Blick auf chinesische Stadt Haikou
APA/AFP
Volkskongress in China

Auftakt im Zeichen globaler Unsicherheit

In China hat am Sonntag der Volkskongress begonnen. Die Auftaktrede des scheidenden Premierministers Li Keqiang stand im Zeichen globaler Unsicherheit. Bei der Schätzung des Wirtschaftswachstums für 2023 ließ man Vorsicht walten, die Militärausgaben sollen deutlich angehoben werden. Präsident Xi Jinping wird indes seine Macht weiter festigen.

Chinas Wirtschaft soll in diesem Jahr um „rund fünf Prozent“ wachsen. Dieses Ziel nannte Regierungschef Li in seinem Rechenschaftsbericht zu Beginn der diesjährigen Sitzung des chinesischen Volkskongresses in Peking. Das Wachstumsziel von fünf Prozent liegt am unteren Ende der Erwartungen von Analystinnen und Analysten. Sie hatten zum Teil damit gerechnet, dass China sogar ein Ziel von sechs Prozent anstreben könnte.

Nach dem Ende der strikten Null-CoV-Politik soll 2023 die Erholung der Wirtschaft im Vordergrund stehen. Zur Ankurbelung der Konjunktur ist daher auch eine etwas höhere Neuverschuldung geplant. Wie aus dem veröffentlichten Haushaltsentwurf der Regierung hervorging, soll das Defizit bei rund drei Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. 2022 stand ein Defizit von 2,8 Prozent im Plan.

Konsum soll angekurbelt werden

„In diesem Jahr ist es wichtig, der wirtschaftlichen Stabilität Priorität einzuräumen“, sagte Li. Insbesondere müssten Maßnahmen ergriffen werden, um den Konsum anzukurbeln. So sollen Großprojekte, die bereits im laufenden Fünfjahresplan der Regierung beschlossen wurden, schneller vorangetrieben werden. Auch zusätzliche Stadterneuerungsprojekte sind vorgesehen. Zudem soll es zusätzliche Transferzahlungen von Peking an die Lokalregierungen geben.

Blick auf Kongress
IMAGO/Xinhua/Yin Bogu
Delegierte beim Volkskongress: Chinas Wirtschaft soll heuer um rund fünf Prozent wachsen

Li kündigte zudem an, dass in diesem Jahr zwölf Millionen neue Arbeitsplätze in den Städten geschaffen werden sollen – eine Million mehr als im Vorjahresplan vorgesehen. Die Regierung strebt eine Arbeitslosenquote von etwa 5,5 Prozent an. Die Inflation soll bei etwa drei Prozent liegen. Im Vorjahr hatte China ein Wachstum von 5,5 Prozent angestrebt, das in der CoV-Pandemie aber verfehlt. So konnten 2022 nur drei Prozent erreicht werden – die zweitschlechteste Wachstumsrate seit 1976 und nur wenig mehr als 2020 zu Beginn der Pandemie mit 2,2 Prozent.

Viele Problemfelder

Die Liste der Baustellen und Probleme bleibt jedoch lang: Zwar zeichnet sich zumindest für dieses Jahr eine kräftige Erholung ab. Der für China so wichtige Immobilienmarkt kommt nach den Turbulenzen des Vorjahres nur langsam auf die Beine. Die Regierung sicherte am Sonntag eine „effektive Risikoprävention“ für den Sektor zu. Gleichzeitig müsse aber versucht werden, eine „unregulierte Expansion“ des Immobilienmarktes zu verhindern.

Eine der größten langfristigen Sorgen für die chinesische Wirtschaft ist auch die demografische Situation des Landes. Die Bevölkerung ist im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit Jahrzehnten geschrumpft. Modelle sagen voraus, dass Indien heuer zum bevölkerungsreichsten Land aufsteigen wird.

„Unsicherheiten auf dem Vormarsch“

In seinem Rechenschaftsbericht vor den knapp 3.000 Delegierten in der Großen Halle des Volkes rief Li indes zur Modernisierung der Streitkräfte auf, die „ihre Kampfbereitschaft stärken und ihre militärischen Fähigkeiten verbessern“ sollten. „Unsicherheiten im externen Umfeld sind auf dem Vormarsch“, warnte er. Peking will seine Militärausgaben steigern, geplant ist eine Anhebung um 7,2 Prozent – die höchste Steigerung seit vier Jahren.

China steigert Verteidigungsausgaben

China hat angekündigt, seine Verteidigungsausgaben in diesem Jahr um 7,2 Prozent auf 1,55 Billionen Yuan (224 Mrd. US-Dollar) zu erhöhen.

Der Premier lehnte eine Unabhängigkeit Taiwans entschieden ab und rief zu einer „friedlichen Wiedervereinigung“ auf. „Wir Chinesen auf beiden Seiten der Taiwanstraße sind eine Familie – durch Blut verbunden.“ China betrachtet die geostrategisch und wirtschaftlich bedeutsame Insel als Teil der Volksrepublik und droht mit einer Eroberung. Die Spannungen nahmen jüngst zu. Nach der Invasion Russlands in der Ukraine wächst die Sorge, dass China ähnlich gegen Taiwan vorgehen könnte.

Auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ging der Premier in seinem rund einstündigen Rechenschaftsbericht mit keinem Wort ein. Vor einer Woche hatte China ein Positionspapier zum Krieg vorgelegt, das international auf Enttäuschung gestoßen war, weil es keine neue Initiative erkennen ließ. Es ist auch nicht erkennbar, dass China seinen Einfluss auf Moskau nutzen will.

Regierung wird neu gebildet

Für Li Keqiang war es der letzte Rechenschaftsbericht in seiner Funktion als Premierminister. Er soll bei der Regierungsumbildung in der kommenden Woche von Li Qiang, dem bisherigen Parteichef von Schanghai, abgelöst werden.

Chinas Präsident Xi Jinping und Li Keqiang
Reuters/Thomas Peter
Präsident Xi (links), Premier Li: Die Regierung verliert an Einfluss – Nutznießerin ist die KP

Im Mittelpunkt der bis 13. März dauernden Tagung des Volkskongresses steht die Neubildung der Regierung. Parteichef Xi Jinping wird seine Macht konsolidieren, indem enge Vertraute aufrücken. Der 69-Jährige hatte sich auf dem Parteitag im Oktober über frühere Alters- und Amtszeitbegrenzungen hinweggesetzt und seine dauerhafte Führungsrolle zementiert. Er soll am Freitag für eine dritte Amtszeit als Präsident bestätigt werden – das hat es in China so noch nicht gegeben.

Experte: „Keine alternativen Kraftzentren“

Unter Xi Jinping habe die Regierung an Bedeutung verloren, sagte Nis Grünberg vom China-Institut MERICS in Berlin. „Die Politik wird jetzt zunehmend in Parteiorganisationen gemacht.“ Der Staatsrat, also das Kabinett, sei zunehmend ein „Verwaltungsarm“, geführt von der Partei. Grünberg sprach von „einer Art Maschinenraum der Verwaltung“.

„Wenn es keine alternativen Machtstrukturen und Kraftzentren auf höchster Ebene der Partei gibt, dann bedeutet das, dass Xi Jinping keine kritischen Stimmen zu hören bekommt“, sagte der Experte Rory Truex von der Princeton Universität in den USA der Plattform „The China Project“.

Er äußerte seine Sorge über zu viele „Jasager“: „Das erlaubt ihm, das Land in jede Richtung zu lenken, die ihm passt. Wir wissen, wo das hinführt: Eine Personendiktatur kann wirklich hässlich werden – Mao Tsetung war das archetypische Beispiel“, verwies Truex auf das Chaos unter dem chinesischen Staatsgründer.