Frau an einer Werkbank
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Arbeitskräftestudie

Schere bei Ausbildung geht deutlich auf

Eine aktuelle Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) hat untersucht, wie sich die heimische Arbeitskraftsituation bis 2040 entwickeln wird. Die verschiedenen Szenarien zeigen Handlungsbedarf für die Politik auf – und wo der Hebel angesetzt werden könnte. Auffällig ist unter anderem ein deutliches Aufgehen der Schere bei der Ausbildung: Deutlich mehr Akademikerinnen und Akademikern stehen bis 2040 deutlich weniger Menschen mit Lehrabschluss gegenüber.

Die Studie, von den Sozialpartnern beauftragt, ist jedenfalls ein weiterer Baustein in der derzeit akuten Debatte, ob und wie man mehr Menschen dazu bringen soll, länger zu arbeiten. Dem Basismodell zufolge – das bereits beschlossene Maßnahmen wie die Anhebung des Frauenpensionsalters aber bereits berücksichtigt – wächst das Arbeitskräfteangebot in Österreich im Zeitraum 2018 bis 2040 um insgesamt 176.000 Personen. Damit würde auch der theoretische demografisch bedingte Rückgang der Erwerbstätigen überkompensiert werden.

Rund 30 Prozent dieses Zuwachses entfallen auf bereits beschlossene Veränderungen der Pensionszugangsregeln. Auch die Veränderung bei der Bildung trage mit rund einem Viertel zur Ausweitung des Arbeitskräfteangebotes bei. Laut der Studie wird es im Jahr 2027 mit rund 4,797 Millionen Personen die meisten Erwerbstätigen geben. Danach soll deren Zahl bis 2035 leicht auf 4,751 Millionen sinken, um dann wieder auf 4,775 Millionen Erwerbstätige zu steigen.

Mehr Akademiker, weniger Personen mit Lehrabschluss

Im Zeitraum bis 2040 werde sich aber die Zusammensetzung der Erwerbsbevölkerung deutlich verändern, ergibt die Studie. So werde es um 250.000 Erwerbstätige mit Lehrabschlüssen weniger geben.

Auf dem Arbeitsmarkt werde es auch 130.000 Personen weniger geben, die eine berufsbildende mittlere Schule abgeschlossen haben – und entsprechend mehr Menschen, die lediglich die Pflichtschuljahre absolvieren. Dafür werde es 223.000 Erwerbstätige mit AHS- oder BHS-Matura mehr und 375.000 Erwerbstätige mit akademischem Abschluss mehr geben.

Für Stärkung des zweiten Bildungswegs

Laut WIFO-Fachleuten könnte eine Stärkung des zweiten Bildungsweges dem Rückgang von Lehrabschlüssen deutlich entgegenwirken – nämlich bis um die Hälfte. Die Qualifizierungsmaßnahmen müssten dafür aber stark ausgeweitet werden. Und die Studie rechnet vor, dass es dadurch bis 2040 allein 200.000 mehr Arbeitende mit Lehrabschluss geben könnte.

Vorausgesetzt, die Drop-out-Quote bei der Lehrausbildung wird halbiert und deutlich weniger wählen den Weg Matura, Fachhochschule bzw. Uni, was derzeit allerdings eine der Haupttendenzen bei der Berufsausbildung ist. Auch insgesamt hätte ein Comeback der Lehre einen großen Vorteil, denn es würden 14.000 Menschen mehr erwerbstätig sein, die ansonsten wegen fehlender Qualifizierung arbeitslos wären.

Gesellschaft wird älter

Aber auch vom Alter her wird sich der Arbeitsmarkt verschieben, so die Studie mit dem Titel „Ältere am Arbeitsmarkt: Eine Vorausschau bis 2040 als Grundlage für wirtschaftspolitische Maßnahmen“: Der Anteil Älterer – also 55 Jahre und älter – steige bis 2040 um rund vier Prozentpunkte, während im Haupterwerbsalter (25 bis 54 Jahre) ein Rückgang von rund drei Prozentpunkten zu erwarten sei.

Absolut betrachtet bedeute das einen Rückgang der Erwerbspersonenzahl um knapp 33.000 in der Gruppe der 25- bis 54-Jährigen bei gleichzeitiger Zunahme der Gruppe der über 55-Jährigen um rund 221.000.

Parallel dazu werde auch die Zahl der Erwerbspersonen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen von rund 584.000 im Ausgangsjahr 2018 bis 2027 auf 644.000 steigen. Danach werde sie bis 2040 leicht auf rund 620.000 sinken – knapp 36.000 mehr als im Jahr 2018.

Handreichung für Arbeitsmarktpolitik

Konkrete Folgen hat all das vor allem für die Arbeitsmarktpolitik. So ist bei Förder- und Ausbildungsprogrammen – etwa der zuvor erwähnten Forcierung des zweiten Bildungswegs – mit einem deutlich Zuwachs zu rechnen. Die Zahl der Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen steige von 600.000 2018 auf 640.000 im Jahr 2027. Besonders drastisch mit 31 Prozent Plus fällt laut WIFO-Szenario der Anstieg bei 55-plus-Jährigen aus.

Das Basisszenario setzt dabei bereits eine stärkere Integration von Frauen, gesundheitlich Beeinträchtigten und Älteren als derzeit voraus. Dafür muss die Politik aber die ohnehin hinlänglich bekannten Maßnahmen setzen: mehr Kinderbetreuungsplätze und mehr mobile und stationäre Pflege.

Das Potenzial Älterer und gesundheitlich Beeinträchtigter muss durch Fortbildung, altersgemäße Arbeitsgestaltung und Stärkung der Gesundheit stärker gefördert werden. Allein durch eine rasche Rückkehr von Müttern in die Arbeit könnten laut WIFO bis 2040 20.000 Arbeitskräfte „gewonnen“ werden. Noch höher liegt das Potenzial bei gesundheitlich Beeinträchtigen mit bis zu 31.500 Erwerbstätigen mehr bis 2040.

Stoff für Vollzeit/Teilzeit-Debatte

Im europäischen Vergleich ist die Erwerbsbeteiligung in Österreich generell hoch. Besonders bei Älteren ist sie aber dafür deutlich niedriger (viele Frühpensionen, Anm.). Die Studie verweist zudem auf die hierzulande hohe Teilzeitquote – insbesondere bei Müttern (fehlende Betreuungsmöglichkeiten), gesundheitlich Beeinträchtigten (häufig in Frühpension) und Menschen mit niedriger Schulbildung – und liefert damit auch Stoff für die aktuelle Vollzeit/Teilzeit-Debatte.

Trotz technischen Fortschritts und eines weniger als zuvor erwarteten Rückgangs der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter werde aber die Erwerbsbeteiligung weiter steigen müssen, wenn man Wirtschaftswachstum gerieren wolle, lautet eines der zentralen Resümees der Studie.

WKO: Faktisches Pensionsantrittsalter anheben

Der Generalsekretär der Wirtschaftskammer (WKO), Karlheinz Kopf, reagierte als Erster auf die von der WKO mit in Auftrag gegebene Studie und meinte, diese belege einmal mehr, dass die demografische Entwicklung den Arbeitskräftemangel weiter verschärfen werde. Als Hauptziel nannte er, das faktische Pensionsantrittsalter „näher an das gesetzliche heranzuführen“.