Wohlergehen ihrer Bürger, auch in Deutschland.“

Lula will mit anderen Ländern sprechen

Der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva führte indes ein Videogespräch mit Selenskyj. Danach twitterte Lula, er wolle andere Länder ermutigen, sich an Friedensgesprächen zur Beendigung des Konflikts zu beteiligen. „Ich habe den Wunsch Brasiliens bekräftigt, mit anderen Ländern zu sprechen und sich an jeder Initiative zur Schaffung von Frieden und Dialog zu beteiligen. Krieg kann für niemanden von Interesse sein.“

Lula lehnte es ab, der Ukraine Munition aus deutscher Produktion zu liefern, über die Brasilien verfügt. Er bekräftigte außerdem, sein Land werde in dem Konflikt neutral bleiben. Russland habe aber mit dem Einmarsch in ein souveränes Land einen Fehler gemacht. „Wir haben betont, wie wichtig es ist, den Grundsatz der Souveränität und der territorialen Integrität von Staaten zu wahren“, schrieb Selenskyj nach dem Gespräch auf Twitter. „Wir haben auch über diplomatische Bemühungen gesprochen, um den Frieden in der Ukraine und in der Welt wiederherzustellen.“